Das Kapital (Alle 3 Bände). Karl Marx
vorherrschende Trucksystem.
e) Übergang der modernen Manufaktur und Hausarbeit zur großen Industrie. Beschleunigung dieser Revolution durch Anwendung der Fabrikgesetze auf jene Betriebsweisen
Die Verwohlfeilerung der Arbeitskraft durch bloßen Mißbrauch weiblicher und unreifer Arbeitskräfte, bloßen Raub aller normalen Arbeits- und Lebensbedingungen und bloße Brutalität der Über- und Nachtarbeit, stößt zuletzt auf gewisse nicht weiter überschreitbare Naturschranken, und mit ihr auch die auf diesen Grundlagen beruhende Verwohlfeilerung der Waren und kapitalistische Exploitation überhaupt. Sobald dieser Punkt endlich erreicht ist, und es dauert lange, schlägt die Stunde für Einführung der Maschinerie und die nun rasche Verwandlung der zersplitterten Hausarbeit (oder auch Manufaktur) in Fabrikbetrieb.
Das kolossalste Beispiel dieser Bewegung liefert die Produktion von "Wearing Apparel" (zum Anzug gehörige Artikel). Nach der Klassifikation der "Child. Empl. Comm." umfaßt diese Industrie Strohhut- und Damenhutmacher, Kappenmacher, Schneider, milliners und dressmakers , Hemdenmacher und Näherinnen, Korsetten-, Handschuh-, Schuhmacher, nebst vielen kleineren Zweigen, wie Fabrikation von Halsbinden, Halskragen usw. Das in England und Wales in diesen Industrien beschäftigte weibliche Personal betrug 1861: 586.298, wovon mindestens 115.242 unter 20, 16.560 unter 15 Jahren. Zahl dieser Arbeiterinnen im Vereinigten Königreich (1861): 750.334. Die Zahl der gleichzeitig in Hut-, Schuh-, Handschuhmacherei und Schneiderei beschäftigten männlichen Arbeiter in England und Wales: 437.969, wovon 14.964 unter 15 Jahren, 89.285 fünfzehn- bis zwanzigjährig, 333.117 über 20 Jahren. Es fehlen in dieser Angabe viele hierher gehörige kleinere Zweige. Nehmen wir aber die Zahlen, wie sie stehn, so ergibt sich für England und Wales allein, nach dem Zensus von 1861, eine Summe von 1.024.267 Personen, also ungefähr so viel, wie Ackerbau und Viehzucht absorbieren. Man fängt an zu verstehn, wozu die Maschinerie so ungeheure Produktenmassen hervorzaubern und so ungeheure Arbeitermassen "freisetzen" hilft.
Die Produktion des "Wearing Apparel" wird betrieben durch Manufakturen, welche in ihrem Innern nur die Teilung der Arbeit reproduzierten, deren membra disjecta sie fertig vorfanden; durch kleinere Handwerks- meister, die aber nicht wie früher für individuelle Konsumenten, sondern für Manufakturen und Warenmagazine arbeiten, so daß oft ganze Städte und Landstriche solche Zweige, wie Schusterei usw., als Spezialität ausüben; endlich im größten Umfang durch sog. Hausarbeiter, welche das auswärtige Departement der Manufakturen, Warenmagazine und selbst der kleineren Meister bilden. Die Massen des Arbeitsstoffs, Rohstoffs, Halbfabrikate usw. liefert die große Industrie, die Masse des wohlfeilen Menschenmaterials (taillable à merci et miséricorde <auf Gnade und Barmherzigkeit ausgeliefert>) besteht aus den durch die große Industrie und Agrikultur "Freigesetzten". Die Manufakturen dieser Sphäre verdankten ihren Ursprung hauptsächlich dem Bedürfnis des Kapitalisten, eine jeder Bewegung der Nachfrage entsprechende schlagfertige Armee unter der Hand zu haben. Diese Manufakturen ließen jedoch neben sich den zerstreuten handwerksmäßigen und Hausbetrieb als breite Grundlage fortbestehn. Die große Produktion von Mehrwert in diesen Arbeitszweigen, zugleich mit der progressiven Verwohlfeilerung ihrer Artikel, war und ist hauptsächlich geschuldet dem Minimum des zu kümmerlicher Vegetation nötigen Arbeitslohns, verbunden mit dem Maximum menschenmöglicher Arbeitszeit. Es war eben die Wohlfeilheit des in Ware verwandelten Menschenschweißes und Menschenbluts, welche den Absatzmarkt beständig erweiterte und täglich erweitert, für England namentlich auch den Kolonialmarkt, wo überdem englische Gewohnheit und Geschmack vorherrschen. Endlich trat ein Knotenpunkt ein. Die Grundlage der alten Methode, bloß brutale Ausbeutung des Arbeitermaterials, mehr oder minder begleitet von systematisch entwickelter Arbeitsteilung, genügte dem wachsenden Markt und der noch rascher wachsenden Konkurrenz der Kapitalisten nicht länger. Die Stunde der Maschinerie schlug. Die entscheidend revolutionäre Maschine, welche die sämtlichen zahllosen Zweige dieser Produktionssphäre, wie Putzmacherei, Schneiderei, Schusterei, Näherei, Hutmacherei usw. gleichmäßig ergreift, ist - die Nähmaschine.
