Seewölfe - Piraten der Weltmeere 60. Fred McMason

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 60 - Fred  McMason


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O’Flynn mit seinem Holzbein in der Kuhl auf. Auf seinen beiden Holzkrücken humpelte er heran, ein verwitterter, rauhbeiniger Bursche. Schon vorhin hatte er ein paar Brokken vernommen, Wortfetzen, die ihm mehr als genug sagten.

      Er hob eine Krücke hoch und drohte damit in den Großmars, wo Dan Ausguck bezogen hatte.

      „Warte, du lausiger Hurenbock!“ rief er zu seinem Sohn hinauf. „Dir werde ich deine verdammte Pfeiferei noch austreiben. Weiß der Teufel, was du alles heraufbeschworen hast!“

      „Vielleicht ist dein verdammtes Holzbein an dem Sauwetter schuld“, fluchte Dan.

      Der Alte war nicht zu bremsen.

      „Ich seh schwarz“, knurrte er, „pechschwarz. Man kann ja Himmel und Wasser nicht mehr voneinander unterscheiden. Sind wir jetzt oben oder unten? Ich glaube, das verdammte Schiff wird immer größer, und wir segeln direkt in den Wolken wie die ‚Mary Dun of Dover‘, die wurde auch immer größer.“

      „Erzähl mal“, forderte ihn Carberry auf. „Was war mit dem Kahn?“

      Old O’Flynn senkte seine Stimme, verstohlen sah er sich nach allen Seiten um.

      „Ihr kennt die Geschichte nicht? Die ‚Mary Dun of Dover‘ geriet in ein ganz merkwürdiges Wetter, so wie wir jetzt. Vielleicht ist sie zwischen zwei Welten geraten, wer weiß das schon! Jedenfalls wurde sie immer größer und länger, ein richtiges Wolkenschiff. Die aufenternden Schiffsjungen kamen alle als Greise wieder herunter und der Kapitän mußte seine Befehle vom Achterzum Vordeck durch berittene Seeleute überbringen lassen. Sie paßte nicht mal mehr durch die Straße von Dover durch, und erst als sie mit Seife geschmiert wurde, da ging es mit Mühe und Not. Noch heute sieht man die waagrechten Streifen an den Kreidefelsen von Dover ganz deutlich. Und weil das Meer nicht tief genug für sie war, warfen sie einen Teil Ballast über Bord. So, entstand die Insel Bornholm, und von der Asche die aus der Kombüse geworfen wurde, entstand die kleine Insel Christiansö. Jetzt kennt ihr die Geschichte“, schloß der Alte.

      Carberry peilte zum Achterkastell. Er hatte das Gefühl, als wäre die „Isabella“ tatsächlich ein ganzes Stück länger geworden. Dieses merkwürdige fahle Licht, das nicht Nacht und nicht Tag war, ließ alle Maße ganz anders erscheinen. Auch die anderen blickten zuerst mißtrauisch auf Old O’Flynn, dann zum Achterkastell. Sichtlich beeindruckt nickten sie schweigend.

      Und in die tiefe Stille, die nach O’Flynns Worten herrschte, dröhnte Dans Stimme aus dem Großmars.

      „Land backbord voraus!“

      Alle Köpfe drehten sich ruckhaft herum.

      Land? Hier, vor der Echo-Bank im Sargasso-Meer? Das gab es nicht.

      Hasard, der genau wußte, daß er sich auf Dans scharfe Augen unbedingt verlassen konnte, sah in die angegebene Richtung. Er mußte die Augen zusammenkneifen, um den winzigen schmalen Strich zu erkennen. Eine Täuschung – hervorgerufen durch das Licht?

      Brighton reichte ihm das Spektiv. Hasard zog es auseinander und sah lange hindurch.

      „Könnte eine kleine Insel sein“, sagte er dann. „Welcher Kurs liegt an, Ben?“

      „Südsüdwest liegt an. Soviel ich weiß, gibt es hier keine einzige Insel.“

      „Seltsam“, meinte Hasard. „Wir sind allem Anschein nach nicht abgedriftet und dennoch taucht hier Land auf. Ich kann mir das nicht erklären.“

      „Steuerbord querab, Land in Sicht!“ rief Dan erneut aus dem Großmars. „Scheint sich um eine kleine Inselgruppe zu handeln.“

      „Das wird ja immer merkwürdiger“, sagte Ben. Auch er blickte angespannt durch das Spektiv, bis ihm die Augen tränten.

