Butler Parker 102 – Kriminalroman. Günter Dönges
Stephan Waters hat sich vor etwa drei Jahren aus seinen Geschäften zurückgezogen und privatisiert, wenn ich es so ausdrücken darf.«
»Warum ist dieses Subjekt ausgestiegen, wie Sie sich ausdrückten?«
»Mister Waters geriet in Streit mit amerikanischen Syndikats Vertretern, die ihre Rauschgiftgeschäfte auch auf England ausdehnen wollten. Er soll, das sage ich mit allem Vorbehalt, einen dieser Männer erschossen haben.«
»Er hat es also mit der Angst zu tun bekommen, das ist doch die Wahrheit, oder?«
»So könnte man es natürlich auch ausdrücken.«
»Verschaffen wir diesem Strolch doch etwas Angst, Mister Parker.«
»Mylady wollen sich mit solch einem üblen Gangster anlegen?« Parkers Gesicht drückte Widerwillen aus.
»Ich will ihm aufspielen«, präzisierte Lady Agatha unternehmungslustig. »Ein wahrer Zufall, daß er meinen Weg kreuzte. Und sein Pech, daß seine Subjekte mir die Vase zerschmetterten.«
»Mister Waters wird sich kaum etwas bieten lassen, Mylady. Ich möchte entschieden warnen.«
»Lady Simpson läßt sich ebenfalls nichts bieten«, kommentierte die streitbare Dame. »Und wer warnt Waters?«
Bevor Josuah Parker darauf antworten konnte, griff die Detektivin bereits nach dem Telefonhörer und verlangte von der Hotel Vermittlung eine Verbindung mit Stephan Waters. Während sie auf diese Verbindung wartete, sah sie Parker und ihre Gesellschafterin kriegerisch an. Sie zupfte ihr undamenhaft solides Taschentuch aus dem Pompadour und legte es über die Sprechmuschel. Agatha Simpson hatte zu viele Kriminalfilme gesehen, um nicht zu wissen, wie man seine Stimme am Telefon verzerrt.
»Sie haben drei Tage, Waters«, sagte sie dann gedehnt, als sich die Gegenseite meldete, »drei Tage … Ich würde sie nutzen!«
Sie legte auf, stopfte das Taschentuch zurück in den Pompadour und sah sehr zufrieden aus.
»Waters könnte herausfinden, von wo aus angerufen wurde«, warnte Josuah Parker.
»Na, hoffentlich.« Lady Agatha ließ sich nicht beeindrucken.
»Er könnte seine Leibwächter aktivieren, Mylady.«
»Seit wann haben Sie Angst, Mister Parker?« wunderte sich die streitbare Dame. »Lassen Sie sich gefälligst etwas einfallen, wie wir dieses Subjekt auf Trab bringen.«
»Ich werde mich bemühen, Mylady.«
»Ich erwarte zündende Ideen, Mister Parker.«
»Deuten die drei Leibwächter nicht darauf hin, daß er Angst hat?« ließ Kathy Porter sich vernehmen. Sie errötete sanft und wirkte leicht verlegen.
»Natürlich, Kindchen.« Agatha Simpson freute sich, daß sie verstanden wurde. »Daher ja auch mein Anruf. Dieser Strolch wird noch auf Knien heranrutschen und darum bitten, daß er mir den Schaden ersetzen darf. Für mich ist das eine Frage des Prinzips!«
Lady Agatha Simpson reckte sich hoch auf und glich in diesem Moment einer Bühnenheroine aus längst vergangenen Zeiten. Mit einem gewaltigen Speer in der Hand hätte sie aber auch durchaus mit einer Walküre konkurrieren können.
*
Stephan Waters war gereizt.
Er selbst hatte den Anruf angenommen, der einer unverhüllten Drohung glich. Er dachte nicht einen Moment lang daran, diese Lady Simpson zu verdächtigen. Er hatte sie eigentlich schon wieder vergessen. Was hatte er schließlich mit einer alten Frau zu tun, die nun Lady sein mochte oder nicht.
Nein, Waters dachte selbstverständlich sofort an London. Genauer gesagt, er dachte an seine jüngste Vergangenheit. Seine früheren Konkurrenten fühlten sich jetzt wohl stark genug, ihm ihre Rechnung zu präsentieren. Es ging da um einen Ritchie Romney, den er aus dem Weg geräumt hatte.
Artie, sein erster Leibwächter kam zurück.
