Ausgewählte historische Romane. Levin Schucking
in ihrer zitternden Hand. Die Aufschrift bestand aus einem Kreuz und den Worten darunter: Rattengift, präpariert von mir aus Datura Stramonium.
Welche Gedanken gingen mit einem Male durch Traudchens Haupt, als sie diese Worte gelesen hatte und die Brieftasche hastig schloß, um sie wieder in die Falten ihres Kleides zu verbergen, aber das Päckchen mit dem Gift neben sich auf den Tisch legte? Sie versank in ein unruhiges Sinnen; bald erhob sie sich und schritt auf und ab in dem kleinen Wohnzimmer, bald setzte sie sich wieder und nahm das Spinnrad, welches neben dem Ofen stand, vor sich, und ihr kleiner Fuß legte sich so energisch auf das Trittbrett unten, daß das Rad sich umzuschwingen begann, als ob es den Verstand verloren habe, und daß die Spindel schnurrte, als wolle sie dem großen Rade zeigen, sie, die kleine Spindel, könne, wenn es auf Verrücktheit ankomme, noch tausendmal mehr leisten als solch ein großes ungeschlachtes Rad. Und dabei griffen Traudchens Hände wie fieberhaft in den Flachswocken und zogen den Faden mit einer Hast heraus, daß derselbe sehr bald zerriß und dann abermals riß, und dann zum drittenmal riß; und dann schob Traudchen das Spinnrad so heftig von sich, als sei es irgendein abscheulicher, widerwärtiger Mensch, der sich an sie gedrängt habe, und sprang empor und schritt wieder auf und ab in steigender Unruhe. – Dann, ehe sie zu ihrer Dienstleistung in die Wohnung des Herrn von Ripperda herüberging, machte sie sich eine Weile in der Küche vor dem Schranke, welcher die Speisevorräte aufbewahrte, zu schaffen. Als Traudchen am andern Tage um die bestimmte Stunde – es war aber eigentlich schon ein Bedeutendes darüber – wiedererschien, klopfte sie erst an das kleine Fenster, das, mit roten Kalikovorhängen bedeckt, aus Frau Zappes' Wohnzimmer auf den Hausflur ging. Die geschäftige Matrone erschien denn auch sogleich, aber noch lebhafter war sie heute, als sie alle Tage war, und mit aufgeregter Stimme rief sie Traudchen entgegen:
»Jungfer Traud, denke Sie sich, was wir für eine Nacht gehabt haben ... das hat einen Lärm gegeben – der Hund, der große Hund von dem neuen Zimmerherrn... der Mann ist außer sich ...«
»Was ist denn mit dem Hunde, Frau Zappes?« fragte Traudchen mit stammelnder Zunge totenblaß.
»Der Hund ist tot ... mitten in der Nacht ist das arme Tier gestorben, der Herr sagt, es müßte vergiftet sein.«
»Das ist ja unglaublich!« stotterte Traudchen, »wer sollte das getan haben?« Und mit einer heroischen Anstrengung sich fassend und zusammennehmend, ging sie die Treppe hinauf. Als sie die Tür zu dem Zimmer Ripperdas öffnete, war es ihr, als müsse das Klopfen ihres Herzens sie ersticken. Ihr Auge scheute sich, die Blicke umherzuwerfen, und doch flogen ihre Blicke, wie magnetisch gezogen, mit scheuem Flattern in jeden Winkel des Zimmers. Aber sie trafen nicht auf das, was sie suchten und wovor sie doch bangten. Die Leiche des Hundes war nicht da, man mußte sie schon entfernt haben. Aus der offenen Tür des Schlafzimmers hörte Traudchen Ripperdas Stimme. Er lag noch im Bett. Er rief ihr mit einem mürrischen, zornigen Tone einige Aufträge zu, kleine Ankäufe, die sie ihm besorgen solle; sie flog hinaus und davon, es auszurichten, während er mit einem zwischen den Zähnen gemurmelten Fluche sich auf die andere Seite warf.
Als sie draußen war, atmete sie tief auf, so tief, als könne sie damit eine ganze Last von der Brust fortwälzen, und dann ging sie weiter, und als sie an den Seiteneingang der St.-Georgs-Kirche, an die immer offene Vorhalle kam, wo zu jeder Tageszeit arme Menschen vor einem großen schwarzen Kruzifix knien und Kerzen opfern – da trat Traudchen hinein und kniete auf die letzte Bank nieder. Nicht um zu beten. Das konnte sie nicht. Nein, um ihr Antlitz zu verbergen, über das Tränen herabrollten; um ihr Gesicht mit den Händen zu bedecken, damit niemand das Schluchzen sehe, von dem sie übermannt worden.
Ihr war zumute wie einer Mörderin. Aber sie hatte Hubert Rache gelobt; die Liebe hatte den Schwur geleistet, die Leidenschaft ihn besiegelt, und von diesem Augenblicke an wurde ihr eigenes Schicksal, ihr eigenes Wohl und Wehe ihr gleichgültig.
Um die Nachmittagsstunde kehrte, gegen seine Gewohnheit, der Ohm Gymnich nach Haufe zurück, nahm die Schlüssel zu dem alten Hause aus dem Spind und begab sich damit über den Hof an das Hauptportal, wo er die Steine und andere Gegenstände, die auf den Treppenstufen lagen, wegräumte und dann die große Tür aufschloß. Traudchen erinnerte sich der Zeit nicht, wo dies geschehen. Er trat dann ins Innere ein; das junge Mädchen nahm sich ein Herz und folgte ihm. Sie fand ihn beschäftigt, Läden und Fenster zu öffnen; als er sie erblickte, vertrieb er sie nicht, sondern sagte kaltblütig: »Das Haus soll vermietet werden. Wenn Leute kommen, die es besehen wollen, so rufe mich aus der Fabrik!«
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