Macchiavellis Buch vom Fürsten. Niccolò Machiavelli
gedacht haben, als er dem Lorenzo den Weg zeigte, zur Herrschaft zu gelangen: damit mag mancher Italiener einverstanden gewesen sein.
Eine solche Entsagung konnte ihm lange nicht so viel kosten, als andern Anhängern der Republik. Seine Liebe zu ihr war ernstlich: aber sie beruhte nicht auf dem tiefen Gefühle des Bürgers, dem Gleichheit das erste Gut ist, und der Alles lieber duldet, als Jemanden über sich zu sehen. Sie entsprang nicht aus unerschütterlicher Anhänglichkeit an väterliche Sitte und ererbte Verhältnisse. Das Nachdenken über vergangene Zeiten und Beobachtung der neuen hatte ihn gelehrt, daß in republikanischen Staaten die Leidenschaften geistvoller Männer den größten Spielraum erhalten. Aus diesem Gesichtspunkte beurtheilt er in seinen „Discursen über den Livius“ die römische Republik. An der Erhaltung des Bestehenden lag ihm wenig. Ihm kam es nur darauf an, seinen Trieb zu unruhiger Thätigkeit zu befriedigen. Fand in seinem Vaterlande die Verfassung nicht mehr statt, die er selbst vorgezogen hätte, so ergriff der von Catonischem Eigensinne weit entfernte praktische Geist, dem auf ächt Italienisch „virtù“ nur Thatkraft und Verstand sie zu leiten bedeutete, mit eben der Lebhaftigkeit die Idee, die den neuen Umständen und den Gesinnungen der Mächtigen angemessen war, und ließ sie eben so geschwind wieder fahren. Macchiavelli hat nicht etwa in einer großen Katastrophe seine Grundsätze verändert und ist zu einer Gegenpartei einmal übergetreten: sondern er hat sich bald der einen, bald der andern ergeben, und nur darauf gedacht, für den Augenblick den Entschluß zu fassen, [pg 23]der ihm der klügste dünkte, weil er in den Verhältnissen des Tages der ausführbarste schien. Er hielt es damals für unvermeidlich, daß Florenz sich unterwerfe: so gab er dem Lorenzo Rathschläge, um ihm die Herrschaft zuzuwenden, damit Er es sei, dem der neue Fürst sie, wenigstens zum Theil, verdanke.
Wer das wollte, durfte nicht vielen Bedenklichkeiten über die Wahl der Mittel Gehör geben: und Alles, was in der Zeit vorging, hätte auch wol einen Mann von strengerer Sittlichkeit, als Macchiavelli, verleiten können, sich über das Gefühl der Menschlichkeit, die gewissenhafte Redlichkeit und die Scheu vor moralischen Geboten wegzusetzen, um einen großen Plan zum Besten des Volks auszuführen. Auch ein solcher hätte wol sagen können: es muß einmal regiert werden, damit das Volk der Erfüllung seiner eignen Wünsche theilhaft und glücklich werden könne; welches Letztere wieder in Macchiavelli’s und seiner Zeitgenossen Sinne nichts Anderes heißt, als politische Leidenschaften befriedigen. Da sich aber die Völker nicht demjenigen unterwerfen, der durch sittliche Vorzüge über sie hervorragt, und durch diese verdiente zu regieren, so möge denn derjenige, der zu herrschen versteht und die Herrschaft zu ergreifen vermag, sich derselben auf jedem Wege bemächtigen, auf dem man zu ihr gelangt.
Die Geschichte der Zeit enthält nichts als Mord, Treulosigkeit, Verrätherei, Gewaltthätigkeit durch gedungene Streiter. Was zur Herrschaft führt, ist gut: so der allgemeine Wahlspruch. Jeder erlaubte sich Alles, was den Weg dazu bahnen konnte: Alle aber verfehlten ihren Zweck, weil sie nicht Einsicht genug hatten, die rechten Mittel zu wählen, und weil es ihnen in der gefährlichen Unternehmung an der Selbstbeherrschung fehlte, die dem Mächtigen so schwer wird, und doch so nöthig ist, zu verfolgen. So ging jeder Gewalthaber zu Grunde, die ganze Nation ward eine Beute fremder Eroberer. Macchiavelli sah, daß der neue Herzog von Urbino denselben Weg betreten würde, auf dem so Viele vor ihm verunglückt waren. Wenn denn Niemand Anstand nimmt, Verbrechen zu begehen, wodurch er zur Herrschaft zu gelangen hofft, so begeht, ruft Macchiavelli [pg 24]dem zu, der danach strebt, so begeht Eure Unthaten doch nur so, daß sie auch wirklich zum Zwecke führen.
Die Lehren, welche Macchiavelli hierzu ertheilt, haben den eigenthümlichen Charakter, der Alles auszeichnet, was aus dem wirklichen Leben geschöpft ist. Sie sind nicht bloße Erzeugnisse des Nachdenkens, Resultate allgemeiner Beobachtungen. Sie haben die ergreifende Wahrheit der Gemälde, dergleichen das überlegenste Talent nicht hervorbringt, ohne durch wirkliche Anschauung belebt zu sein. Man hatte in Italien oft genug gewaltige Menschen auftreten sehen, die sich in dem leidenschaftlichen Streben nach der Herrschaft über jede Beschränkung durch Gesetz, sittliches Gefühl und menschliche Empfindung gänzlich wegsetzten. Aber keiner von ihnen hatte das Maß des Verstandes besessen, ohne den die Immoralität sich selbst zu Grunde richtet. In Cäsar Borgia, mit dem Macchiavelli durch Verhandlungen über die Angelegenheiten seines Vaterlandes in genaue Verbindung gerathen war, glaubte er das vollendete Ideal eines Mannes zu erkennen, der das wirklich leisten könnte, wonach so Viele vergeblich gestrebt hatten. Von dieser Vorstellung war er ergriffen. Alles, was er über die Gesinnungen und Talente geschrieben hat, die zur Befriedigung der Herrschsucht führen können, ist durch das Bild von jenem Unholde, der durch die Schärfe des Verstandes und Entschlossenheit des Geistes andern eben so schlechten Menschen so sehr überlegen war, beseelt.
