Luthers Glaube: Briefe an einen Freund. Ricarda Huch

Luthers Glaube: Briefe an einen Freund - Ricarda  Huch


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sind.“ Das bewundere ich besonders an Luther, daß er begriff, daß der Teufel und die Sünde zwar nicht sein sollen, aber sein müssen, während die meisten Menschen nicht auf die Idee des Guten kommen können, ohne daß sie die Idee des Bösen aus der Welt schaffen möchten. Es muß aber beides sein.

      Denke nicht, geliebter Freund, du wärest kein Werkheiliger, wenn du kein Pharisäer, wenn du nicht tugendstolz bist. Du hast zu viel Geschmack, um mit Tugenden zu prahlen, die du nicht besitzest; aber du bist zu stolz, um von einem andern als dir selbst einen Tadel ertragen zu können. Dabei ist doch eine verkappte Heuchelei, denn es erscheint nicht alles, was du bist, wenn auch nichts erscheint, was du nicht bist. Du verstellst dich nicht, aber du verbirgst dich. Diejenigen, die keine andere Belohnung suchen, als sich selbst zu genügen, sind, gerade weil sie gottähnlich sein wollen und sind, am allermeisten ungöttlich; sie sind wie Luzifer, der schönste unter den Engeln, der durch seine Schönheit zum obersten Teufel wurde. „Gleichwie vom Anbeginn aller Kreaturen“, sagt Luther, „das größte Übel ist allezeit gekommen von den Besten.“ Dein Unglück, du Liebster und Schönster unter den Menschenkindern, scheint mir zu sein, daß dir nichts und niemand schön genug scheint, um dich zur Sünde zu verführen; darum betest du dich selbst an und verführst, du, der selbst nicht sündigen will, andere dazu, die Sünde, dich anzubeten, mit dir zu teilen. Fast, fast hättest du auch mich dazu verführt; aber ich bin nun einmal in der Gnade und kann dich lieben, ohne Schaden an der Seele zu nehmen, ja ich kann sogar mit dir schelten, und du mußt mir zuhören. Runzle nicht die Stirn und hebe nicht warnend den Finger: ohnehin bricht der Morgenstern durch die erste Nacht und lächelt.

       Inhaltsverzeichnis

      Darauf war ich vorbereitet, daß du mit einer ablehnenden Gebärde, die alles glatt vom Tisch streicht, was ich dir vorgelegt habe, antworten würdest. Da ich nun einmal deine Scheherazade oder dein Kanzler bin, mein König, finde ich mich hinein, zuweilen auch einem ungnädigen Herrn Vortrag halten zu müssen, und hoffe, daß diesmal entweder ich mich deutlicher ausdrücke oder er mir ein geneigteres Ohr schenkt.

      Du schreibst mir, das wissest du wohl, daß ein guter Baum gute Früchte trage und ein schlechter Baum schlechte, und daß es am schönsten sei, wenn einer das Gute tue, weil er müsse; es hätte dich interessiert zu erfahren, wie aus einem schlechten Baum ein guter werden könne, und solange du kein Mittel dafür wüßtest, zögest du gute Früchte, wenn auch durch Eigenwillen hervorgebracht, schlechten vor. Auf die Gnade warten, die vielleicht nie käme, sei im Grunde eine Schlamperei, und du hieltest dich einstweilen an das Wort Goethes: Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen.

      Nebenbei bemerkt liebe ich es nicht, wenn man Goethe wie einen Wandschirm benützt, um sich dahinter zu verstecken; denn nicht alle Worte Goethes sind Worte Gottes und an sich beweiskräftig. Mit diesem Ausspruch indessen erkläre ich mich einverstanden; denn die Engel sagen es von Faust, der gläubig war. Erinnere dich, daß er Mephisto stets zur Seite hat, und wer an den Teufel glaubt, der glaubt auch an Gott. Die ganze Faustdichtung ist überhaupt auf Luthersche Lehre gegründet, wenn auch im zweiten Teile Absicht und Wollen zuweilen störend hervortritt. Gerade Faust sündigt ja gründlich; aber er könnte mit den Worten der Bibel sagen: Wenn wir auch sündigen, so sind wir doch die Deinen und wissen, daß du groß bist. Sein Streben nach dem Guten ist nicht moralisch, sondern aus dem Innern geboren und ihm notwendig, und es macht sein Gesicht schön, anstatt ihm mit einer Maske auszuhelfen. Faust mußte zwar auch erst zum Sündigen aufgefordert werden; aber es glückte doch ziemlich rasch, ja die Aufforderung ging eigentlich von ihm selbst aus; unsere Zeit hingegen ist voll von Melanchthons, die erst nicht sündigen wollen und es schließlich nicht mehr können. Die meisten können es schon von Geburt an nicht mehr, sie liebäugeln nur mit der Sünde; denke aber nicht, daß ich dich zu diesen kalten Koketten zähle. Immerhin bist du des Sündigens wohl so entwöhnt, daß du es nicht ohne weiteres richtig anpacken würdest, und da du außerdem die Ordnung liebst und das letzte Warum von allen Dingen haben willst, so werde ich mit einer Untersuchung der Sünde anfangen.

