Dr. Norden (ab 600) Jubiläumsbox 5 – Arztroman. Patricia Vandenberg
wir Luft bekommen«, sagte sie, »es ist drückend.«
»Paß lieber auf, Mama, du weißt doch, wie viele Kurven hier sind.«
»Die Strecke fahre ich im Schlaf«, erwiderte sie und begann wieder, wie ein Wasserfall zu reden über alles, was ihr gerade in den Sinn kam und was sie die beiden Mädchen plötzlich noch fragen wollte.
»Paß auf!« rief Beate warnend, als ein Motorradfahrer angerast kam, sie überholte und dann mit einem entgegenkommenden Auto zusammenstieß. Ob Inge ausweichen wollte, ob sie falsch reagierte oder in diesem Augenblick die Nerven verlor, darüber sollte noch lange gerätselt werden.
Sie krachten die Böschung hinunter, überschlugen sich und blieben in dem Waldstück liegen. Es war dunkel um sie.
*
Es war zwanzig Uhr vorbei, als bei den Nordens das Telefon läutete. Fee war überrascht, als sich Rechtsanwalt Dr. Debroer meldete, der Daniel zu sprechen wünschte.
Seit Alexander Debroer mit Ulrike Dammann verheiratet war, trafen sie sich öfter mal, denn Ulrikes Kinder aus erster Ehe, David und Sara, waren gern mit den Norden-Kindern zusammen. Ein bißchen Geselligkeit tat den sonst vielbeschäftigten Ehepaaren auch gut. Für Alexander gestaltete sich das Leben auch ganz anders, seit er Ricky kannte und seine Schwester Alena endlich ihren langjährigen Freund Maximilian Eicken geheiratet hatte.
Was Daniel aber jetzt von ihm erfuhr, sollte ihn wie auch Fee in Aufregung versetzen.
Alexander war mit den Kindern David und Sara vom Reiterhof gekommen, als kurz zuvor der schreckliche Unfall geschehen war. Alexander hatte von dem Polizisten, der ihn erkannt hatte, erfahren, daß Inge Hendriks mit den beiden Mädchen in dem Auto schwer verletzt worden waren und hatte deshalb Daniel Norden verständigt, weil er wußte, daß er der Hausarzt der Familie Hendriks war.
»Das hat gerade noch gefehlt«, sagte Daniel. »Erst das Theater wegen der Klassenfahrt, dann war Hendriks bei mir und hat mich gebeten, seine Frau zur Vernunft zu bringen, und jetzt… Ich mag gar nicht daran denken, wie ihm zumute sein wird, wenn er das erfährt.«
»Mir ist auch mies zumute«, sagte Fee leise. »Fahren wir gleich zur Behnisch-Klinik, Daniel.«
Er nickte.
Sie sagte Lenni Bescheid und den Kindern, daß ein dringender Fall ihre Anwesenheit erforderte. Namen wollte sie nicht nennen, denn die Kinder hatten Beate sehr gern und würden aufgeregt und traurig sein.
Fees Herz klopfte auch angstvoll, als sie zur Behnisch-Klinik kamen. Jenny Behnisch wußte gleich, was sie hinführte.
»Es sieht sehr schlimm aus«, sagte sie. »Zum Glück waren alle drei angeschnallt, sonst hätten sie überhaupt keine Chance und das will schon was heißen, bei dem schweren Wagen.«
»Wer ist die dritte Verletzte?« fragte Daniel mit erzwungener Ruhe.
»Janine Binder, Beates Freundin. Wir haben sie erst kürzlich wegen einer Sprunggelenksverletzung behandelt.«
»Ist die Mutter schon verständigt?« fragte Fee.
»Sie war nicht erreichbar, und von dem Vater haben wir keine Telefonnummer.«
»Das kann ich erledigen, ich kenne ihn«, sagte Daniel. »Mir ist er treugeblieben. Ich versuche es gleich mal, und dann möchte ich gern wissen, was für Verletzungen vorliegen.«
»Kann ich vielleicht helfen?« fragte Fee.
»Wenn du gute Nerven hast, Hilfe können wir jetzt tatsächlich brauchen.«
Fee mußte sich sehr zusammennehmen, um nicht in Tränen auszubrechen, als sie Beate sah, das noch blutverschmierte Gesicht, den kraftlosen Körper. Aber sie nahm sich zusammen und begann gleich behutsam, das Gesicht und die Arme zu säubern. Der linke Arm war gebrochen, auch das linke Bein. Aber das mußte Fee den Chirurgen überlassen.