Lorenzo von Medici war nicht der Mann, etwas Aehnliches zu leisten. Er konnte wol durch den Einfluß seines Oheims, des Papstes Leo, Herzog von Urbino werden, aber nicht Herr von Florenz, noch weniger Haupt eines italienischen Bundes. Hat Macchiavelli ihn nicht genug gekannt? Oder hat er ihm den Rath, sich zur Herrschaft emporzuschwingen, vielleicht so gegeben, wie er selbst im dritten Buche seiner Discurse im fünfunddreißigsten Kapitel sagt, daß man den Großen rathen müsse? „Diejenigen,“ heißt es hier, „welche einer Republik oder auch einem Fürsten rathen, kommen in ein Gedränge, indem sie ihre Pflicht verletzen, wenn sie nicht ohne alle andere Rücksicht den Rath ertheilen, der ihnen für den Staat oder den Fürsten der [pg 25]nützlichste scheint; so oft sie aber wirklich solche Rathschläge angeben, Gefahr laufen, das Leben oder doch ihre Stelle zu verlieren: weil alle Menschen doch darin blind sind, daß sie jeden guten oder schlechten Anschlag nur nach dem Ausgange beurteilen. Ich sehe keinen andern Ausweg, als seine Meinung ohne Leidenschaft und mit Mäßigung vorzutragen, so daß der Fürst, wenn er sie befolgt, seinen eignen Willen zu thun glaube, und daß er nicht vom Rathgeber mit Ungestüm verleitet zu werden scheine. Wenn du auf diese Art deinen Rath ertheilt hast, so ist es nicht wahrscheinlich, daß Volk oder Fürst dir übel wollen werden, da dein Rath nicht gegen den Willen Andrer durchgesetzt worden. Die Gefahr entsteht, wenn Viele widersprechen, die, wenn die Sache übel ausfällt, sich vereinigen, den Rathgeber zu stürzen. Bei jenem Verfahren geht freilich der Ruhm verloren, der einzuernten ist, wenn man Rathschläge gegen den Willen Vieler durchsetzt, und die Sache gut ausfällt: aber dagegen entstehen zwei Vortheile. Erstens wird die Gefahr vermieden, und zweitens kannst du große Ehre einlegen, wenn du einen Rath mit Mäßigung ertheilst, derselbe nicht befolgt wird wegen des erhobenen Widerspruchs und der Rathschläge Andrer, und alsdann großes Ungemach entsteht.“
Hat Macchiavelli vielleicht seine Anschläge, zur Herrschaft zu gelangen, dem Lorenzo von Medici in diesem Sinne gegeben? Hatte derselbe Verstand genug, sie ganz zu fassen, Urtheil genug, sie richtig anzuwenden, Dreistigkeit und Beharrlichkeit, sie auszuüben – gelang Alles: gut, so verdankte er seine Größe dem Unterrichte, und der Rathgeber konnte auf alle Belohnungen Anspruch machen, die einen solchen Dienst bekrönen. Fehlte es in irgend einem Stücke, so fiel Lorenzo durch seine eigne Schuld. Er hatte nicht recht begriffen, nicht recht angewandt, oder die Ausführung war unvollkommen gewesen. Warum unternahm er ein so schweres Werk, dem er nicht gewachsen war, und dessen ganze Schwierigkeit Macchiavelli ihm selbst so lebendig vor Augen gestellt hatte? Diesem blieb alsdann immer noch übrig es zu machen, wie der Graf von Shaftesbury, der dem Könige Karl dem Zweiten Rathschläge gab, die die [pg 26]Freiheit der englischen Nation untergruben, und darauf selbst diesen übermüthigen, leichtsinnigen und dennoch hinterlistigen Fürsten, da er seine Sache verdorben hatte, im Parlamente wegen jener Verräthereien gegen die Nation anklagte.
Warum hätte Macchiavelli Bedenken tragen sollen, selbst mit einem Fürsten eben so umzugehen, wie er diesen lehrt, andre Menschen zu behandeln, die ihm zu Werkzeugen dienen? Wir haben keinen Timoleon vor uns, keinen Junius Brutus, keinen Hampden, keinen Wilhelm Tell: sondern den verschmitzten Unterhändler am französischen Hofe, Freund des Tyrannen von Siena, Verehrer des Königs aller Teufel seiner Zeit, des Cäsar Borgia. Der Staatsmann muß auch mit solchen Menschen umzugehen wissen. Er muß sich darauf verstehen, sie zu behandeln; er muß seine Gefühle in sich verschließen können, um unvermeidliche Verhältnisse mit ihnen zu benutzen, oder doch unschädlich zu machen. Aber das unaufhörliche Treiben in solchen Verbindungen ist stets gefährlich. Es ist sehr schwer, dabei sein eignes Gemüth unbefleckt zu erhalten. Die Gewohnheit, seine Empfindungen zu verläugnen, stumpft sie ab. Man vergißt am Ende die natürlichsten Gesichtspunkte, die