Ihre unmittelbare Wirkung auf die Arteiter ist ungefähr die aller Maschinerie, welche in der Periode der großen Industrie neue Geschäftszweige erobert. Kinder im unreifsten Alter werden entfernt. Der Lohn der Maschinenarbeiter steigt verhältnismäßig zu dem der Hausarbeiter, wovon viele zu "den Ärmsten der Armen" ("the poorest of the poor") gehören. Der Lohn der besser gestellten Handwerker, mit denen die Maschine konkurriert, sinkt. Die neuen Maschinenarbeiter sind ausschließlich Mädchen und junge Frauen. Mit Hilfe der mechanischen Kraft vernichten sie das Monopol der männlichen Arbeit in schwererem Werk und verjagen aus leichterem Massen alter Weiber und unreifer Kinder. Die übermächtige Konkurrenz erschlägt die schwächsten Handarbeiter. Das greuliche Wachstum des Hungertods (death from starvation) in London während des letzten Dezenniums läuft parallel mit der Ausdehnung der Maschinennäherei. Die neuen Arbeiterinnen der Nähmaschine, welche von ihnen mit Hand und Fuß oder mit der Hand allein, sitzend und stehend, je nach Schwere, Größe und Spezialität der Maschine, bewegt wird, verausgaben große Arbeitskraft. Ihre Beschäftigung wird gesundheitswidrig durch die Dauer des Prozesses, obgleich er meist kürzer als im alten System. Überall, wo die Nähmaschine, wie beim Schuh-, Korsett-, Hutmachen usw., ohnehin enge und überfüllte Werkstätten heimsucht, vermehrt sie die gesundheitswidrigen Einflüsse.
"Die Wirkung", sagt Kommissär Lord, "beim Eintritt in niedrig gestochne Arbeitslokale, wo 30 bis 40 Maschinenarbeiter zusammenwirken, ist unerträglich ... Die Hitze, teilweis den Gasöfen zur Wärmung der Bügeleisen geschuldet, ist schrecklich ... Wenn selbst in solchen Lokalen sog. mäßige Arbeitsstunden, d.h. von 8 Uhr morgens bis 6 Uhr abends, vorherrschen, fallen dennoch jeden Tag 3 oder 4 Personen regelmäßig in Ohnmacht."
Die Umwälzung der gesellschaftlichen Betriebsweise, dies notwendige Produkt der Umwandlung des Produktionsmittels, vollzieht sich in einem bunten Wirrwarr von Übergangsformen. Sie wechseln mit dem Umfang, worin, und der Zeitlänge, während welcher die Nähmaschine den einen oder andren Industriezweig bereits ergriffen hat; mit der vorgefundnen Lage der Arbeiter, dem Übergewicht des Manufaktur-, Handwerks- oder Hausbetriebs, dem Mietpreis der Arbeitslokale usw. In der Putzmacherei z.B., wo die Arbeit meist schon organisiert war, hauptsächlich durch einfache Kooperation, bildet die Nähmaschine zunächst nur einen neuen Faktor des Manufakturbetriebs. In der Schneiderei, Hemdenmacherei, Schusterei usw. durchkreuzen sich alle Formen. Hier eigentlicher Fabrikbetrieb. Dort erhalten Zwischenanwender das Rohmaterial vom Kapitalisten en chef und gruppieren in "Kammern" oder "Dachstuben" 10 bis 50 und noch mehr Lohnarbeiter um Nähmaschinen. Endlich wie bei aller Maschinerie, die kein gegliedertes System bildet, und im Zwergformat anwendbar ist, benutzen Handwerker oder Hausarbeiter, mit eigner Familie oder Zuziehung weniger fremder Arbeiter, auch ihnen selbst gehörige Nähmaschinen. Tatsächlich überwiegt jetzt in England das System, daß der Kapitalist eine größre Maschinenanzahl in seinen Baulichkeiten konzentriert und dann das Maschinenprodukt zur weiteren Verarbeitung unter die Armee der Hausarbeiter verteilt. Die Buntheit der Übergangsformen versteckt jedoch nicht die Tendenz zur Verwandlung in eigentlichen Fabrikbetrieb. Diese Tendenz wird genährt durch den Charakter der Nähmaschine selbst, deren mannigfaltige Anwendbarkeit zur Vereinigung früher getrennter Geschäftszweige in derselben Baulichkeit und unter dem Kommando desselben Kapitals drängt; durch den Umstand, daß vorläufiges Nadelwerk und einige andre Operationen am geeignetsten am Sitz der Maschine verrichtet werden; endlich durch die unvermeidliche Expropriation der Handwerker und Hausarbeiter, die mit eignen Maschinen produzieren. Dies Fatum hat sie zum Teil schon jetzt erreicht. Die stets wachsende Masse des in Nähmaschinen angelegten Kapitals spornt die Produktion und erzeugt Marktstockungen, welche das Signal zum Verkauf der Nähmaschinen durch die Hausarbeiter läuten. Die Überproduktion von solchen Maschinen selbst zwingt ihre absatzbedürftigen Produzenten, sie auf wöchentliche Miete zu verleihn, und schafft damit eine für die kleinen Maschineneigner tödliche Konkurrenz. Stets noch fortdauernde Konstruktionswechsel und Verwohlfeilerung der Maschinen depreziieren ebenso beständig ihre alten Exemplare und lassen sie nur noch massenhaft, zu Spottpreisen gekauft, in der Hand großer Kapitalisten, profitlich anwenden. Endlich gibt die Substitution der Dampfmaschine für den Menschen, hier wie in allen ähnlichen Umwälzungsprozessen, den Ausschlag. Die Anwendung der Dampfkraft stößt im Anfang auf rein technische Hindernisse, wie Schütteln der Maschinen, Schwierigkeit in der Beherrschung ihrer Geschwindigkeit, raschen Verderb der leichtern Maschinen usw., lauter Hindernisse, welche die Erfahrung bald überwinden