Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada
Mit brennenden Füßen und einer schmerzenden Öde im Kopf machte sie sich auf den Heimweg; sie mochte gar nicht daran denken, was sie noch alles zu tun hatte, bis sie endlich ins Bett gehen konnte. Auf dem Heimweg erledigte sie noch ihre Besorgungen auf Karten; beim Fleischer musste sie ziemlich lange anstehen, und so war es fast sechs Uhr geworden, als sie langsam die Stufen ihrer Wohnung am Friedrichshain emporstieg.
Auf der Treppenstufe vor ihrer Tür stand ein kleiner Mann in hellem Mantel und mit Sportmütze auf. Er hatte ein farbloses Gesicht ohne allen Ausdruck, die Lider waren ein wenig entzündet, die Augen blass, solch ein Gesicht, das man sofort wieder vergisst.
»Du, Enno?«, rief sie erschrocken und nahm die Wohnungsschlüssel unwillkürlich fester in die Hand. »Was willst du denn bei mir? Ich habe kein Geld und auch kein Essen, und in die Wohnung lasse ich dich auch nicht!«
Der kleine Mann machte eine beruhigende Bewegung. »Warum denn gleich so aufgeregt, Eva? Wieso denn gleich so bösartig? Ich will dir doch bloß mal guten Tag sagen, Eva. Guten Tag, Eva!«
»Guten Tag, Enno!«, sagte sie, aber nur widerwillig, denn sie kannte ihren Mann seit vielen Jahren. Sie wartete eine Weile, dann lachte sie kurz und böse auf. »Jetzt haben wir uns guten Tag gesagt, wie du wolltest, Enno, und du kannst gehen. Aber wie ich seh, gehst du nicht, was willst du also wirklich?«
»Siehste, Evchen«, sagte er, ihr immer gut zuredend. »Du bist ’ne vernünftige Frau, und mit dir kann man ’n Wort reden …« Er fing an, ihr umständlich auseinanderzusetzen, dass die Krankenkasse nicht mehr länger zahlte, weil er seine sechsundzwanzig Wochen Kranksein rum hatte. Er musste wieder arbeiten gehen, sonst schickten sie ihn zurück zur Wehrmacht, die ihn seiner Fabrik zur Verfügung gestellt hatte, weil er Feinmechaniker war, und die waren knapp. »Die Sache ist nun die und der Umstand der«, schloss er seine Erklärungen, »dass ich die nächsten Tage einen festen Wohnsitz haben muss. Und da habe ich gedacht …«
Sie schüttelte energisch den Kopf. Sie war zum Umsinken müde und sehnte sich danach, in die Wohnung zu kommen, wo so viel Arbeit auf sie wartete. Aber sie ließ ihn nicht ein, ihn nicht, und wenn sie die halbe Nacht hier stehen musste.
Er sagte eilig, aber es klang immer gleich farblos: »Sag noch nicht nein, Evchen, ich bin noch nicht zu Ende mit meinen Worten. Ich schwöre dir, ich will gar nichts von dir, kein Geld, kein Essen. Lass mich bloß auf dem Kanapee schlafen. Ich brauch auch keine Bettwäsche. Du sollst nicht Arbeit von mir haben.«
Wieder schüttelte sie den Kopf. Wenn er bloß aufhören wollte mit reden, er sollte doch wissen, dass sie ihm nicht ein Wort glaubte. Er hatte noch nie gehalten, was er versprochen hatte.
Sie fragte: »Warum machst du das nicht bei einer von deinen Freundinnen ab? Die sind dir doch sonst gut genug für so was!«
Er schüttelte den Kopf: »Mit den Weibern bin ich durch, Evchen, mit denen befass ich mich nicht mehr, mit denen hat’s mir gereicht. Wenn ich alles bedenke, du warst doch immer die Beste von allen, Evchen. Gute Jahre haben wir gehabt, damals, als die Jungen noch klein waren.«
Unwillkürlich hatte sich ihr Gesicht bei der Erinnerung an ihre ersten Ehejahre aufgehellt. Die waren wirklich gut gewesen, damals, als er noch als Feinmechaniker arbeitete und jede Woche seine sechzig Mark nach Haus brachte und von Arbeitsscheu nichts wusste.
