Die Seele Chinas. Richard Wilhelm

Die Seele Chinas - Richard Wilhelm


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hätten. Dafür war schon durch die bunte Zusammensetzung des Stabes gesorgt, der eine starke Einheit außerhalb der nationalen Schranken bilden musste, wenn er überhaupt bestehen wollte. Diese Solidarität hat sich auch recht gut bewährt. Erst im Weltkrieg ist sie in die Brüche gegangen, und die deutschen Angehörigen dieser Behörden wurden brutal entfernt. Das ist natürlich aufs Tiefste zu beklagen, wenn auch hier gewiss ist, dass die Nemesis ihren Lauf nehmen wird: Was mit den Deutschen zuerst geschah, wird mit den anderen fremden Staatsangehörigen über kurz oder lang auch geschehen. Man kann wohl sagen, dass der chinesische Seezoll in seiner bisherigen Form im Weltkrieg prinzipiell den Todesstoß bekommen hat.

      Wenn nun aber der Seezoll als wirtschaftliche Behörde in China sehr gut gewirkt hat, so kann man doch, von einzelnen Ausnahmen abgesehen, nicht sagen, dass er als Keimzelle für die übrigen Reformeinrichtungen in Betracht gekommen wäre. Als wirtschaftliche, verhältnismäßig wohlbegrenzte Einrichtung vertrug er wohl zur Not die starke Selbstständigkeit der fremden Beamten, die der chinesischen Regierung gegenüber sehr souverän mit den von ihnen eingezogenen Geldern verfuhren. Auf anderen Gebieten hätte ein solcher Staat im Staate den Tod der chinesischen Unabhängigkeit bedeutet. Sir Robert Hart hat auch die Gelegenheit, die ihm bei der Begründung der Hochschule T’ung Wen Kuan in Peking gegeben war, nicht so benützt, dass daraus wirklich eine musterhafte Anstalt geworden wäre. Erst nach langen, schwierigen Arbeiten ist unter chinesischer Leitung allmählich die jetzige Peking-Universität an ihre Stelle getreten. Auch die Missionare konnten sich bei allem guten Willen häufig von den christlichen Beschränkungen nicht ganz los machen. Die von ihnen geleiteten Universitäten hatten alle die Tendenz, den Christen irgendwelche Prärogativen zu geben. Wo ein Einzelner weitsichtiger gewesen wäre, wurde er von den Übrigen aufs gehässigste angegriffen. So war der alte, ehrwürdige D. Martin, der ein gutes Wort für den Ahnendienst einzulegen wagte – der nebenbei bemerkt in Japan keine Missionsschwierigkeit gemacht hat –, lange Jahre hindurch verfemt und geschmäht.

      Man musste irgendwie seinen Weg im Ungewissen vorantasten. Es entstanden Schnellpressen, um das nötige Lehrermaterial auszubilden. Ein Raritätenkabinett und Panoptikum unter Leitung eines englischen Missionars in Tsinanfu genoss allgemeine Hochachtung, und man nahm sogar die Predigten in Kauf, die man über sich ergehen lassen musste, ehe man zugelassen wurde zum Anblick der Wunder des Westens.

      Daneben wurden Studenten ins Ausland geschickt, um dort die neue Wissenschaft an der Quelle zu trinken. Aber auch hierin herrschte kein System. Erst als Amerika den Überschuss der Boxerindemnität an China zurückgab, damit jährlich eine Anzahl chinesischer Studenten in amerikanische Universitäten geschickt werden, begann eine wirklich wissenschaftliche Ausbildung der chinesischen Jugend. Das aber war erst später. Zunächst wandte sich der große Strom der Lernbegierigen nach Japan. Man kann nicht sagen, dass Japan der ihm hieraus entstehenden Aufgabe gewachsen gewesen wäre. Allerdings muss man zugunsten Japans anführen, dass der Andrang die ordentliche Aufnahmefähigkeit der japanischen höheren Schulen bei Weitem überstieg. So mischte sich private Tätigkeit oft recht zweifelhafter Art in den Betrieb. Gleichzeitig waren die Sendboten der chinesischen Revolution unter den jungen Leuten tätig. Es gab mancherlei Konflikte, und schließlich kamen die meisten wieder zurück, nicht sehr wesentlich gefördert an Kenntnissen, aber reif für die Revolution.

      Viertes Kapitel

      Die Revolution

      Während die Dinge in China immer chaotischer wurden, starb mit der Kaiserin-Witwe Tsi Hsi die einzige starke Persönlichkeit, die imstande gewesen war, die Verhältnisse nach einheitlichen Gesichtspunkten zu regeln und den Ehrgeiz einzelner Satrapen so weit zu dämpfen, dass keine Gefahr für die Gesamtheit erwuchs. Sie war es auch gewesen, die die Reformen gegen die sehr widerstrebenden Mandschukreise und ihren Anhang in der Hauptstadt mit großer Energie vertreten hatte. Bei dem ungeheuren passiven Widerstand dieser Leute, die naturgemäß ihre ganze Drohnenexistenz aufs Spiel gesetzt sahen, wenn die Reformen nicht wirksam sabotiert werden konnten, war ohne eine solche Persönlichkeit von ganz überragender Kraft nicht daran zu denken, dass etwas wirklich Gründliches sich durchsetzen werde.

