Frankenstein. ÐœÑри Шелли
Neigung, kommt es mir vor, als habe damals mein Schutzengel noch einen letzten Versuch gemacht, mich dem drohenden Unheil zu entziehen, das sich über mir zusammenballte. Jedenfalls hatte sein Bemühen Erfolg, denn eine ungewohnte Ruhe der Seele und eine tiefe Befriedigung kam über mich, als ich von den in letzter Zeit mich quälenden Studien abließ; ja, ich lernte sie sogar als etwas Böses verachten.
Mein Schutzengel hatte sein Möglichstes getan, aber auf die Dauer war es doch umsonst. Das Schicksal war mächtiger: das Schicksal, das meinen schrecklichen Untergang beschlossen hatte.
1 Bellerive (von französisch belle: schön und rive: Ufer, »schöner Ufer«) bezeichnet die Gemeinde Collonge-Bellerive im Kanton Genf. <<<
2 Die Chimäre (griechisch Chímaira, »die Ziege«) ist ein Mischwesen der griechischen Mythologie. Davon ausgehend wurde der Begriff Chimäre später auf alle Mischwesen ausgedehnt. <<<
3. Kapitel
Als ich siebzehn Jahre alt geworden war, entschlossen sich meine Eltern, mich auf die Universität Ingolstadt zu schicken. Ich wäre ganz gern auf der Genfer Hochschule geblieben, aber mein Vater hielt es für nützlicher, wenn ich, um meine Erziehung zu vollenden, auch mit den Sitten und Gebräuchen anderer Länder vertraut würde. Der Tag meiner Abreise wurde festgesetzt; aber ehe dieser herankam, traf mich das erste Missgeschick meines Lebens, das mich ergriff wie ein Omen meines kommenden Unglücks.
Elisabeth war an Scharlach erkrankt und schwebte in der äußersten Lebensgefahr.
Wir hatten uns alle Mühe gegeben, meine Mutter zu überzeugen, dass die Pflege der Kranken eine große Gefahr für sie bedeute. Anfangs hatte sie sich unseren Bitten gefügt; als sie aber merkte, dass das Leben ihres Lieblings ernstlich bedroht war, ließ sie sich nicht mehr abhalten. Sie wich nicht vom Krankenbette und ihre Liebe siegte über die tückische Krankheit. Elisabeth war gerettet, aber an ihrer Stelle ergriff das Fieber die treue Pflegerin. Am dritten Tage musste sich die Mutter legen. Bei den ersten beunruhigenden Symptomen wurde der Arzt beigezogen, aus dessen ernstem Antlitz wir das Schlimmste errieten. Aber selbst auf dem Totenbette blieb diese beste der Frauen tapfer und gütig. Sie legte Elisabeths Hände in die meinen und sagte: »Liebe Kinder! Wie habe ich mich immer gefreut, euch einmal vereinigt zu sehen! Mir ist es jawohl nicht mehr beschieden, das zu erleben, aber es soll wenigstens der Trost eures Vaters sein. Nun musst du, liebste Elisabeth, meine Stelle bei meinen kleineren Kindern vertreten. Es tut mir weh, von euch gehen zu müssen, von dem Glück, das mir zuteilwurde. Aber ich will mich nicht diesen Gedanken hingeben; ich will versuchen, dem Tod froh ins Auge zu sehen und mich damit trösten, dass wir uns ja drüben alle wieder sehen werden.«
Sie starb ruhig und gelassen; selbst der Würger Tod war nicht imstande gewesen, die Liebe aus ihren Zügen zu bannen. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu sagen, wie tief wir alle litten, wie öde es in uns war und welche Traurigkeit auf unseren Gesichtern sich ausdrückte. Lange konnten wir es nicht fassen, dass die Frau, die wir alle Tage sahen, nun von uns gegangen sei auf immer, dass ihre lieben Augen uns nun nicht mehr freundlich anblicken, ihre traute Stimme nicht mehr an unser Ohr tönen sollte. Das sind so die Gedanken der ersten Tage. Wenn dann aber die Zeit in ihrem Laufe uns belehrt, dass wirklich alles so ist, dann beginnt der eigentliche, tiefe Gram. Aber wem hat der grausame Tod nicht schon etwas Liebes entrissen und warum soll ich die Schmerzen beschreiben, die jeden schon getroffen haben oder noch treffen müssen? Schließlich kommt die Zeit, da das Leid stiller wird und da man das Lächeln, das sich auf unsere Lippen schleicht, nicht mehr verbannt, wenn es einem auch vorher undenkbar schien, dass das je noch der Fall sein könnte. Meine Mutter war tot, aber wir hatten Pflichten, die wir erfüllen mussten; wir, die Übriggebliebenen durften uns ja glücklich schätzen, dass der Würger wenigstens von dem einen Opfer seine kalte Hand zurückgezogen hatte.
