Das Erbe der Macht - Band 22: Königsblut. Andreas Suchanek

Das Erbe der Macht - Band 22: Königsblut - Andreas  Suchanek


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»Er ist nur ein wenig angestaubt.«

      »Dann bereitet ihr hier alles vor, Kyra und ich sprechen mit ihm.«

      Gemeinsam mit dem jungen Wechselbalg eilte Alex über die Ebene, zurück in die Zuflucht. Die Wachen nickten ihnen zu, die Schutzsphäre ließ sie passieren.

      »So viele Schutzmechanismen«, sprach Alex leise. »Und Merlin müsste nur mit den Fingern schnippen, um sie alle auszulöschen.«

      Sie schritten durch die Halle und die Stufen hinab zu den Katakomben.

      »In meiner Zeit in Frankreich als Tänzerin habe ich viel gesehen«, erklärte Kyra mit einer Stimme, die uralt erschien. »Vor allem Hoffnungslosigkeit. Viele ertränkten sie in Gin oder versuchten, sie in leidenschaftlichen Umarmungen zu vergessen. Nur wenige erhielten sich die Hoffnung. Das waren jene, die nicht untergingen, weil sie am Ende das Dunkle in sich selbst besiegten.«

      Alex betrachtete den jungen Wechselbalg von der Seite. Kyra mochte wirken wie ein Teenager, mit blondem Haar, engen Jeans und Top. Für Wechselbalg-Verhältnisse war sie ein Kind, doch in Menschenjahren eine alte Frau.

      Nach ihrer Zeit als junge Anastasia Romanow hatte sie viele Jahre in der Vergangenheit verbracht und danach den Weg in die Gegenwart gefunden.

      »Manchmal vergesse ich, wer du bist.«

      »Gut so.« Kyra grinste breit. »Ich mag es nicht, wie mich die Männer und Frauen von Moriarty anschauen. Als sei ich ein Geschwür.«

      »Der Hass gegen Wechselbälger wurde gehegt und gepflegt.« Alex durchschritt das Hologramm vor von Thunebecks Labor und stieg die Treppen hinab.

      Es schwappte kurz, als Kyra ihm folgte. »Ich mag es hier unten.«

      Die Essenzmanifestation des verstorbenen Wissenschaftlers eilte geschäftig zwischen den Apparaturen hin und her, kramte in einem Stapel seltsamer Instrumente und rannte zurück zu einer Apparatur, die an eine überdimensionierte Standuhr erinnerte. Im Inneren des Hexenholzkastens befand sich kein Pendel, stattdessen eine Sanduhr, gefüllt mit winzigen Noxanithpartikeln.

      »Ein Meisterwerk, wenn ich das sagen darf.«

      Zufrieden hakte von Thunebeck die Daumen in seine Westentaschen und wippte mit den Fersen auf und ab. »Die Partikel resonieren mit jenen, die in der transzendenten Apparatur verarbeitet werden.«

      Der Noxanith-Sand rieselte von einer Kugel oben in eine zweite unten. Erst jetzt erkannte Alex die Uhr an der Seite. Sie bestand gänzlich aus dunklem Metall mit einfachen Strichen und einem Zeiger.

      »Er steht auf sieben.«

      Von Thunebeck nickte. »In sieben Stunden erfolgt unser nächster Sprung.«

      »Wie sicher ist diese Anzeige?«, hakte Alex nach.

      »Ich habe die Apparatur entwickelt.« Von Thunebeck wirkte ob der Nachfrage regelrecht schockiert.

      »Wie sicher?«

      »Nun, wie bei jedem großen Werk, das von einem großen Geist erschaffen wurde – und das euer Leben gerettet hat –, gibt es gewisse Spielräume in der Interpretation.«

      Der Zeiger stupste die Sieben an, zitterte dabei jedoch.

      »Und wie groß ist dieser Spielraum?«

      »Eine Stunde plus oder minus, allerdings können wir das erst nach diesem Sprung sicher sagen«, merkte er an.

      Alex wechselte einen Blick mit Kyra. »Möglicherweise sollten wir warten …«

      »Oder wir suchen einen Platz weit entfernt von der Zuflucht«, überlegte Kyra. »Und wenn das Ritual beendet ist, senden wir ein Leuchtfeuer, damit Nikki oder Madison uns abholen können.«

      Sie verabschiedeten sich von dem Wissenschaftler und stiegen die Treppen hinauf. Obgleich sie Merlin entkommen waren, schien er beständig in ihren Nacken zu atmen. Vor der Zuflucht erwartete sie ein kalter Wind, der über die Ebene strömte. Es gab kaum Hindernisse, wodurch die Wucht ungebremst auf sie einströmte. Alex hätte sich gerne mit Tee und Keksen in eine Decke gekuschelt.

