MATTHEW CORBETT und die Jagd nach Mister Slaughter. Robert Mccammon

MATTHEW CORBETT und die Jagd nach Mister Slaughter - Robert Mccammon


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Gefühl außer vielleicht kompletter Gleichgültigkeit in seinem Blick zeigte.

      »Wir erwarten jemanden«, gab Greathouse in leichtem Ton zurück. »Aber ein andermal gern.« Ohne auf eine Antwort zu warten, packte er Matthew am Ellbogen und führte ihn an einen Tisch. »Hinsetzen«, murmelte Greathouse, und Matthew zog einen Stuhl zurück und ließ sich darauf nieder.

      »Wie Ihr wollt.« Baiter schlürfte an seiner Tasse und streckte die Hand dann hoch empor. Er brachte ein dünnes Lächeln zustande. »Dann auf den jungen Helden. Ich hörte, dass Polly von Euch jetzt ganz hin und weg ist.«

      Greathouse setzte sich mit dem Rücken zur Ecke hin. Seine Gesichtszüge waren entspannt.

      Matthew sah sich im Schankraum um. Von in den rauchig-schmierigen Dachbalken eingelassenen Haken hing ein knappes Dutzend Lampen an Ketten herab. Sieben andere Männer und eine verkommen aussehende Frau saßen unter einer im Raum schwebenden Wolke Pfeifenrauch. Zwei der Männer lagen, anscheinend vom Rausch überkommen, mit den Köpfen auf dem Tisch in einer grauen Pfütze, bei der es sich möglicherweise um Muschelsuppe handelte. Ach nein, da war noch ein achter Mann mit dem Kopf auf einem Tisch – ebenso von seinen Getränken dahingerafft – zu Matthews Linker. Gerade, als Matthew das grüne Glas der Wachtmeisterlaterne auffiel, hob Dippen Nack sein verquollenes Gesicht und versuchte nicht zu schielen. Der Schlagstock des brutalen Wachtmeisters lag neben einer umgefallenen Tasse.

      »Ihr«, ächzte Nack, dann knallte seine Stirn wieder auf die Tischplatte.

      »Ganz hin und weg«, fuhr Baiter fort, der offenbar mehr dumm als betrunken war. »Von Euren Abenteuern, meine ich. Ich habe gehört, dass sie Euch eine … wie hat sie’s genannt? Eine Saisonkarte angeboten hat?«

      Diese Einladung war tatsächlich bald, nachdem der erste Zeitungsartikel erschienen war, auf elegantem Briefpapier in Matthews Amtsstube eingetroffen. Er hatte nicht vor, davon Gebrauch zu machen, fand es aber eine nette Geste.

      »Ihr habt doch über Matthew Corbett gelesen, oder, Bonehead? Wenn es ihn nicht gäbe, könnten wir uns nachts nicht auf die Straße trauen, was? Könnten weder auf einen Brandy noch zum Bumsen raus. Ja, Polly redet ständig über ihn«, sagte Baiter. Eine gewisse Härte lag jetzt in seiner Stimme. »Was für ein Gentleman er ist. Wie gescheit und nobel er ist. Alle anderen Männer sind nur mindere Kreaturen, mit denen man sich abfinden muss. Nutzlose Kreaturen. Aber über ihn, oh, da kann die Hure Lieder singen!«

      »Ich glaub‘, die ganze verdammte Geschichte hat sich bloß wer ausgedacht, das denk‘ ich!«, meinte die verschlampte Dame, deren Wurstpelle einst, als sie noch fünfzehn Kilo weniger gewogen hatte, ein Kleid gewesen war. »Das kann ja keiner überleben, mit fünfzig Mann auf einmal zu kämpfen! Das denk‘ ich doch, stimmt’s, George?« Als keine Antwort kam, trat sie gegen den Stuhl des einen unbewussten Trinkbruders, woraufhin er ein leises Stöhnen von sich gab.

      »Fünfzig Mann!« Dippen Nack hob wieder den Kopf. Die Anstrengung trieb ihm den Schweiß auf sein rotes Gesicht mit den dicken Engelsbacken. Allerdings war der Wachtmeister Matthews Meinung nach eher mit dem Teufel als einem Engel verwandt. Einer, der die Gefängnisschlüssel stahl, um nachts die Gefangenen anzupinkeln, stand nicht hoch in Matthews Gunst. »Verdammte Lüge! Und ich, wie ich dem scheiß Evans eins auf die Birne gegeben und Corbett das Leben gerettet hab, und dass dann nicht mal mein Name in dem Scheißblatt steht! Und dafür zum Dank krieg‘ ich dann noch ’n Messer in den Arm! Das ist doch ungerecht!« Nack gab einen erstickten Laut von sich, als würde er gleich zu weinen anfangen.

      »Natürlich ist der ein Lügner, Sam«, sagte Bonehead und nippte an seinem Humpen. »Aber einen schicken Anzug hat er an. Passt auch gut zu so einem Gockel, der so rumstolziert. Wie viel hat Euch der Anzug gekostet?«, fragte Bonehead, den Blick in die Tiefen seines Getränks gerichtet.