Daniel kam zurück. Er hatte Rainer Binder erreicht, der sofort kommen wollte. Er hielt sich nicht lange bei Erklärungen auf, sondern legte Beate einen Kopfverband an, während nun schon die Blutkonserven gebracht worden waren.
Es wurde alles getan, was zur Lebenserhaltung getan werden konnte, aber genaue Diagnosen und Prognosen konnten noch nicht gestellt werden. Jedenfalls war Janines Zustand noch bedrohlicher als der von Beate. Am besten schien Inge weggekommen zu sein.
Dr. Dieter Behnisch ließ sich bei der Untersuchung nicht durch Fragen stören. Er bemerkte anfangs gar nicht, daß Daniel ein Instrument reichte, ohne daß er es verlangte, doch dann blickte er kurz auf.
»Freut mich, daß du da bist«, sagte er, ohne eine Miene zu verziehen. »Das hätte ja nun wirklich nicht zu sein brauchen.«
»Meinst du meine Anwesenheit oder den Unfall?« fragte Daniel irritiert.
»Natürlich den Unfall. Die kleine Binder ist so ein liebes Dirndl.«
»Beate Hendriks auch. Sie wollten morgen mit der Klasse nach Griechenland fahren.«
»Das wird ja wohl nichts werden, und nun kann Frau Hendriks über etwas anderes jammern.«
»War sie etwa auch bei dir?«
»Und ob, ich sollte ein Attest schreiben, daß Beate Allergikerin ist und bestimmte Allergien sich bei ihr tödlich auswirken könnten. Wenn ich für sie ein Attest schreiben sollte, würde darin stehen, daß sie hochgradig hysterisch und paranoid ist.«
»Letzteres wäre aber doch etwas übertrieben.«
»Sie ist nicht weit entfernt davon und zieht Unglück buchstäblich an mit ihrer Schwarzseherei. Man könnte denken, sie findet das interessant oder will sich damit interessant machen. Ich würde ihr zutrauen, daß sie einen kleinen Unfall provozieren wollte, damit Beate zu Hause bleiben müsse. Aber das ging leider sehr schief.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen, sie ist mit dem Mercedes ihres Mannes gefahren. Er ist jetzt in Frankreich und nicht zu erreichen.«
Daniel kam es jetzt in den Sinn, daß Helmut Hendriks auch schon ein paar Mal die Befürchtung geäußert hatte, daß seine Frau an krankhaften Zwangsvorstellungen leide, aber das wollte er jetzt nicht erwähnen. Der Unfallhergang mußte geklärt werden, bevor irgendeine Schuldzuweisung erfolgte.
Rainer Binder war inzwischen eingetroffen und sprach mit Fee. Er war ein attraktiver Mann, und es war zu verstehen, daß er viel Beachtung bei Frauen fand. Allerdings war die Ehe mit Janines Mutter in die Brüche gegangen, weil sie selbst es mit der Treue nicht so genaugenommen hatte. Er hatte sich dann einer anderen Frau zugewandt, die keine Salonlöwin war, sondern ihm schon Jahre als umsichtige Sekretärin die Treue gehalten hatte. In dieser Ehe war er noch zweimal Vater geworden.
Daß sich Janine nicht für ihn entschieden hatte bei der Scheidung, hatte nur den einen Grund, daß sie sich nicht von Beate trennen wollte, denn sie hätte in eine andere Schule gehen müssen.
Rainer Binder stand unter Schock, aber durch das Gespräch mit Fee gewann er langsam seine Fassung zurück.
»Ich habe gestern noch mit ihr in der Stadt gesessen, und heute morgen haben wir telefoniert. Warum ist sie nur mit dieser rechthaberischen, nervösen Frau gefahren? Ich habe sie nicht in guter Erinnerung.«
»Aber wie ich hörte, war sie an dem Unfall nicht schuld«, versuchte Fee ihn zu beschwichtigen.
»Ellen ist wohl wieder mal nicht erreichbar«, empörte er sich. »Ich werde es mir nie verzeihen, daß ich Janine bei ihr gelassen habe. Sie wäre bei uns besser aufgehoben.«
»Aber hier hat sie ihre Freundin. Das war ihr wichtig. Sie dürfen jetzt nicht ungerecht sein. Ein Unfall hätte ihr auch so passieren können. Für Beate wird es besonders schlimm sein, daß ihre Mutter am Steuer saß.«
»Kann ich mit ihr sprechen?«
»Das ist leider nicht möglich. Sie sind alle noch bewußtlos.«
Da kam Jenny Behnisch und tauschte einen vielsagenden Blick mit Fee, als sie Rainer