Für meine Abreise nach Ingolstadt, die durch die Verhältnisse aufgeschoben war, wurde nun ein neuer Zeitpunkt festgesetzt. Es gelang mir, von meinem Vater einen Aufschub von etlichen Wochen zu erlangen. Es wäre mir wie ein Sakrileg erschienen, so schnell die Ruhe des Trauerhauses mit dem sprudelnden Leben da draußen zu vertauschen. Und dann wollte ich den Anblick derer nicht missen, die mir geblieben waren; vor allem aber war es mir darum zu tun, meine süße Elisabeth einigermaßen getröstet zu sehen.
Sie verstand es, ihr eigenes Leid zu verbergen und uns alle aufzurichten. Sie nahm das Leben ernst und kam ihren Pflichten tapfer und treu nach. Sie widmete sich ganz denen, die sie als Vater und Geschwister lieben gelernt hatte. Niemals war sie lieblicher, als wenn der Sonnenschein ihres Lächelns uns alle erwärmte und wenn sie, ihren Gram vergessend, uns zur Trösterin wurde.
Schließlich kam aber doch der Tag meiner Abreise heran. Clerval verbrachte den letzten Abend noch bei uns. Er hatte vergebens versucht, seinen Vater zu bestimmen, dass er ihn mit mir nach Ingolstadt ziehen und dort studieren ließe. Aber sein Vater war eine engherzige Krämerseele und betrachtete diese Wünsche seines Sohnes als unnützen Ehrgeiz. Henry empfand es tief schmerzlich, für immer auf eine höhere Bildung verzichten zu müssen. Er sagte wenig; aber wenn er sprach, las ich in seinen glänzenden Augen den stillen, aber festen Entschluss, sich nicht für ewig an den kleinlichen Krämerberuf zu fesseln.
Wir blieben lange beisammensitzen, denn es schien uns unmöglich einander Lebewohl zu sagen. Und dennoch musste es schließlich geschehen. Wir gingen auseinander, indem wir vorgaben der Ruhe zu bedürfen, und trotzdem wusste jeder, dass der andere die Unwahrheit gesagt hatte. Als ich dann beim Morgengrauen hinunterging, um meinen Wagen zu besteigen, waren sie alle wieder da: mein Vater, um mich noch einmal zu segnen, Clerval, um mir zum Abschied die Hand zu drücken, und meine Elisabeth, um mir erneut das Versprechen abzunehmen, dass ich ihr fleißig schreiben werde, und um ihrem scheidenden Freund und Spielkameraden noch einige kleine Liebesdienste zu erweisen.
Ich lehnte mich tief im Wagen zurück, der mit mir dahinrollte, und gab mich trübseligen Betrachtungen hin. Ich war nun allein! Auf der Universität musste ich mir erst Freunde suchen und für mich selbst sorgen. Mein Leben war bisher ein außergewöhnlich zurückgezogenes gewesen und daher mochte es wohl kommen, dass ich einen fast unbezwinglichen Abscheu vor allen neuen Gesichtern hatte. Ich liebte meinen Bruder, ich liebte Elisabeth und Clerval; das waren mir altbekannte, liebe Gesichter; aber ich hielt mich für total ungeeignet,