Seewölfe - Piraten der Weltmeere 62. John Curtis
die „Isabella VIII.“ zu tragen vermochte, denn der Seewolf und seine Männer waren sich darüber im klaren, daß sie jetzt mit dem Tod um die Wette segelten. Einem Tod, der sie aus dem schwarzen Auge anstarrte, das sich weiter und weiter am Horizont hochschob und dabei ständig größer wurde.
Zur selben Stunde, rund hundertfünfzig Meilen südlich der Caicos-Inseln, bahnten sich ebenfalls schlimme Ereignisse an.
Die „Schildkröte“, eine üble Spelunke, die sich Caligu und seine Spießgesellen in einer der Grotten an der Südseite der Insel eingerichtet hatten, war das Hauptquartier des riesigen Piraten. Dort hielt Caligu zusammen mit Maria Juanita, seiner ihn ständig begleitenden Geliebten, und seinen wüsten Kerlen noch wüstere Gelage ab. In dieser Grotte wurde gesoffen, gehurt und geprügelt. Nicht selten gab es Tote, und die warf man der Einfachheit halber gleich ins Wasser, wo die Haie über sie herfielen. Denn die See zwischen Tortuga und den anderen vorgelagerten Inseln wimmelte nur so von diesen gefährlichen Räubern, und längst hatten die Haie gemerkt, daß es an der Schildkröteninsel oft fette Beute für sie gab, vor allem an der Steilklippe westlich des Hafens, der sogenannten „Totenrutsche“.
An diesem Tag, an dem sich über der Karibik ein Hurrikan zusammenbraute, hielt Caligu, vor dem die ganze Inselwelt der Karibik zitterte, wieder eins seiner Gelage ab. Das Gegröle der Betrunkenen und das Girren und Gekreische der Weiber in der Grotte drang weit über die Insel. Nur ein Unterschied zu seinen sonstigen Gelagen bestand: Caligu war diesmal noch nicht sinnlos betrunken, sondern er befand sich in einem Zustand, in dem ihm jeder, der ihn kannte oder der auch nur von ihm gehört hatte, in weitem Bogen aus dem Wege ging.
Maria Juanita beobachtete ihn aus schmalen Augen. Sie kannte Caligu von allen seinen Kreaturen am besten. Mehr noch – sie verstand es, Caligu um den kleinen Finger zu wikkeln, wenn ihr das notwendig erschien. Sie beeinflußte seine Entscheidungen weit mehr, als es ihm je bewußt wurde, aber sie hütete sich auch, Caligu das merken zu lassen.
Maria Juanita hatte eine harte Zeit hinter sich – und diese Zeit hatte ihre Spuren an ihr hinterlassen. Eine brandrote Messernarbe durchzog ihr Gesicht – eines der Andenken aus ihren gemeinsamen vielen Zusammenstößen mit dem Seewolf, die jedesmal ihr Ende in vernichtenden Niederlagen gefunden hatten. Maria Juanita kannte keinen Menschen, den sie so glühend haßte, wie den Seewolf. Denn er hatte sie um alles gebracht, was sie sich in langen Jahren in der Neuen Welt als spanische Hure zusammen mit den anderen Mädchen erschuftet hatte. Jedenfalls sah Maria Juanita das so.
Bei den Cayman-Inseln war sie auf Caligu gestoßen, und der wilde Pirat hatte sie sich genommen, ob ihr das paßte oder nicht, indem er ihren vorherigen Liebhaber kurzerhand umbrachte.
Zunächst hatte Maria Juanita auch Caligu gehaßt, glühend gehaßt für all die Demütigungen, die der Pirat ihr vor den Augen der Mädchen zufügte. Aber dann war plötzlich alles anders geworden. Sie hatte erkannt, was in diesem Caligu steckte. Ganz abgesehen davon, daß sie ihm schon nach wenigen Wochen völlig verfallen war, benutzte sie ihn als ihr Werkzeug. Sie suggerierte ihm in all den Nächten, die sie mit dem riesigen Piraten verbrachte, was er unternehmen sollte und was nicht.
Sie hetzte Caligu auf den Seewolf, immer wieder – und sie hatte auch ihren Haß auf diesen Mann niemals vergessen. Als sie dann ihre Jagd nach der letzten, entscheidenden Schlacht in der Windward Passage hatten abbrechen müssen und die „Isabella“ mit ihrer Beute für immer verschwunden war, hatte sich der Haß Juanitas auf den Seewolf nur noch tiefer in ihr Bewußtsein gebrannt. Und irgendwie spürte sie, daß sie dem Seewolf und seinen Männern noch einmal in der Karibik begegnen würden.
Allerdings hatte Caligu die Zeit nach dem endgültigen Verschwinden des Seewolfs und seiner „Isabella“ aus den karibischen Gewässern genutzt. Er hatte Beutezüge unternommen und auch reiche Beute gemacht. Niemals ließ er einen seiner Gefangenen am Leben, alle wurden entweder bestialisch umgebracht oder den Haien in der Karibischen See zum Fraß vorgeworfen.