Enno Kluge sah sofort seinen Vorteil. »Siehste, Evchen, ein bisschen hast du mich doch noch gerne, und darum lässt du mich auch auf dem Kanapee schlafen. Ich versprech dir, ich mach’s ganz schnell ab mit dem Arbeiten, mir liegt doch auch nichts an dem Kohl. Bloß so lange, dass ich wieder Krankengeld kriege und nicht zu den Preußen muss. In zehn Tagen schaff ich’s, dass sie mich wieder krankschreiben!«
Er machte eine Pause und sah sie abwartend an. Diesmal schüttelte sie nicht den Kopf, aber ihr Gesicht sah undurchdringlich aus. So fuhr er fort: »Ich will’s diesmal nicht mit Magenblutungen machen, da geben sie einem nichts zu fressen in den Krankenhäusern. Ich reise diesmal auf Gallenkoliken. Da können sie einem auch nichts nachweisen, bloß mal röntgen, und man muss keine Steine haben für die Koliken. Man kann bloß. Ich habe mir alles genau erklären lassen. Das klappt schon. Bloß dass ich erst diese zehn Tage arbeiten muss.«
Sie antwortete wieder mit keinem Wort, und er fuhr fort, denn er glaubte daran, dass man den Leuten ein Loch in den Bauch reden kann, dass sie schließlich doch nachgeben, wenn man nur beharrlich genug ist. »Ich habe auch die Adresse von ’nem jüdischen Arzt in der Frankfurter Allee, der schreibt jeden krank, wenn man will, bloß dass er keine Schwierigkeiten hat mit den Leuten. Mit dem schaff ich’s: in zehn Tagen bin ich wieder im Krankenhaus, und du bist mich los, Evchen!«
Sie sagte, müde all dieses Geschwätzes: »Und wenn du bis Mitternacht hier stehst und redest, ich nehme dich doch nicht wieder auf, Enno. Ich tu’s nie wieder, du kannst sagen, was du willst, und du kannst tun, was du willst. Ich lass mir nicht wieder alles kaputtmachen von dir und deiner Arbeitsscheu und deiner Rennwetterei und deinen gemeinen Weibern. Ich hab’s dreimal erlebt und das vierte Mal und noch mal und noch mal, und nun hat’s geschnappt bei mir, nun ist es alle! Ich setze mich hier auf die Treppe, ich bin nämlich müde, seit sechs bin ich auf den Beinen. Wenn du willst, setz dich dazu. Wenn du magst, rede, wenn du nicht magst, halt den Mund, mir ist alles egal. Aber in die Wohnung kommst du mir nicht!«
Sie hatte sich wirklich auf die Treppenstufe gesetzt, auf die gleiche Stufe, die vorher sein Warteplatz gewesen war. Und ihre Worte hatten so entschlossen geklungen, dass er fühlte, diesmal half auch alles Reden nichts. So rückte er denn seine Jockeymütze ein wenig schief und sagte: »Na denn, Evchen, wenn du durchaus nicht willst, wenn du mir nicht mal so ’nen kleinen Gefallen tun willst, wo du weißt, dein Mann ist in Not, mit dem du fünf Kinder gehabt hast, und drei liegen auf dem Kirchhof, und die zwei Jungen kämpfen für Führer und Volk …« Er brach ab, er hatte ganz maschinenmäßig so vor sich hin geredet, weil er das Immerweiterreden aus den Kneipen gewohnt war, obwohl er doch begriffen hatte, hier war jedes Reden zwecklos. »Also, ich geh denn jetzt, Evchen. Und dass du’s weißt, ich nehm dir nichts übel, das weißt du, ich mag sein, wie ich will, übelnehmen tu ich nichts.«
»Weil dir alles gleichgültig ist bis auf deine Rennwetterei«, antwortete sie nun doch. »Weil dich sonst nichts auf der Welt interessiert, weil du nichts und keinen gernhaben kannst, nicht einmal dich selbst, Enno.« Aber sie brach sofort wieder ab, es war so nutzlos, mit diesem Mann zu sprechen. Sie wartete eine Weile, dann sagte sie: »Aber ich denke, du wolltest gehen, Enno?«
»Jetzt geh ich, Evchen«, sagte er ganz überraschend. »Mach’s gut. Ich nehm dir nichts übel. Heil Hitler, Evchen!«
»Heil Hitler!«, antwortete sie ganz mechanisch, immer noch fest davon überzeugt, dass dieses Abschiednehmen nur eine Finte von ihm war, bloß die Einleitung zu neuem, endlosem Gerede. Aber zu ihrer grenzenlosen