Mami Staffel 3 – Familienroman. Gisela Reutling
hat mich darum gebeten.«
»Klaudia? Dann ist sie nicht bös auf mich?« Aber gleich nach einem Aufatmen vermutete er: »Dann kriegt sie auch Krach mit ihm. Und du erst recht.«
»Das macht mir nichts aus, Sandro«, beschloß sie und verlieh ihrer Stimme einen munteren Klang. »Ich krieg Krach mit deinem Papi, du kriegst dafür ein Stück Karottenkuchen.«
Sandro richtete sich auf, bemerkte ihr schelmisches Lächeln und erwiderte es.
»Karottenkuchen? Was ist das denn?«
»Was recht Leckeres. Nach einem Rezept von Detlef Barmfeld.«
»Der Onkel Barmfeld? Ach, du Schreck! Das ist doch der komische Onkel von Kiki und Linus, nicht?« Er wischte sich übers Gesicht. »Kennst du den etwa?«
»Ja, aber nur ganz flüchtig«, schwindelte sie. Gerade jetzt würde es Sandro kränken, wenn er erfuhr, daß es außer ihm noch einen anderen Menschen in ihrem Leben gab, der ihr eine Menge, ja, sogar sehr viel bedeutete.
»Kommt der etwa zu dir, Tante Bea?«
»Nein. Nur, wenn ich es wünsche. Aber wenn du bei mir bist, brauche ich keinen Besuch. Ich hab ja dann dich.«
*
Eine Woche später, in aller Frühe am Mittwochmorgen, brachte Beate ihren Neffen wieder zur Schule. Dann fuhr sie in die Villa und kontrollierte, ob alles für Klaudias Rückkehr aus der Klinik vorbereitet war. Karla und das türkische Hausmädchen putzten doch tatsächlich das Silber, und Günther mähte den Rasen, als ob sich die englische Königin zu einem Picknick darauf niederlassen sollte.
Eine Stunde später betrat Beate hinter ihrem Bruder Reinhard von Redwitz sein Büro am Jungfernstieg. Sie hatte ihn am Flughafen erwartet und darauf gedrungen, daß er seine Begleiter im Vorraum zurückließ.
Reinhard sah wie immer hervorragend aus. Nicht ein Hauch von Müdigkeit erinnerte an den zehnstündigen Flug von Buenos Aires nach Hamburg, nicht der Schatten von Trauer über Klaudias Zustand verdüsterte sein markantes Gesicht.
»Danke, daß du Klaudia gleich besucht und aufgemuntert hast, Bea!« Er warf einen Blick auf die Post auf seinem Schreibtisch, bat seine Sekretärin um Kaffee und öffnete dann die Tür zu dem winzigen »Kabinett« mit Waschtisch und Spiegel, um den Sitz seiner Krawatte und des seidenen Tüchleins in der Tasche zu kontrollieren. »Was meinst du, soll ich Klaudia außer der schicken Gaucho-Stiefel noch etwas in die Klinik mitbringen?«
»Gaucho-Stiefel?« wiederholte nun Bea. »Was soll sie denn damit?«
Er lachte. »Sie sind erste Wahl aus einem Top-Laden in Buenos Aires. Wunderbares Leder und beste Verarbeitung. Klaudia und ich sind Anfang Juli zu einem Wochenende in der Nähe von Kopenhagen eingeladen. Sie wird mit diesem modischen Gag alle Blicke auf sich ziehen.«
»Reinhard!« rief sie entsetzt. »Was geht nur in dir vor? Deine Frau ist schwach, krank und verzweifelt!«
»Das geht vorüber. Rosen habe ich ihr übrigens schon schicken lassen. Die sind natürlich verwelkt. Ich werde neue besorgen lassen. Und heute abend, wenn ich mit ihr allein bin, werden wir meine Ehrendoktorwürde nur in trauter Zweisamkeit feiern. Zufrieden?«
»Ehrendoktorwürde!« schnaubte Bea wütend.
»Na, ist das nicht ein Spaß? Die Universität in Kuala Lumpur verleiht sie mir. Ich habe es in Buenos Aires erfahren und meine Termine danach eingerichtet. Mitte Juli sind die Temperaturen in Malaysia gerade erträglich. Ich werde meinen dortigen Aufenthalt für Gespräche auf höchster Ebene nutzen.«
Beate ließ sich auf einen Sessel sinken. Die Sekretärin brachte Kaffee, und Reinhard ließ sich herab, seine Schwester persönlich zu bedienen. Er wußte immer, wie er Menschen für sich einnehmen konnte.
