Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze. Thomas Wolfe

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drankommen kann. Die großen Starken scheint sie am liebsten anzufallen. Mister Hanby, der methodistische Pfarrer, starb vorige Woche. Lungenentzündung war zugetreten. Er war ein feiner, gesunder Mann in den besten Jahren. Die Ärzte hatten ihn von Anfang an aufgegeben. Helene lag ein paar Tage lang zu Bett. Sagt, es war ihre alte Nierensache. McGuire wurde Dienstag abends gerufen. Aber sie sollen nur schwätzen, mir können sie nichts weismachen. Sohn, ich hoffe, daß Du nie dieser furchtbaren Sucht nachgeben wirst. Dieser Fluch hat mein Leben schwer gemacht. Dein Vater macht weiter, wie immer. Er ißt gut, schläft ausgezeichnet; scheint mir ganz derselbe wie vor einem Jahr; er kann noch lange leben, wenn wir andern alle schon unter der Erde liegen. Ben ist noch hier. Er latscht den ganzen Tag im Haus herum und schneidet Gesichter. Er klagt über Appetitlosigkeit. Meiner Meinung nach sollte er sich wieder Arbeit suchen und was schaffen, so daß er auf andre Gedanken kommt. Es sind nur noch ein paar Leute im Haus. Mistress Pert und Miss Newton wie gewöhnlich. Die Crosbys sind nach Miami heimgereist. Wenn es hier kälter wird, pack ich meinen Koffer und fahr auch nach Florida. Ich glaube, ich werde alt. Ich kann nämlich die Kälte nicht mehr so vertragen wie früher. Du sollst Dir einen warmen Mantel kaufen, ehe der Winter einsetzt. Du sollst viel und gut essen. Verschwende Dein Geld nicht, sondern …«

      Daraufhin hörte er wochenlang nichts. Dann, an einem. regnerischen Abend, als er gegen sechs auf die Bude, die er mit Heston zusammen bewohnte, kam, fand er ein Telegramm. Es lautete: »Heimkomme sofort. Ben hat Lungenentzündung. Mutter.«

      XXXV

      Es ging an diesem Tag kein Zug mehr. Heston beruhigte Eugen während des Abends; er gab ihm einen starken, mit Laboratoriumsalkohol selbsthergestellten Gin zu trinken. Eugen wurde still; babbelte dann wieder unzusammenhängendes Zeug; er richtete hundert Fragen über die Krankheit an den Mediziner.

      »Wenn's doppelseitige Lungenentzündung wär', dann hätt' sie's doch gesagt. Glaubst Du nicht auch, Heston, wie?« fragte er fiebrig.

      »Ich persönlich würde es annehmen«, sagte Heston, der stille, gütige Mensch.

      Eugen fuhr am nächsten Morgen nach Exeter zum Zug. Den ganzen gedunsenen Tag rollte er durch den trüben, grauen Staat. Dann mußte er auf einem Umsteigebahnhof ein; paar Stunden warten. Schließlich, als es dunkel wurde, trug ihn der Zug auf das Gebirg zu.

      Er lag in seiner Pullmankoje und starrte mit heißen, schlaflosen Augen auf die schwarze Erde, auf den dunklen Umriß der. Berge hinaus. Kurz nach Mitternacht verfiel er in einen nervösen Schlaf. Er wachte auf vom Schienengeratter, als der Zug in Altamont einfuhr. Er war verdöst, halbangezogen. Das Zischen und der Ruck der Bremse brachten ihn ganz zur Besinnung. Einen Augenblick später sah er durch die Bettvorhänge in die ernsten Gesichter von Lukas und Hugo Barton.

      »Ben ist sehr krank«, sagte Hugo Barton.

      Eugen zog seine Schuhe an und sprang aus der Koje herunter; er steckte Kragen und Schlips in die Manteltasche.