      Matthew begann zu ahnen, warum Greathouse ihn hierher gebracht hatte – ausgerechnet hierher, wo zwei Männer in brutalem Streit auf den Fußbodenbrettern verendet waren, die ihm mehr blut- als brandybefleckt aussahen. Von seiner Zeit als Richter Nathaniel Powers‘ Gerichtsdiener wusste Matthew auch, dass selbst Lionel Skelly kein Waisenknabe war, wenn es um Gewalt ging. Der Wirt hatte einst einem Mann die Hand mit einer Axt abgehackt, die er hinter der Theke parat hielt. Es war nicht empfehlenswert, in diesem Etablissement Münzen aus der Kasse mitgehen lassen zu wollen.

      Greathouse mischte sich ein, um die Frage zu parieren: »Viel zu viel, finde ich.«

      Stille.

      Dann stellte Bonehead Boskins langsam seine Tasse hin und richtete seinen Blick auf Greathouse. Boskins sah jetzt ganz und gar wie ein Mann aus, der weder zu betrunken noch zu dumm, aber vielleicht gerade genug von beidem war, um Streit zu suchen. Er schien in der Tat davon überzeugt zu sein, Seitenhiebe austeilen zu können; geradezu erpicht darauf zu sein. »Ich hab mit dem jungen Helden gesprochen«, sagte er. »Nicht mit Euch, alter Mann.«

      Ja, dachte Matthew, während sein Herz zu rasen begann und sein Gedärm sich verkrampfte. Ich habe richtig getippt. Der Verrückte hatte sie hergebracht, damit sie in Handgreiflichkeiten verwickelt wurden. Es reichte nicht, dass Matthew in seinen anstrengenden Fechtstunden, dem Zeichnen von Landkarten, dem Laden und Feuern von Pistolen, dem Reiten und ähnlichen für seine Arbeit erforderlichen Fertigkeiten sehr gute Fortschritte machte. Nein, er wurde in den unsinnigen Faustkämpfen, zu denen Greathouse ihn gezwungen hatte, nicht schnell genug besser. Denkt dran, hatte Greathouse oft wiederholt. Ihr greift mit Eurem Verstand an, bevor die Muskeln zum Einsatz kommen.

      So wie es aussah, wurde Matthew jetzt der Verstand dieses großen Mannes vorgeführt. Möge Gott uns beistehen, dachte er.

      Greathouse erhob sich. Noch lächelte er, auch wenn das Lächeln dünnlippiger geworden war.

      Matthew machte eine neuerliche Kopfzählung. Der Fiedler hatte mit dem Geigekratzen aufgehört. War er ein Streicher oder Streiter? George und sein unbewusster Kamerad lagen noch immer mit den Köpfen auf dem Tisch, aber vielleicht würden sie beim ersten Schlagabtausch wieder zum Leben erwachen. Was Dippen Nack tun würde, konnte niemand sagen. Die schlampige Frau grinste. Ihre Schneidezähne hatte man ihr bereits ausgeschlagen. Baiter würde mit dem Abbeißen der Nase wahrscheinlich warten, bis Bonehead einen Kopf eingeschlagen hatte. Die fünf anderen: Zwei sahen wie raubeinige Dockarbeiter aus, die Lust auf einen guten Kampf hatten. Die restlichen drei an einem der hinteren Tische trugen gute Anzüge, die sie vielleicht nicht beschädigen wollten und pafften Pfarrerspfeifen, auch wenn sie mit Sicherheit keine Gotteshirten waren.

      Es konnte so oder so ausgehen, dachte Matthew, hoffte aber, dass Greathouse das Risiko zu berechnen wusste.

      Statt auf Bonehead zuzumarschieren nahm Greathouse seine Mütze ab, zog sich den Mantel aus und hängte beides an Wandhaken. »Wir wollen hier nur ein Weilchen zusammensitzen. Wie ich schon sagte, wir erwarten jemanden. Weder Mr. Corbett noch meine Wenigkeit suchen Streit.«

      Erwarten jemanden? Matthew hatte keine Ahnung, wovon er redete.

      »Und auf wen wartet Ihr?« Bonehead lehnte sich an den Tresen und verschränkte seine dicken Arme. Eine Schulternaht drohte zu platzen. »Auf Eure Freundin Lord Cornloch?« Neben ihm fing Baiter zu kichern an.

      »Nein«, erwiderte Greathouse. »Wir erwarten einen Mann, den ich möglicherweise für die Herrald Vertretung anheuern werde. Ich dachte mir, dass hier ein interessanter Ort für unser Treffen ist.« In diesem Moment ging die Tür auf. Matthew sah einen Schatten auf der Türschwelle, hörte schwere Stiefel, und Greathouse sagte: »Da ist er ja!«

      Der Sklave Zed kam herein, mit einem schwarzen Anzug, weißen Strümpfen und einer weißen Seidenkrawatte bekleidet.

      Bis auf kollektives Luftschnappen wurde es totenstill. Matthews Augen drohten ihm aus dem Kopf zu quellen, als er Greathouse mühsam ansah. Die Anspannung seiner Halssehnen brach ihm fast den Nacken. »Habt Ihr den Verstand verloren?«, brachte er heraus.

      Kapitel 2

      Mit Verstand oder ohne – Greathouses


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