»Wenn überhaupt, wirst du Klaudia mit nach Malaysia nehmen«, entschied Beate und nahm ihm die Tasse ab. »Du mußt dich endlich um sie kümmern. Wozu hast du sie überhaupt geheiratet? Sie schuftet sich krank, um ihre Stellung in der Redaktion gegen Intrigen zu behaupten und doch wünscht sie sich nichts sehnlicher als ein Kind. Was soll das alles? Hast du kein Mitleid mit ihr?«
Reinhard saß ihr gegenüber. »Intrigen in der Redaktion? Ach, Unsinn. Ein Anruf bei ihrem Verleger, und damit ist Schluß.«
»Fällt dir dazu nichts Besseres ein? Ein liebevolles Gespräch mit ihr, und du wirst merken, daß Klaudia ihre Berufstätigkeit gern an den Nagel hängen würde. Das wär’ angebracht!«
»Aber sie ist jetzt nicht mehr in anderen Umständen. Was sollte sie zu Hause anfangen? Mit Sandro verbindet sie wenig. Das macht nichts. Der kleine Bursche kommt Gott sei Dank auch ohne sie gut zurecht.«
»Da irrst du. Er leidet unter der Situation, gerade, weil er sie liebgewonnen hat. Aber für die Gefühle deiner Nächsten hast du dich ja nie interessiert. Manchmal denke ich, du bist ein rechtes Scheusal.«
Er wischte ihren Vorwurf mit einem milden Lächeln vom Tisch.
»Irrtum. Ich kenne meine Frau sehr gut. Nach einer gewissen Zeit wird ihr die Arbeit wieder Spaß machen. Sie wird sich an ihrem Erfolg freuen und nicht tatenlos zu Hause rumsitzen. Und Sandro? Der ist intelligent genug, um sich jeder Situation anzupassen. Das hat er von mir. Er achtet Klaudia, mehr erwarte ich auch nicht. Hauptsache, er hat begriffen, wohin er gehört.« Er schmunzelte.
»Mag sein. Aber vor einer Woche hat er sich in seinem Zimmer eingeschlossen, so litt er unter Klaudias Unglück.« Sie holte tief Luft. »Ich habe ihn mitgenommen. Er war bis heute morgen bei mir.«
»Sandro? Bei dir? Das wußte ich nicht und hätte es auch nicht gestattet!«
»Reinhard! Dein Sohn fühlt sich für Klaudias Unglück verantwortlich und leidet, wie ein Junge mit einem guten Herzen nur leiden kann.«
Das saß! Reinhards Nacken wurde ganz steif.
»Wenn er begreift, daß es kein kleines Baby im Haus geben wird, auf das er eifersüchtig sein muß, wird er wieder zufrieden sein.«
»So? Sandro ist aber nicht so wie du! Ich nehme stark an, daß er Klaudia sehr, sehr gern hat und sich deshalb so quält.«
Reinhard von Redwitz erhob sich abrupt, sah zum Fenster auf die Alster hinaus und sagte dann leise. »Ich will mich nicht schon wieder über dich ärgern, Bea. Unter Umständen hat Sandro tatsächlich unter Klaudias Unglück gelitten. Aber Kinder vergessen schnell.« Er schob die Hände in die Hosentaschen. »Reden wir nicht mehr davon. Jetzt geht es um Klaudia. Du weißt, daß sich meine Vorstellungen von einer glücklichen Ehe aus bitteren Erfahrungen entwickelt haben. Klaudia ist eine wunderbare Frau. Sie pflegt ihre eigenen Interessen und ist dennoch eine hinreißende Gastgeberin. Dafür spreche ich ihr immer wieder meinen Dank aus. Ich erwähnte auch oft, wie sehr mich Ruths ständige Klagen belastet haben. Als Sandro geboren wurde, verstummten diese Klagen ja nicht. Daß ich mich trotzdem weigerte, Ruth mit auf meine Reisen zu nehmen, hatte Gründe genug. Du kennst sie…«
»Ja, aber Klaudia ist nicht Ruth. Darum liebst du sie doch. Oder hast du vergessen, warum du sie geheiratet hast?«
»Ein Mann wie ich ist mit einer intelligenten Frau an seiner Seite doppelt erfolgreich«, lächelte er kühl. »Und Sandro braucht außer einem erfolgreichen Vater auch ein weibliches Vorbild. Eine Frau wie Klaudia, deren Disziplin, Stilgefühl und Tüchtigkeit ihn fürs Leben prägen sollte.«
»Aha. So eine Frau war ich natürlich nicht.«
Er sah sie mit mitleidigem Lächeln an. »Du bist immerhin pflichtbewußt und bescheiden. Ja, und du opferst dich gern auf. Das ist viel, aber es genügt nicht.«
Sie war wie gelähmt. Ob Detlef Barmfeld sie auch so einschätzte? Sollte sie lieber zum Frisör rennen, anstatt ihm Karottenkuchen zu backen? Nein, mit diesen Ängsten durfte sie sich jetzt nicht belasten.
»Klaudia erträgt nur dir zuliebe diesen Druck, Reinhard. Darum nimm sie doch bitte einmal mit, wenn du eine große Reise antrittst. Zeig ihr, wie gern du sie um dich hast, gerade weil sie