      Das Licht war jetzt so diffus geworden, daß jeder an eine optische Täuschung glaubte. Ein Himmel, der so aussah, als fiele er jeden Moment herunter, ein Meer, das so erschrekkend in seiner gelbbraunen Farbe wirkte, das es aussah, als stiege es dicht vor ihnen in den Himmel. Hasard hatte mitunter das Gefühl, als habe sich ein Tor zu einer unbekannten Welt geöffnet und gestatte ihnen einen kurzen Einblick in etwas gänzlich Fremdes.

      Und dann diese kleinen Inseln. Sie wußten nicht – waren sie weit weg oder nahe daran, waren es Inseln, oder war es etwas anderes?

      Je länger der Seewolf durch das Spektiv blickte, desto mehr entfernten sich die kleinen Eilande. Er wollte dieses Phänomen ergründen, schon um seinen Männern zu beweisen, daß hier alles mit rechten Dingen zuging und sie endlich damit aufhörten, sich gegenseitig Schauermärchen zu erzählen.

      „Etwas abfallen, Pete!“ rief er dem Rudergänger zu. „Halte Kurs auf die kleine Insel!“

      „Aye, aye, Kurs auf die Insel“, wiederholte Pete Ballie.

      In der Kuhl reckten sie die Köpfe, als die „Isabella“ auf den neuen Kurs ging. Sie schwenken nur schwerfällig herum, denn der Wind war schon wieder am Einschlafen. Nur die ungemütliche Dünung hob und senkte den Bug des Schiffes, und allen drängte sich der Vergleich mit einem schlafenden Riesen auf, dessen Brust sich unter den Atemzügen hebt und wieder senkt.

      Eine knappe Stunde lang segelte die „Isabella“ der kleinen Insel entgegen, ohne sie zu erreichen. Das Eiland rückte auch nicht näher.

      Hasard preßte die Lippen zusammen.

      „Hast du schon mal eine Insel gesehen, die sich entfernt, wenn man auf sie zusegelt, Ben?“

      Brightons Gesicht war blaß. Immer wieder rieb er seine Hände an der Hose und schüttelte den Kopf.

      „Das – das kann keine Insel sein“, erwiderte er heiser. „In was, verdammt und zugenäht, sind wir da hineingeraten?“

      Ferris Tucker enterte aufs Achterkastell. Unverwandt starrte er zu dem kleinen Eiland, das sich nicht näherte.

      „Ob wir festsitzen?“ fragte er. „Es sieht zwar so aus, als liefen wir gute Fahrt, aber in Wirklichkeit sitzen wir auf Grund, ohne daß wir es bemerkt haben, und nur die Strömung streicht an der Bordwand vorbei. Deshalb rückt das verfluchte Land auch nicht näher.“

      Hasard und Ben Brighton sahen sich betroffen an. So unrecht hatte der gute Ferris vielleicht gar nicht einmal.

      Aber wenn sie auf Grund saßen, weshalb hatte es dann niemand bemerkt?

      „Tiefe ausloten!“ befahl der Seewolf.

      Smoky warf die Lotleine über Bord. Das Bleistück versank sofort.

      „Acht Faden, zehn, fünfzehn, zwanzig“, meldete er. „Kein Grund unter dem Schiff.“

      „Verdammt! Miß auch noch auf der anderen Seite, Smoky!“

      Das Ergebnis blieb das gleiche, und damit wurde das Rätsel um die geheimnisvolle Insel noch größer. Ja, mehr noch, es wurde ihnen immer unheimlicher und mulmiger zumute. Der kleinen Insel, der sie entgegensegelten, wie sie glaubten, folgte die andere Insel in genau der gleichen Geschwindigkeit. Der Abstand veränderte sich nicht.

      Dan hockte oben im Großmars und rührte sich nicht mehr. Schluckend fragte er sich, ob vielleicht doch seine verdammte Pfeiferei an allem schuld sei.

      „Kurs Südsüdwest!“ befahl Hasard.

      Er hatte genug von diesen geheimnisvollen Inseln und wollte ihnen nicht den ganzen Tag nachsegeln. Der Teufel sollte die merkwürdigen Gebilde holen.

      Eine weitere halbe Stunde danach waren die Inseln verschwunden, als hätte es sie nie gegeben.

      Erst nach weiteren zwei Stunden tauchten sie wieder auf, verwaschene kleine Flecken, unheimlich und geheimnisvoll anzusehen im diffusen Halbdämmer einer Zone des Sargassomeeres.

      Hasard grübelte stundenlang darüber nach, doch zu einem Ergebnis gelangte er nicht. Die immer wieder weit entfernt auftauchenden Inseln nervten die Seewölfe. Sie konnten diese Gebilde nicht einordnen. Auf den Inseln schien nichts zu wachsen, keine Palmen, keine Büsche, nicht einmal eine spärliche Vegetation. Vögel ließen sich


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