      Man sollte, um eine Idee recht zu verstehen, das Wort betrachten, in dem sie sich ausprägt. Res sociae verbis et verbis rebus: die Substanz ist dem Wort gesellt und das Wort der Substanz. Mir scheint es hier am besten, die Dinge mit Substanz zu übersetzen. Die Sprache, sagt Luther, ist die Scheide, darin das Messer des Geistes steckt. Nun kommt das Wort Sünde von Sondern, und im Begriff des Sonderns, der Absonderung, ist auch der Begriff der Sünde gegeben. Die erste Sünde des Menschen ist die Absonderung von Gott: anstatt im Gehorsam Gottes zu bleiben, sonderte er sich von Gott ab und wollte selbst Gott sein; es ist die Erbsünde, die jedem Menschen anhaftet und seinen Willen knechtet, so daß er nur sich selbst wollen kann. Der selbstische Mensch erkennt nicht, daß er Teil eines Ganzen ist, sondern er hält sich selbst für ein Ganzes und den Herrn oder Mittelpunkt seiner Umwelt, die er für sich ausnützt, anstatt dem All-Mittelpunkt, dem Ganzen zu dienen. Die Erbsünde ist also zugleich eine Sünde gegen Gott und gegen die Menschen, was sich von selbst versteht, da Gott in der Menschheit sich offenbart. Um die Erbsünde oder die Selbstsucht – nimm auch das Wort Sucht bitte in seiner eigentlichen Bedeutung, nämlich Seuche, Krankheit – zu bekämpfen, richtete Gott das Gesetz auf, und die Verfehlungen gegen das Gesetz nennen wir im engeren Sinn Sünde, sie sind gewissermaßen die angewandte Erbsünde.

      Indessen habe ich mich unrichtig ausgedrückt, indem ich sagte, Gott habe durch das Gesetz die Sünde bekämpfen wollen; zunächst wenigstens gab er das Gesetz, um die Sünde zu mehren, „damit die Sünde überhandnehme“, wie Paulus sagt. Das Gesetz sollte den Menschen zeigen, was für Sünder sie sind, also handeln sie der Absicht Gottes entgegen, wenn sie nicht sündigen. Gott ruft uns im Gesetz zu: Zeige dich, wie du bist; aber der moralische und luziferische Mensch verbirgt sich hinter dem Feigenblatt der guten Werke, in der Meinung, Gott zu hintergehen. Wenn Luther jemand ermahnt zu sündigen, so will er, daß er sich so selbstsüchtig zeige, wie er ist; ordentliche, kräftige Sünden, auf die kommt es an, offene und offenbare, die der Welt und einem selbst unwiderleglich zeigen, daß man ein Sünder ist. Ich denke, hier spenden die modernen Psychiater Gott, Luther und mir Beifall und sagen: ja, die Sünde muß geäußert, nicht nach innen verdrängt, sie muß begangen und bekannt werden, sonst vergiftet und zerfrißt sie das Innere. Es geht sonst wie Luther sagt: „Auswendig hats eine gute Gestalt, inwendig wirds voll Gift“; und zuletzt hat es auch auswendig keine gute Gestalt mehr. Nur ist dabei zu bemerken, daß auch das Sündigen nicht hilft, wenn es gewollt wird; es muß, wie das Gute, gemußt werden, wenn es fruchten soll.

      Neben jener ersten Absonderung von Gott gibt es auch eine im entgegengesetzten Sinne, also eine vom Selbst ab zu Gott zurück. Wie aber jene erste Absonderung zugleich eine Sünde gegen die Menschen war, so muß auch die Wiedervereinigung mit Gott zugleich eine Vereinigung mit den Menschen sein; wer sich mit Gott zu vereinigen glaubt, indem er sich von den Menschen absondert, befindet sich auf einem Irrwege und versinkt anstatt in Gott nur immer tiefer in sein Selbst. „So jemand spricht: Ich liebe Gott! und hasset seinen Bruder, der ist noch in der Finsternis.“ Dies ist, was gerade dem hochstehenden Menschen am wenigsten eingeht, daß er Gott nicht nur, aber doch vorzüglich in den Menschen lieben muß; denn gerade Absonderung von den Menschen verlangt seine luziferische Vorzüglichkeit, weil es ihn vor ihrer Gemeinheit ekelte, veredelte er sich, von ihnen abgewendet. „Hüte dich, daß du nicht so rein seiest, daß du von nichts Unreinem berührt sein willst“, schrieb Luther einem seiner Freunde. Die schon erwähnten Psychiater können dir bestätigen, daß es eine bekannte Zwangsvorstellung Geisteskranker ist, überall Staub oder andere Unreinlichkeit zu wittern, die ihnen Angst und Abscheu einflößt. Dabei fällt mir ein, daß ich einen Menschen kenne, der am liebsten den ganzen Tag an sich herumwaschen würde, der einen sehr feinen Geruchssinn hat und unter schlechten Gerüchen und Schmutz besonders leidet; aber er würde jede menschliche Ekelhaftigkeit, Pest, Krebs, Seuche, Verbrechen anrühren, wenn er den damit Behafteten helfen könnte, und zwar ohne daß es ihn Überwindung kostete. Das ist aber auch ein


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