Dr. Norden Bestseller Staffel 3 – Arztroman. Patricia Vandenberg
aber es sollte wohl so sein, Carrys wegen. Ich möchte, dass dieses junge Leben erhalten bleibt, dass sie gesund wird. Aber du verstehst wohl, dass ich nur mit einem Freund, der mich von früher kannte, über diese Geschichte sprechen konnte, Daniel.«
»Jetzt ist doch alles schon ein bisschen leichter«, sagte Daniel. »Und warum solltest du deinen Beruf nicht mehr ausüben?«
»Rick hatte viele einflussreiche Freunde. Mir fehlt es an dem Talent, mir Freunde zu schaffen. Ich habe zu viel da drunten bemängelt.«
»Das hat doch hier keine Gültigkeit! Hier hast du jedenfalls Freunde.«
»Danke, dass du es sagst, aber es gibt da Leute, die einen langen Arm haben, weitreichende Verbindungen, und es gibt auch in Europa Leute, die Dr. Richard Wordings Genialität überaus schätzen und seine Krankheit als Folge seiner aufsehenerregenden Versuche betrachten. Vielleicht begann sie auch dadurch, vielleicht bin ich nicht objektiv. Aber ich war schon lange mit ihm fertig, als er sich dann meiner erinnerte. Es ist schlimm, wenn man den wahren Charakter eines Menschen kennt, der einem einmal etwas bedeutete. Mein Gott, wie schnell die Zeit verrinnt. Der arme Hermannke wird hungrig sein.«
»Da mach dir keine Sorgen. Er sitzt bei Lenni und wird von ihr versorgt.«
»Was seid ihr lieb«, sagte Miriam bewegt. »Und ich komme euch nur mit meinen Sorgen.«
»Du wirst hoffentlich bald und recht oft wiederkommen«, sagte Daniel. »Ich muss jetzt leider in die Praxis, weil ich ein paar Patienten bestellt habe. Wir müssen über deine Geschichte noch sprechen und sie in Ordnung bringen, Miriam. Denk daran, was wir früher immer sagten: Was uns nicht umbringt, macht uns stärker.«
»Du ahnst nicht, wie oft ich daran gedacht habe, nur der Glaube fehlte mir daran.«
»Und den braucht man, Miriam«, sagte Fee. »Ich meine, dass ein Mensch, der sich so um das Leben eines anderen sorgt, sich selbst nicht aufgegeben hat!«
»Heute sieht alles schon anders aus«, sagte Miriam verhalten. »Und wenn Carry gesund wird, wenn ich ein bisschen dazu beitragen kann, wird die Welt nicht mehr so düster aussehen.«
Hermannke bedankte sich für das gute Essen, das ihm vorgesetzt worden war.
Fee umarmte Miriam spontan. »Kopf hoch«, sagte sie, »und lassen Sie bald von sich hören.«
Daniel begleitete sie hinaus. »Was ich noch sagen wollte, Miriam«, murmelte er leicht verlegen, »du kannst dich in jeder Beziehung auf uns verlassen. Verstehe auch das richtig«, fügte er hinzu, als er blitzschnell einen Umschlag in ihre Tasche steckte.
Und dann verschwand er rasch wieder im Haus, um ihr keine Gelegenheit zu einem Protest zu geben.
»Wenn ich mir eine Bemerkung gestatten darf, gnädige Frau«, sagte Hermannke, »das sind sehr feine Menschen. Die geben meinem Chef nichts nach, und er war immer der Größte für mich.«
»Nett, dass Sie das sagen«, meinte Miriam. »Sind Sie schon lange bei Herrn Henneke beschäftigt?«
»Jemine, ich war schon bei seinem Vater. Fünfundzwanzig Jahre waren es schon letzten Monat. Und so gut kann ich es nirgends haben.«
»Sie sind doch höchstens vierzig, Hermannke«, sagte Miriam gedankenvoll.
»Einundvierzig. Als Lehrling habe ich in der Druckerei angefangen. Dann, vor drei Jahren, hatte ich eine Wirbelverletzung, und mit dem Stehen ging es nicht mehr so. Seither bin ich so ein bisschen Mädchen für alles im Betrieb bei gleichem Gehalt. Ist ein feiner Mann, der Herr Henneke, wo er doch so einen großen Verlag leitet. Gehört alles ihm. Ist schon ein Jammer, dass er keinen Sohn hat. Entschuldigung, ich rede zu viel.«
»Erzählen Sie nur ein bisschen«, sagte Miriam.