      »Was ist das?« Kyra deutete nach vorne.

      Magentafarbene Essenz loderte in die Höhe wie entzündete Flammen. Ein Schrei erklang, der wie Donner über die Ebene hallte. Neongrüne Essenz schoss in die Luft, Erde wurde in die Höhe geschleudert, als wäre eine Bombe darunter detoniert.

      »Chloe ist wach.« Alex hatte seinen Essenzstab bereits gezogen und rannte auf die Freunde zu.

      Kyra verformte ihre Gestalt. Als Wolf schoss sie auf den magischen Kreis zu, viel schneller, als Alex laufen konnte.

      Im Näherkommen sah er Chloe, die ihren Zeigefinger durch die Luft gleiten ließ, um ein magisches Symbol zu vollenden. Eines, das Alex sofort erkannte. Ein Leuchtfeuer. Und sobald es loderte, würde Merlin wissen, wo er hineilen musste.

      Samuel«, sagte Anne nur und deutete auf einen hageren Mann im mittleren Alter. »Er ist quasi mein erster Offizier.«

      Tomoe schwieg und betrachtete den Dreimaster. Es wunderte sie keinen Moment, dass die ehemalige Piratenkönigin ein historisch anmutendes Schiff dieser Größe ausfindig gemacht hatte. Möglicherweise war bei der Instandsetzung Magie im Spiel gewesen.

      Ein letzter Schritt, dann stand Tomoe auf dem Deck. Die Planke wurde eingeholt, Befehle wurden gebrüllt. In der Takelage schwangen sich Matrosen umher, eine Frau mit Fernglas stand an der Reling.

      »Hast du ein Zeitportal geöffnet und sie alle hergeholt?«, fragte Tomoe.

      »Das hier ist eine Chance. Wir sind ständig in Bewegung, Merlin kann uns nicht finden und wir halten uns aus dem großen Krieg heraus.« Anne stemmte die geballten Hände in die Hüften und ließ den Blick stolz über ihre Crew schweifen. »Täusche dich nicht, die Faust von Anne hat durchaus Annehmlichkeiten.«

      Tomoe war gespannt darauf, diese zu erkunden. Nach einer ewig anmutenden Flucht fühlte sie sich ausgelaugt und verdreckt. Noch wichtiger aber waren ihr Informationen.

      »Hast du einen Kurs für uns?«, hakte Anne nach.

      »Einstweilen hinaus auf hohe See«, blieb sie vage. »Wir beide müssen uns zuerst unterhalten.«

      Anne verzog die Lippen zu einem Lächeln. »Nichts anderes hätte ich von dir erwartet. Da sag noch mal jemand, du könntest nur Zahlen schubsen und Aktien verschieben.«

      Bevor Tomoe ihr dazu deutlich die Meinung sagen konnte, setzte Anne sich in Bewegung. Sie steuerte auf den Deckaufbau zu, der typischerweise die Kabine des Kapitäns enthielt. Während Samuel zurückblieb, schloss Tomoe sich an.

      Die Kapitänskajüte war gemütlich eingerichtet. Ein dicker Teppich lag auf dem Boden, der Schreibtisch war gewaltig. An der Seite stand ein Messingglobus, auf dem die Faust von Anne als winzige Illusionierung zu erkennen war, die rasch die Position veränderte. An den Wänden hingen Gemälde, die das dichte Grün einer Insel zeigten, ein altes Holzhaus und – einen Kerker.

      »Ich wusste nicht, dass du auch Malerin bist.« Tomoe nickte mit dem Kinn in Richtung der Gemälde.

      »Hat nicht jeder eine Passion? Ein Talent?« Anne sank in ihren ledergepolsterten Stuhl. »Ich schlitze nicht nur Feinde auf, weißt du.«

      Was Tomoe in einem Satz verdeutlichte, dass sie auf unterschiedlichen Seiten standen – und das völlig unabhängig von Licht und Schatten. Sie selbst handelte nach einem Kodex der Ehre, sie verletzte nur in Notfällen, war nicht bereit, Leben aus Freude zu nehmen. Anne hingegen schien von einer zerstörerischen Flamme angetrieben zu werden, die nach Blut lechzte.

      »Du hast Merlin also den Rücken gekehrt?«, fragte Tomoe und ließ sich ohne Aufforderung in den Besuchersitz sinken.

      »Sagen wir: Als die Blutnacht begann, habe ich das als mein Stichwort betrachtet.« Sie zuckte leichthin mit den Schultern. »Merlin wollte, dass ich ab diesem Punkt


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