Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme

Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme - Jodocus Temme


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      Nachdem der Schneider dieses Alles eine Zeitlang angesehen hatte, erhob sich nicht weit von ihm, an dem Tische, an dem die Seelen der edlen Herrn von Barecken sich mit Tafeln beschäftigten, im argen Zank und Streit. Es war nemlich in dem Augenblicke eine neue Seele angekommen, ein junges, nettes Herrchen, mit einem glatten, sogar halbgelehrten Gesichte. Dieser sah sich eine Zeitlang forschend in dem Gewölbe um, schritt dann, als er den Tisch der Edlen von Barecken gewahrte, keck darauf zu, meldete sich als Einen Stamm und Anverwandten und wollte sofort von einem leeren Stuhle Besitz nehmen. Aber schnell sprang jetzt ein alter, großer und starker Ritter mit einem breiten dunkelen Gesichte und einem gewaltigem Schnurtzbarte, von seinem Sitze auf; man sah es ihm leicht an, daß er schon eine gute Weile in diesem Fegefeuer mußte gelebt haben; auch hatte er den Ehrenplatz an diesem Tische ein, und wurde auch von den übrigen Tischen, als denen von Metternich, die in seiner Nähe saßen, augenscheinlich in sonderlicher Ehren gehalten. Dieser trat mit zornfunkelnden Augen vor das junge kecke Herrchen, riß ihm den bereits gefaßten Stuhl wieder aus den Händen, und schrie ihm zu, daß er an diesen Tisch sich nicht wagen solle. Dieß konnte das Herrlein nicht begreifen, und es fragte daher verwundert: warum nicht?

      Warum nicht? schrie der alte Ritter noch zorniger; weil du ein feiger Gesell bist, der unserer ehrlichen Gesellschaft unwerth ist; weil Du dem Gottesurtheil auswichest mit Christian von Mantoll, und weil ich nicht glaube, daß ein edler Herr von Barecken dein Vater ist, sondern höchstens ein schlechter Knappe.

      Der junge Herr wurde hierüber sehr verdutzt, wollte aber doch etwas erwidern; allein der ganze Tisch fiel über ihn her, und ließ ihn nicht zu Worte kommen, und schleppte ihn zu einer langen, schmalen Bank von glühendem Eisen, auf der die Knappen und Knechte der Familien saßen, und wo sie ihm seinen Platz anwiesen.

      Gleich darauf trug sich wieder etwas Anderes zu, was dem Schneider nicht weniger merkwürdig war. An den Tisch des Grafen und edlen Herrn von der Lippe sprangen nemlich in geschäftiger Eile mehrere Bedienten, setzten daran einen großen, mit Lorbeeren geschmückten Sessel, und verkündeten, daß der Graf Simon von der Lippe so eben verstorben sey, und alsbald nahen werde. Ueber diese Botschaft freueten sich die Grafen von der Lippe und Alle die sie hörten, sehr, denn Graf Simon von der Lippe war Allen als der erste und muthigste Kämpe seiner Zeit bekannt. Nur in dem Gesichte des Bischof Wilhelm, der nicht weit davon saß, sah der Schneider gewaltigen Mißmuth, weil dieser, der in seinem Leben manche Fehde mit Simon von der Lippe gehabt hatte, öfters von ihm besiegt und sogar gefangen genommen war. Derselbe drehete daher auch sein zornglühendes Gesicht auf die Seite, als gleich darauf der Graf Simon eintrat. Dieser war ein großer, stattlicher Herr. Mit lauter Freude wurde er von seinem Stammverwandten empfangen, und im Triumphe führten ihn Alle zu seinem Ehrensessel. Hier wurden ihm alsbald die herrlichsten Speisen und die köstlichsten Weine aufgetragen. Allein, so sehr der edle Graf über diesen ehrenvollen Empfang sich freuete, so sah der Schneider doch, daß er bey dem Essen der Speisen und dem Trinken des Weines entsetzlich erbärmliche Gesichter schnitt, wie es einem solchen Helden im Leben sehr schlecht würde angestanden haben, worüber aber einige jüngere Herren von der Lippe, die der Sache schon länger und besser gewohnt waren, recht herzlich in ihr Fäustchen lachten.

      Gleich darauf aber freuete der Graf Simon sich noch mehr, denn es kam ein Diener, der ihm etwas ins Ohr sagte, und lange heimlich mit ihm sprach, dann aber davon lief und schnell mit einem großen Sessel zurückkehrte, den er an die Seite des edlen Grafen stellte. Hierüber wurden Alle neugierig, und wollten wissen, was das zu bedeuten habe; der Graf Simon berichtete ihnen aber, wie er so eben die Nachricht erhalten, sein edler Freund und langjähriger Kampfgenosse, der berühmte Ritter Busso von Assenburg sey in dieser Nacht zu Braunschweig Todes verblichen, und werde in kurzem hier eintreffen. Ein so würdiger Freund könne hier nur an seiner Seite sitzen. Ueber diese Botschaft geriethen Alle in die größte Freude, und sahen es gern, daß ein so tapfrrer Ritter an ihren Tisch komme. –

