In Nacht und Eis. Fridtjof Nansen
und mancher Becher wurde geleert. Haufen illustrierter Bücher, Musik, Vorträge und Gesang vervollständigten die Festtagsfreude.
Während wir mit rasselndem Winde zuerst aus Südost und dann aus Ostsüdost und Ost vorwärtstrieben, wurden wir von Tag zu Tag neugieriger, wie weit wir gekommen waren. Aber Schneesturm und bewölkter Himmel erlaubten uns keine Beobachtungen.
Plötzlich rief Hansen heute Nachmittag, es seien über uns Sterne zu sehen. Höchste Erwartung! Aber als er herunterkam, hatte er nur einen Stern beobachtet. Allerdings stand dieser Stern dem Meridian so nahe, dass Hansen daraus entnehmen konnte, dass wir jedenfalls nördlicher als 83°20’ n.Br. standen. Und dieses Ergebnis wurde mit Freudenrufen aufgenommen. Wenn wir noch nicht auf der höchsten nördlichen Breite waren, der je der Mensch nahe gekommen ist, so befanden wir uns immerhin nicht weit davon. Das war mehr, als wir erwartet hatten!
Dienstag, 29. Januar. Mit einem sonderbaren Gefühl gehe ich herum. Gewiss ist tief im Innersten jubelnde Siegesfreude darüber verborgen, dass sich alle meine Träume mit der höher kommenden Sonne verwirklichen. Aber während ich in der vertrauten Umgebung arbeite, überkommt mich manchmal eine tiefe Wehmut. Es ist wie beim Abschiednehmen von einem teuren Freund und einem Haus, das mir lange Schutz gegeben hat. Mit einem Schlag sollen wir dieses Haus und unsere lieben Gefährten auf immer verlassen, soll ich nie mehr das schneebedeckte Deck auf und ab schreiten, nie mehr unter das Zelt kriechen, das Lachen im traulichen Salon hören und im Kreis der Freunde sitzen.
Und dann denke ich daran, dass ich nicht dabei sein werde, wenn endlich die »Fram« die Eisfesseln bricht und den Bug nach Norwegen zurückwendet. Ein Lebewohl gibt jedem Ding im Leben seine eigene wehmütige Färbung wie das Abendrot, wenn der Tag, mag er gut oder schlecht gewesen sein, unter den Horizont sinkt.
Hundertmal wandert mein Blick über die Karte und jedes Mal beschleicht mich ein kalter Schauer. Der Weg, der vor uns liegt, ist so weit und auch voller Hindernisse. Dann aber kommt wieder das Gefühl, dass es gehen muss; es kann nicht anders sein, alles ist zu sorgfältig vorbereitet, es kann nicht fehlschlagen. Inzwischen pfeift der Südostwind über unseren Köpfen und wir treiben beständig nordwärts, dem Ziel entgegen. Wenn ich an Deck gehe und in das funkelnde Sternengewölbe hinausschaue, weichen alle diese Gedanken und es ist mir, als müsste ich ausruhen in diesem Heiligtum, dem dunklen, tiefen, schweigsamen Raum, dem unendlichen Tempel der Natur, in dem die Seele ihren Ursprung zu finden sucht. Strebsame Ameise, was bedeutet es, ob du mit deinem Korn dein Ziel erreichst oder nicht? Alles verschwindet im Meer der Ewigkeit. Unsere Namen werden mit der Zeit vergessen, unserer Taten gedenkt niemand, unser Leben fliegt vorbei wie eine Wolke und verschwindet wie der Nebel, der von der Sonne verjagt wird. Denn unsere Zeit ist ein Schatten, der vorüberfliegt und unser Ende besiegelt, und keiner kehrt zurück.
Zwei von uns werden bald noch weiter in diese ungeheure Wüste, in noch größere Einsamkeit und noch tiefere Stille hineinwandern.
Sonntag, 3. Februar. Wir sind auf 83°43’. Die Zeit der Abreise naht, die Vorbereitungen werden mit Eifer betrieben. Unsere neuen Schlitten aus Eschenholz sind jetzt beinahe fertig und wiegen ohne Kufen 15 Kilo. Alle Mann sind eifrig an der Arbeit. Sverdrup näht kleine Säcke und Polster, die als Unterlage oder Griffe für die Kajaks auf die Schlitten gelegt werden. Johansen und zwei andere stopfen die Säcke voll Pemmikan, der zuvor erwärmt, geklopft und geknetet wird, damit er eine gute Unterlage für unsere kostbaren Boote abgibt. Wenn diese viereckigen, glatten Säcke in die Kälte hinauskommen, frieren sie so hart wie Stein und behalten ihre Form.
4 Auf der Expedition mussten sich die Hunde dann aber mit einer weit geringeren Tagesmenge, durchschnittlich kaum mehr als 300 bis 350 Gramm begnügen.
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