Dr. Norden Staffel 6 – Arztroman. Patricia Vandenberg

Dr. Norden Staffel 6 – Arztroman - Patricia Vandenberg


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der sein Büro lag. Sie versprach, in einer halben Stunde dort zu sein, und legte auf.

      »Na, was wollte er?«, fragte Pascal, als Marla ins Arbeitszimmer kam.

      Er saß am Schreibtisch und blätterte in dem Ordner, den er inzwischen gefunden hatte.

      »Die Tochter einer Kundin wurde vor ein paar Tagen in die Klinik eingewiesen. Sie ist ein großer Fan meiner Bilder, und Daniel hat gefragt, ob ich sie nicht besuchen kommen könnte«, bediente sie sich einer Notlüge in der Hoffnung, er möge ihr glauben.

      Trotz des Zwists begannen Pascals Augen vor Stolz zu glänzen.

      »Natürlich hast du zugesagt, nicht wahr?«, fragte er.

      Marlas schlechtes Gewissen wog zentnerschwer.

      »Ja, klar.« Sie wagte es nicht, ihm in die Augen zu schauen. »Ich fahr dann mal.«

      »Warte. Ich bringe dich natürlich hin!«, erbot sich Pascal. Er ließ alles stehen und liegen und stand auf.

      Marlas Proteste halfen nichts, und schon zehn Minuten später waren sie auf dem Weg in die Klinik. Um diese Uhrzeit herrschte nicht viel Verkehr, und das Ziel war bald erreicht.

      »Ich mache inzwischen ein paar Besorgungen«, erklärte Pascal, nachdem er sich mit einem Kuss und der Versicherung, dass er ihr nicht länger böse war, von Marla verabschiedet hatte.

      »Es wird nicht lange dauern.« Sie stand vor dem Wagen und rang sich ein Lächeln ab.

      »Gut, dann warte ich hier.« Er winkte ihr und sah ihr nach, wie sie auf den Eingang zuging, als sein Blick auf die Tasche fiel, die auf dem Rücksitz lag. »Marla, warte, du hast deine Tasche mit dem Geschenk für das Mädchen vergessen!«, rief er ihr nach, doch da war sie schon durch die Tür verschwunden.

      Einen Moment lang starrte Pascal auf die Tasche in seinen Händen. Dann traf er eine Entscheidung. Er warf die Wagentür zu, ließ die Schlösser einschnappen und lief ihr nach.

      *

      Erst auf der Station wurde Marla gewahr, dass sie die Zimmernummer, die Daniel ihr genannt hatte, wieder vergessen hatte. Ratlos wanderte sie von Zimmertür zu Zimmertür, als ihr eine Schwester entgegenkam.

      »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Elena die Frau, die ganz offensichtlich auf der Suche war.

      Am liebsten hätte Marla abgelehnt, auf dem Absatz kehrt gemacht und wäre davon gelaufen. Doch es gab kein Entrinnen.

      »Ich suche Dr. Norden. Wissen Sie, wo er ist?«, fragte sie stattdessen.

      »Worum geht es denn?«, erkundigte sich Elena, obwohl sie schon eine vage Ahnung hatte, um wen es sich handelte. Trotz des Altersunterschieds war die Ähnlichkeit nicht zu leugnen.

      »Ich bin die Tochter von Heike Moebius«, gab sich Marla zu erkennen. »Dr. Norden hat mich gebeten zu kommen. Er braucht eine Unterschrift von mir.«

      Schwester Elenas Miene erhellte sich. Sie hatte mit Daniel gesprochen und ihre Zweifel daran geäußert, dass seine List aufgehen würde.

      »Kommen Sie«, lächelte sie und winkte Marla mit sich. »Ich bringe Sie zu ihm.«

      Daniel wartete in seinem Büro auf seine Besucherin und stand auf, als sie ins Zimmer kam. Während Elena die Tür hinter Marla schloss, ging er um den Schreibtisch herum und lächelte.

      »Danke, dass du gekommen bist.« Seine Stimme verriet, wie groß seine Erleichterung wirklich war. Er berührte sie kaum, als er sie am Arm nahm und zu der Sitzgruppe führte, die für solche Gespräche reserviert war. »Und ich sag’s dir lieber sofort: Das mit der Unterschrift und der Unzurechnungsfähigkeit war eine Notlüge. Aber mir ist einfach kein anderes Mittel eingefallen, um dich hierher zu locken«, warb er um ihr Verständnis. »Ich brauche deine Hilfe«

      Marla hatte sich auf die äußerste Kante des Sessels gesetzt und sah Daniel über den Couchtisch hinweg an.