      Der Meister Pankratz hatte jetzt so vieles gesehen und gehört, daß seine Neugierde noch gerade befriedigt war, und er wieder anfing, an sich selbst zu denken. Dabey fiel es ihm denn gar heiß auf die Seele, wenn er dachte, daß er aus diesem Fegefeuer gar nicht wieder herauskäme, sondern gleich den Anderen, darin festgehalten würde. Zwar schien von denen, die ihn mit hereingenommen, Niemand mehr auf ihn zu achten, vielmehr sah er sich noch immer unbemerkt da stehen; dann wurde ihm jetzt mit jedem Augenblicke unheimlicher. Vergebens sann er auf Mittel fortzukommen; der Berg war von allen Seiten zu, und undurch dringlich, und kein Eingang und kein Ausgang war zu sehen; umsonst suchten seine Augen die Stelle, durch welche er hereingekommen war. Da wurde ihm zuletzt sehr Angst. Doch wer beschreibt seinen Schrecken, als er nun auf einmal nebst den übrigen Knappen und Knechten, die an seiner Seite standen, zum Essen gerufen, und dann an eine Tafel geführt wurde, die ganz links in einer Ecke stand. Folgen mußte er zwar, er setzte sich aber nicht auf den schmalen, feurigen Eisenstreifen, der die Bank ausmachte, und rührte auch die Speisen nicht an, die ihm doch etwas zu heiß schienen. Obgleich sonst von gutem Appetite, verspürte er jetzt nicht den geringsten Hunger, so schöne und würzige Speisen ihm auch entgegen dufteten. Doch auf einmal wurden Forellen mit frischen Erbsen, alles in einer köstlichen Brühe gekocht, aufgetragen. Forellen und Erbsen! jene so frisch blau, diese so frisch grün! das Herz lachte dem Schneider im Leibe. Er konnte nicht mehr widerstehen, rasch griff er mit der rechten Hand in die Schüssel, aber mit einem lauten, furchtbaren Schrey zog er sie wieder zurück, denn von den drey vordersten Fingern seiner rechten Hand war nichts mehr da, sie waren bis auf den Grund abgebrannt. Er heulte entsetzlich und schrie und fluchte und sprang umher, wie besessen.

      Darüber erhob sich ein unbändiges Gelächter in dem ganzen, weiten Gewölbe; Alles sprang auf von seinen Sitzen und drängte sich herbey, um den Schneider heulen und springen zu sehen, und lachte, was es nur lachen konnte. Selbst der Bischof Wilhelm und seine Domherrn vergnügten sich an den Grimassen des verbrannten Männleins.

      Doch nicht lange dauerte dieß; denn auf einmal wurde die allgemeine Aufmerksamkeit auf ein gewaltiges Geräusch gerichtet, das sich draußen vor dem Berge erhob. Es war, als wenn über hundert Ritter in schweren Rüstungen, mit Lanzen und Schwertern und auf wilden, schnaubenden Rossen herangesprengt kämen. Alles drängte sich nach der Gegend des Geräusches hin, auch der lamentirende Schneider wurde mit fortgerissen, und zu seinem Glücke. Denn als er jetzt auf einmal den Eingang des Fegefeuers offen sah, nahm er den Zeitpunkt wahr, in dem ein großer Ritter von vielen Knappen hereingeführt und von dem Grafen Simon von der Lippe mit dem Freudenausrufe: Mein Busso! empfangen wurde, und entwischte glücklich, von Niemanden bemerkt, durch die offene Thüre, aus dem vermaledeyten Berge.

      Draußen war der Mond noch eben am Rande des Himmels und im Untergehen begriffen, dagegen tauchte die Morgenröthe bereits empor. Der Schneider lief, was er laufen konnte, ohne sich weder umzusehen, noch sich auszuruhen, bis er auf dem Domhofe zu Paderborn erschöpft niedersank. Seines Geschäftes im Kloster Bödecken hatte er rein vergessen. –

      Verwunderungsvoll hatte man dem Schneider zugehört, als er dieses alles erzählte. Sonderbar, höchst sonderbar! riefen Alle, als er endigte. Die Meisten glaubten ihm, weil es schon lange bekannt war, daß im Lutterberge, das Fegefeuer des westphälischen Adels sey. Viele aber meinten, der gute Schneider habe entweder geträumt, oder sey von irgend einem Ritter, oder auch von bösen Geistern arg geneckt und gefoppt worden. Dann widersetzte sich aber der Schneider mit vielem Eifer, und hob zum Wahrzeichen, daß Alles sich so verhalte, wie er es gesagt, seine verbrannte Hand in die Höhe. Doch so recht trauete man auch diesem Zeichen nicht; und erst, als am anderen Tage die Nachrichten einliefen, in derselben Nacht, von der der Schneider gesprochen, seyen wirklich der Graf Simon von der Lippe und der Ritter Busso von Assaburg plötzlich Todes verblichen, erst da glaubte man, daß der Schneider wahr gesprochen, und ganz gewiß und unzweifelhaft ist es seitdem, daß in dem Lutterberge bey Bödecken das Fegefeuer für die abgeschiedenen Seelen des westphälischen Adels ist. –

      Ich habe diese wahrhaftige, auch von Bernhard Wittius in seiner Historia Westphaliae, pag. 613 – 616 als wahr verbürgte Geschichte aus dem Grunde hier wieder erzählt, um einmal denjenigen westphälischen Edelleuten, die das noch nicht wissen sollten, wenigsten von einem Theile ihres künftigen Daseyns Kenntniß und Gewißheit zu verschaffen, und um zum andern den Adel in den übrigen Provinzen Deutschlands zu einer Erkündigung aufzumuntern, wo dann seinFegegefeuer künftig


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