»War so nett, dass der Doktor mich zum Essen eingeladen hat. Gibt selten Menschen, die so sind. Haben auch eine sehr nette Hausdame. Kann prima kochen.«
»Das habe ich auch festgestellt.«
Hermannke gab sich noch einigen Betrachtungen über sein Glück hin, für Jonas Henneke tätig sein zu dürfen, und diese Mitteilsamkeit war so rührend, dass man sie nicht einen Augenblick als lästig empfinden konnte. Nun wusste Miriam schon ein wenig mehr über diesen Mann, der über sich selbst gar nicht sprach.
*
Jonas war mit Carry nach dem Mittagessen spazieren gegangen. Auf ihr Mittagsschläfchen verzichtete Tante Hanne nicht. Zum ersten Mal waren Vater und Tochter nun ganz allein. Seltsamerweise fehlte beiden etwas, nämlich Miriam, wenn sie sich es auch gegenseitig nicht eingestanden.
Carry wollte ihrem Papi nicht wehtun. Sie war ja auch glücklich, bei ihm zu sein, doch unversehens hatte Miriam schon einen Teil ihres Herzens gewonnen.
»Du magst Miriam, nicht wahr, Papi?«, fragte Carry. Er hatte eben über diese Frau nachgedacht, die ihm so manches Rätsel aufgab. Sein Arm legte sich fester um Carrys Schultern.
»Ich mag sie, weil du sie gernhast«, erwiderte er.
»Sie ist bestimmt sehr gescheit, und sie sieht doch auch sehr gut aus«, sagte Carry. »Für mich ist das nicht wichtig, aber für einen Mann wohl schon.«
»Woher hast du denn diese Weisheit, Kleines?«, fragte er irritiert.
»Nonna sagte, dass Mama sehr schön war, ich mich aber wohl sehr anstrengen müsste, um einen passenden Mann zu finden.«
»So ein Unsinn«, entfuhr es ihm.
»Sie hatte viel an mir auszusetzen. Vielleicht deshalb, weil ich deine Augen habe. Sie sagte oft, ich solle sie nicht mit deinen Augen ansehen, aber ich bin doch froh, dass ich deine Augen habe.«
Er blieb stehen und nahm sie in die Arme. »Du bist so lieb, mein Kleines«, sagte er mit rauer Stimme. »Ich konnte so wenig für dich tun, und doch sind wir uns nie fremd geworden.«
»Ich wäre gern immer bei dir gewesen, Papi«, sagte Carry leise. »Als ich klein war, habe ich das noch nicht so begriffen, aber so dumm, wie man mich immer hinstellen wollte, bin ich nicht. Nein, ich bin nicht geistig zurückgeblieben.«
»Hat man das dir auch einreden wollen?«, fragte er mit aufsteigendem Zorn.
»Mama war so klug, und sie konnte drei Sprachen fließend sprechen, aber mir ist doch keine Gelegenheit gegeben worden, mehr Sprachen zu lernen. Nonna war schon wütend, dass ich so schnell deutsch gelernt habe. Ich habe dann nie mehr deutsch gesprochen. Warum hat sie dich so gehasst, Papi? Würdest du mir darauf eine ehrliche Antwort geben?«
»Ich weiß es nicht, mein Kind. Nein, ich weiß es wirklich nicht. Ich habe deine Mutter geliebt, aber wahrscheinlich liebte ich sie mehr, als sie mich liebte. Es kam schnell der Zeitpunkt, da sie sich nach Hause sehnte. Das ist die Wahrheit.«
Jonas hätte es nie für möglich gehalten, dass er so offen mit diesem Kind sprechen könnte, denn für ihn war Carry immer noch ein Kind. Er hatte sie zu selten bei sich gehabt, als dass er sie schon als Heranwachsende hätte betrachten können.
»Mama hat dich geheiratet«, sagte Carry, »warum verhinderten sie es nicht?«
Darauf konnte Jonas nicht gleich erwidern. Seine Stirn legte sich in Falten, seine Lider senkten sich.
»Sag es mir«, drängte Carry. »Ich will alles wissen. Vielleicht lebe ich wirklich nicht mehr lange, wie Nonna es wohl wünschte. Ich will alles wissen, wie es war, dann bin ich viel ruhiger, Papi. Ich quäle mich mit vielen Gedanken. Meinst du nicht, dass ich ein Recht habe, alles zu erfahren? Ich bin kein Kind mehr.«
»Ja, du hast ein Recht darauf, Carry«, sagte Jonas. »Mir bestritt man das Recht, dich zu mir zu nehmen. Ich dachte früher, dass die Wahrheit dir wehtun würde, weil ich meinte, dass du Nonna nahe stündest.«
»Nonna, Nonna, ich habe schon diese Anrede nicht gemocht. Für die italienischen Kinder ist eine Nonna fast etwas Heiliges. Aber dieses Land war nie meine Heimat, obgleich ich dort aufwuchs. Natürlich haben sie mich in einem großartigen Stil aufwachsen lassen. Aber was war das schon? Mir bedeutete