      »Ich wüsste nicht, wie ich meiner Mutter helfen sollte. Wir haben seit Jahren keinen Kontakt mehr.«

      »Das hat einen Grund, nehme ich an«, erwiderte er sanft. »Willst du darüber sprechen?« Das, was wie eine Frage klang, war in Wahrheit eine Aufforderung.

      Marla hatte dieser Familie so viel zu verdanken, dass sie noch nicht einmal darüber nachdachte abzulehnen. Wie ein Häuflein Elend saß sie da und legte die Hände schützend auf das wachsende Leben in ihrem Bauch.

      »Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, wann es angefangen hat«, begann sie stockend. »Es muss ein paar Jahre nach der Trennung von meinem Vater gewesen sein. Lange Zeit hat sich Mama nichts anmerken lassen und mir eine heile Welt vorgegaukelt, die es gar nicht gab. Daran ist sie irgendwann zerbrochen.«

      »Sie hat mir so was in der Art erzählt«, nickte Dr. Norden. Doch Marla schien ihn nicht zu hören, so sehr nahmen sie ihre Erinnerungen gefangen.

      »Früher kamen die Schübe selten, und eine Weile hat sie sogar Medikamente genommen. Vielleicht hätte sie es geschafft, wenn sie nicht damit aufgehört hätte.«

      »Auf der einen Seite kann ich Heike verstehen.« Daniel Norden drehte sein Wasserglas in den Händen. »Früher waren solche Medikamente echte Hämmer. Aber diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei.«

      Doch Marla schüttelte den Kopf.

      »Wegen der Tabletten hat Mama mal einen wichtigen Prozess verloren und ein unschuldiger Mensch wurde verurteilt. Das kann sie sich nicht verzeihen. Deshalb wird sie keine Medizin mehr nehmen.«

      Daniel war ehrlich erschrocken.

      »Das wusste ich nicht. Heike hat nicht darüber gesprochen.«

      »Natürlich nicht. Es tut zu weh. Immer noch.« Marla lächelte bitter. »Du kannst dir nicht vorstellen, was ich damals alles versucht habe, um ihr zu helfen.« Sie schüttelte den Kopf. »Wahrscheinlich versteht das nur jemand, der so was durchgemacht hat. Es ist wie bei einer Sucht, wenn der Süchtige nicht einsieht, dass er abhängig ist. Ich wollte Mama helfen bis zur Selbstaufgabe. Als das nicht funktioniert hat, kam die Wut. Wenn ich daran denke, was ich ihr alles an den Kopf geworfen habe, in der Hoffnung, sie zu erreichen. Umzustimmen. Vergeblich.«

      Zutiefst ergriffen lauschte Dr. Norden Marlas Geschichte. Er wollte sie nicht unterbrechen. Deshalb sagte er kein Wort.

      »Und am Ende kommt dann die Ohnmacht«, murmelte sie und senkte den Kopf.

      »Deine Mutter kann sich nur selbst helfen. Sie muss einsehen, dass sie krank ist.« Seine eigenen Worte klangen in seinen Ohren lapidar, ja, fast lächerlich.

      Eine ähnliche Wirkung schienen sie auf Marla zu haben, denn sie lachte hämisch auf.

      »Mama? Da kennst du sie schlecht. Wie kann eine rechthaberische Anwältin einsehen, dass sie krank ist? Ich habe so oft versucht, das zu ändern. Was willst du jetzt von mir? Welche Rolle soll ich spielen?«, stellte sie die Frage, die ihr am meisten auf dem Herzen brannte.

      »Ich möchte dich bitten, noch einmal mit ihr zu sprechen. Sie gibt es nicht zu, aber ich glaube, ihr Unfall vor der Bäckerei war kein Zufall.«

      Marla schnappte nach Luft.

      »Du glaubst, sie hat es absichtlich gemacht?«

      »Nein. Aber ich glaube, dass sie wusste, wo du arbeitest. Dass sie dort vorbeigefahren ist und so abgelenkt war, dass sie nicht mehr auf die Straße geachtet hat«, erklärte er seine Theorie. »Deshalb möchte ich dich bitten, noch einmal mit ihr zu reden.«

      Marla kämpfte mit sich. Ihre Augen schwammen in Tränen, als sie den Kopf hob und Daniel ansah.

      »Weißt du, wie schwer es mir damals gefallen ist, alle Brücken abzubrechen und wegzugehen?«, schluchzte sie. »Aber wenn ich es nicht gemacht hätte, wäre ich mit ihr untergegangen. Und schau mich jetzt an!« Sie deutete auf ihren sich wölbenden Leib. »Ich habe es geschafft, habe die Liebe meines Lebens gefunden und erwarte ein Kind.« Dankbar nahm sie das Taschentuch, das der Arzt ihr reichte. »Du weißt selbst, wie hart


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