»Festgestellt?« fragte Waters. »Von woher kam das Gespräch?«
»Aus Falmouth.«
»Falmouth …?«
»Hotel Atlantik. Mehr war im Moment nicht rauszubekommen.«
»Dann nichts wie rüber nach Falmouth!« Stephan Waters fühlte wieder das Prickeln im Blut wie in früheren Zeiten. »Spürt den Anrufer auf!«
»Sollen wir ihn …?« Artie hielt es nicht für nötig, seinen Satz zu beenden. Er konnte davon ausgehen, daß Waters ihn gut verstand.
»Nein.« Waters schüttelte den Kopf. »Nur kein Aufsehen hier in der Gegend. Erst mal feststellen, wer angerufen hat. Und dann ab mit ihm nach London oder Plymouth. Hier in der Gegend sollen keine Leichen rumliegen. Alles klar?«
Artie nickte und ging.
Stephan Waters baute sich vor dem dreigeteilten, säulenverzierten Fenster auf und sah auf den Far-Fjord hinunter. Er fragte sich, wie er sich weiter verhalten sollte. Er saß hier an der äußersten Südspitze Englands in einer erstklassig ausgebauten Festung und hatte sich bisher sicher gefühlt. Doch dieser Anruf machte ihn bereits nervös. Waters kannte schließlich die Gegenseite.
Hatte es einen Sinn, England schleunigst den Rücken zu kehren? Geld hatte er genug, um sich irgendwo in der Welt zu verkriechen. Vielleicht gab es Landstriche und Festungen, die noch sicherer waren als dieses Castle hier.
Doch Waters verwarf diesen Gedanken.
Flucht war sinnlos. Das Syndikat würde sich kaum abschütteln lassen. Nein, jetzt und hier mußte die Sache durchgestanden werden. Und vielleicht konnte er versuchen, sich mit der aufgebrachten Konkurrenz zu arrangieren. Man mußte es auf einen Versuch ankommen lassen. Waters war nur irritiert, was den Telefonanruf betraf.
Warnungen dieser Art paßten nicht zum Syndikat. Die Vollstrecker von Unterweltsurteilen pflegten unauffällig und überraschend zu arbeiten. Vorwarnungen hatte es bisher noch nie gegeben.
Stephan Waters verließ sein Zimmer und wanderte durch das Castle. Es war ein langer Weg, bis er alle Räume kontrolliert hatte. Er prüfte die Sicherheitsvorkehrungen, die er hatte einbauen lassen. Als er wieder in seinem großen Arbeitszimmer war, hatte er zum ersten Mal in seinem Hiersein das Gefühl, ein Gefangener zu sein in einem luxuriösen, goldenen Käfig.
*
Josuah Parker hielt sich in der Halle des »Atlantik« auf und beobachtete über den Rand der Zeitung hinweg die ein- und ausgehenden Hotelgäste. Er hatte sich von seiner Herrin beurlauben lassen. Er ging von der Vermutung aus, daß früher oder später hier im Hotel ein junger Mann erschien, der sich durch ein leicht dümmliches Gesicht auszeichnete. Nach dem Anruf im Schloß hatte Waters gewiß feststellen lassen, von wo aus angerufen worden war.
Parkers Zeitplan war fast perfekt.
Mit einer Verspätung von sechs Minuten erschien der bewußte junge Mann.
Man hatte also herausgefunden, daß im »Atlantik« der geheimnisvolle Anrufer wohnte. Nun ging es darum, wer es war. Waters reagierte schnell. Der Anruf schien ihm nicht sonderlich behagt zu haben.
Der junge Mann wies sich an der Rezeption aus. Wahrscheinlich arbeitete er mit einem gefälschtem Ausweis. Der Chefportier ließ sich prompt düpieren und kam sogar aus seiner Empfangsloge hervor. Er führte den jungen Mann in einen schmalen Korridor und geleitete ihn zur Telefonvermittlung.
Josuah Parker erhob sich aus dem Sessel und schritt gemessen zum Hoteleingang. Von hier aus beobachtete er den unscheinbar aussehenden Minicooper, der rechts auf einem Parkplatz stand. Ein zweiter junger Mann mit ebenfalls dümmlichem Gesicht saß am Steuer und rauchte.
Josuah Parker ahnte, was kommen würde. Daher ging er zurück in die Hotelhalle und begab sich in eine der drei Telefonzellen. Er wählte die mittlere und schaute durch den Glaseinsatz der Tür hinüber zur Rezeption.
Der junge Mann erschien schon wieder auf der Bildfläche. Sein dümmliches Gesicht zeigte einen zusätzlichen,