      Der Tod der Kaiserin-Witwe trat nach einer längeren Krankheit ein. Unmittelbar vorher starb ihr schwacher Neffe auf dem Thron. Man hat viel davon gesprochen, dass sie ihn, als sie ihren Tod herannahen fühlte, habe ermorden lassen. Beweise dafür sind nicht vorhanden. Der Kaiser war schon lange vorher gesundheitlich sehr herunter, und selbst wenn er ermordet worden ist, kann es von seinen Feinden und den Eunuchen geschehen sein, ohne dass sie einen Auftrag dazu hatten. Schon zu Lebzeiten haben sie ihn reichlich schlecht behandelt und oft lange vor dem Tor knien lassen, wenn er seine Tante besuchen wollte. So wäre es durchaus verständlich, dass sie nicht wünschten, nach dem Tod ihrer Herrin in seine Hände zu geraten und dass sie darum der Abwendung dieses Ereignisses künstlich nachhalfen. Jedenfalls aber schien die alte Herrscherin bei Erhalt der Nachricht eher erleichtert zu sein. Sie ging nun unverzüglich daran, ihren zweijährigen Großneffen, den Sohn des Prinzen Tschun, der als Sühneprinz in Deutschland bekannt ist, zum Kaiser ausrufen zu lassen, obwohl in dem Prinzen P’u Lun und dem Prinzen Kung zwei nähere Aspiranten vorhanden waren. Aber energisch bis zuletzt setzte sie ihren Willen gegen allen Widerstand durch, dann starb sie.

      Man kann nicht sagen, dass dem Prinzen Tschun, der für seinen unmündigen Sohn zunächst die Regentschaft führen musste, eine leichte Aufgabe zugefallen war. Was der Energie der verstorbenen Fürstin schon schwer geworden war, wurde für ihn doppelt erschwert, da er nicht in der durch Jahrzehnte lange Gewohnheit befestigten Stellung war, die sie eingenommen hatte, vielmehr mitten im Streit der Intrigen drin stand, die namentlich im Prinzen P’u Lun einen Mittelpunkt hatten, der sich als eine Art von Citoyen Orléans aufspielte4.

      Wenn das aber auch in Betracht gezogen werden muss, so kann man doch wohl sagen, dass ihm auch die Kräfte fehlten, die zu einer so heroischen Aufgabe gehörten. Der mächtigste Mann in China war damals Yüan Schï K’ai. Zwischen ihm und dem Throne aber stand der Schatten des verstorbenen Kaisers. Es heißt, dass dieser ein Schriftstück hinterlassen habe, das, fast unleserlich geschrieben, mit folgenden Worten begonnen habe:

      »Ich war der zweite Sohn des Prinzen Tschun5, als die Kaiserin-Witwe mich für den Thron erwählte. Sie hat mich stets gehasst, aber an meinem Elend während der letzten zehn Jahre ist Yüan Schï K’ai schuld. Wenn die Zeit kommt, wünsche ich, dass er unnachsichtlich enthauptet wird.«

      Dieses Schriftstück wurde zwar später von der Gemahlin des Kaisers beiseite gebracht, jedoch nicht, ohne dass es vorher von unabhängigen Zeugen gesehen worden war.6 Dem Prinzregenten blieb also nur die Wahl, entweder diesen letzten Wunsch seines toten Bruders auszuführen und Yüan Schï K’ai unschädlich zu machen oder über den Toten hinwegzugehen und Yüan Schï K’ai sein volles Vertrauen offen anzubieten. Er tat das Einzige, was unmöglich war: Er reizte den Löwen aufs Äußerste, ohne ihn wehrlos zu machen. Durch ein Edikt übertrug er Yüan Schï K’ai die Beerdigung des verstorbenen Kaisers. Natürlich fand sich niemand, der ihn des Mangels an Sorgfalt dabei anklagte. Infolge davon jagte der Prinzregent Yüan Schï K’ai schimpflich aus Amt und Würden, wie man etwa einen Hausknecht wegschickt. Yüan Schï K’ai verbiss den Groll. Er zog sich in seine Heimat in Honan zurück, hielt sich still und ließ Fotografien anfertigen, wie er im Strohmantel in ländlicher Umgebung den Freuden des Angelns sich hingab, fern von der großen Welt und ihrem Treiben. Die Fotografien verschenkte er an seine Freunde. Im Stillen aber hielt er seine Fäden in der Hand. Bei Hofe hatte er einen guten Freund im Senior des Kaiserhauses, dem Prinzen K’ing, mit dem er lange Hand in Hand gearbeitet hatte, und auch sonst hatte er an allen entscheidenden Posten seine Leute sitzen. So wartete er, bis seine Zeit gekommen war. Und diese Zeit kam.

      Die Mandschu-Aristokratie benützte die neuen chaotischen Verhältnisse, um ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Die Reformen drängten sich. Es wurde eine Menge Geld ausgegeben und doch nichts Wirkliches erreicht. Diese Zustände führten zu einer weitgehenden Missstimmung im ganzen Reich. Die Beamten, die einer klaren und einheitlichen Leitung von oben her entbehrten, kamen unter all den verschiedenen sich drängenden Reformedikten, für deren Durchführung sie an Ort und Stelle Gelder aufbringen sollten, in die größte Verlegenheit. Die Bande der Autorität lösten sich immer mehr. Es ist kein Wunder, dass unter


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