Auch auf Tortuga, der Schildkröteninsel, hatte sich Caligu zum absoluten Herrscher emporgeschwungen. Er verfügte neben seiner eigenen Galeone – einem Beuteschiff – noch über zwei andere Schiffe. Zwei schnelle Karavellen, die zumeist die Aufgabe hatten, den Gegner aufzuspüren, zu stellen und lahmzuschießen. Und bisher hatte diese Taktik auch immer geklappt.
Caligu hob einen schweren Krug und leerte ihn auf einen Zug. Dann rülpste er laut und vernehmlich und sah Maria Juanita aus schmalen Augen an.
„Du denkst wieder an diesen verfluchten Bastard von Seewolf“, sagte er und langte blitzschnell zu. Seine dunklen Augen hatten sich zu Schlitzen verengt und starrten Maria Juanita an. Wie bei Maria Juanita zog sich auch über seine Wange eine breite Messernarbe. Unter seiner dunklen Haut spielten die Muskeln, seine leicht wulstigen, sinnlichen Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Grinsen.
„He, besorg ich es dir nicht gut genug?“ grölte er plötzlich in die Grotte hinein. „Oder warum denkst du ständig an diesen dreimal verfluchten Hurensohn von Seewolf?“
Er zog Maria Juanita zu sich heran und langte ihr unter den Rock, dessen raffinierter Schnitt ihren vollkommenen Körper voll zur Geltung brachte.
Maria Juanita entzog sich geschickt seinen Händen.
„Du weißt genau, warum ich an diesen Dreckskerl denke. Ich habe es dir schon oft genug gesagt. Dieser Hund kehrt in die Karibik zurück, eines Tages taucht er hier wieder auf. Er hat uns alle hereingelegt, oder glaubst du etwa immer noch, daß dieser Kerl und seine Männer all die Schätze, die seine „Isabella“ geladen hatte, nach England gesegelt und dort der Königin brav abgeliefert haben?“
Sie entzog sich Caligu mit einer geschmeidigen Bewegung, als er erneut zupacken wollte.
Caligu lachte dröhnend, und das war der Moment, in dem seine Galgenvögel begannen, zu ihrem Anführer hinüberzusehen. Langsam – weil sie witterten, daß etwas in der Luft lag – rückten sie näher.
„Als ob ich je so ein Dummkopf gewesen wäre, das zu glauben. So dämlich ist niemand, eine solche Beute abzuliefern. Mit dem, was diese verfluchte „Isabella“ an Schätzen in ihrem Rumpf hatte, können der Seewolf und seine Bastarde bis in alle Ewigkeit ein Leben führen, von dem wir nur träumen werden!“
Das Gesicht des Piraten verzerrte sich, denn in diesem Moment tauchten alle jene bitteren Niederlagen vor seiner Erinnerung auf, die der Seewolf ihm damals zugefügt hatte. Und zwar immer dann, wenn Caligu sich bereits am Ziel seiner Wünsche gewähnt, wenn er schon geglaubt hatte, den Seewolf endgültig in der Falle zu haben.
Er sprang auf und riß sein langes Entermesser heraus.
„Wo immer mir dieser Hundesohn begegnet“, brüllte er in die plötzliche Stille hinein, „werde ich ihn niedermachen und abstechen wie einen tollen Hund!“
Unwillkürlich zogen sich die Männer einige Schritte zurück. Sie kannten Caligu, und sie wußten, daß man sich besser von ihm fernhielt, wenn er in dieser Stimmung war. Nur einer, ein Mann, der noch nicht lange zu seiner Crew zu gehören schien, begriff das offenbar nicht. Er trat einen Schritt auf Caligu zu.
„Du nimmst das Maul ziemlich voll, nach allem, was ich über die Sache gehört habe“, sagte er. „Wenn das so einfach gewesen wäre, wie du heute tust, dann hätte dir dieser Seewolf niemals entwischen dürfen.“
Caligu fuhr herum. Seine kohlschwarzen Augen begannen zu glühen. Seine leicht wulstigen Lippen verzerrten sich, und die Flügel seiner geraden, schmalen Nase begannen zu beben.
Langsam ging er auf den Neuling zu.
„Ich nehme also mein Maul zu voll?“ fragte er gefährlich leise. „Und du lausige Ratte wagst es, mir das ins Gesicht zu sagen? Wo warst du verfluchter Dreckskerl denn, als wir in der Windward Passage gegen den Seewolf kämpften? Und wir hätten ihn auch erwischt, wenn nicht dieser Verrückte mit seinem riesigen Schiff aufgetaucht wäre, dieser verdammte Wikinger! Der Seewolf saß in der Falle, und er wußte es auch. Aber dieser tollwütige Bursche, der hat dann alles verdorben. Der Teufel mag wissen warum, denn er selbst ist dabei mit Mann und Maus in die Luft geflogen!“
Der Neuling begriff noch immer