      »Gehn wir!« sagte er, »ich bin fertig.«

      Sie gingen leis den vom Schnarchen der Fahrgäste durchdröhnten Gang hinauf. Als sie aus dem öden Bahnhof auf Hugo Bartons Auto zusteuerten, fragte Eugen den Seemann:

      »Wann bist Du gekommen, Lukas?«

      »Gestern abends spät«, sagte Lukas. »Ich bin erst ein paar Stunden da.«

      Es war vier Uhr dreißig früh. Das häßliche Bahnhofsviertel starrte ihn an wie etwas Entsetzliches in einem Traum. Die plötzliche Heimkehr erhöhte den Eindruck der Unwirklichkeit. In einem der Autos, die längs des Bürgersteigs geparkt waren, schlief der Chauffeur zusammengerollt unter seiner Wolldecke. Im griechischen Restaurant hockte ein Mann, das Gesicht auf den Bartisch gelegt. Die Laternen brannten matt und trüb. Ein paar Zimmerfenster in den Fassaden der billigen Bahnhofshotels waren halbhell vom wolllüstig-gedämpften Glosen der Bettlampen.

      Hugo Barton, der sonst sehr vorsichtig chauffierte, ließ den Wagen anspringen, fuhr scharf an, wechselte kreischend die Gänge. Sie sausten mit Achtzigkilometergeschwindigkeit durch die rachitischen Elendsviertel.

      »Be-be-ben ist sicher schwer daneben, be-be-befürcht' ich«, fing Lukas an.

      »Wie ist es gekommen, sagt mir das doch!« fragte Eugen.

      Ben hatte sich an einem von Daisys Kindern mit Grippe angesteckt. Krank und fiebrig hatte er sich einen oder zwei Tage, ohne sich ins Bett zu legen, im Haus herumgetrieben.

      »In dieser go-go-gottverdammten kalten Scheuer!« platzte Lukas heraus. »Wenn er stirbt, ist es, w-w-weil er nicht warm genug kriegen ko-ko-konnte!«

      »Laß das jetzt!« rief Eugen gereizt. »Weiter?!«

      Schließlich hatte Ben sich zu Bett gelegt, und Mistress Pert hatte ihn zwei Tage lang gepflegt.

      »Sie war die Einzige, die was für ihn t-t-tat«, sagte der Seemann.

      Schließlich hatte Eliza Cardiac zugezogen.

      »Dieser verda-da-dammte Quacksalber!« stotterte Lukas.

      »Laß das doch!« schrie Eugen. »Warum jetzt schimpfen? Weiter?!«

      Nach ein bis zwei Tagen war Ben allem Anschein nach Rekonvaleszent. Cardiac sagte, er könne aufstehn, wenn er wolle. Ben war aufgestanden und hatte sich einen Tag lang, fluchend vor Wut, im Haus rumgetrieben, aber am nächsten Tag mußte er wieder das Bett hüten. Er hatte hohes Fieber. Schließlich wurde Coker zugezogen.

      »Hätten sie gleich tun sollen«, grollte Hugo Barton, übers Steuerrad gebückt.

      »Laß das doch jetzt!« gellte Eugen. »Weiter?!«

      Und Ben war verzweifelt krank, doppelseitige Lungenentzündung, seit zwei Tagen. Der traurig-prophetische Bericht gab einen kurzen, furchtbaren Einblick in die Öde, die Saumsal und den Verfall ihrer Leben. Sie verstummten vor der unerbittlichen Tragik ihres Daseins. Sie hatten nichts zu sagen.

      Der große Wagen sauste surrend auf den öden, kalten Stadtplatz hinauf. Der Eindruck der Unwirklichkeit verstärkte sich in Eugen. Er dachte an sein Leben, an die glänzenden, verlornen Jahre vor diesem gemeinen, schäbigen Gehudel aus Stein, Backstein und Mörtel. Ben und ich, dachte er, … was haben wir damit zu schaffen? Vor diesem Rathaus, dieser Bank, diesem Kramladen? Warum hier? In Gath oder Ispahan, in Korinth oder Byzanz. Nicht hier, nicht hier. Es ist nicht wirklich.

      Das Auto hielt vor Dixieland. Ein trübes Licht brannte in der Diele, Erinnerungen weckend an Feuchtigkeit und Finsternis. Ein wärmeres Licht brannte im Empfangszimmer, die herabgezognen Blenden des hohen Fensters schimmerten in einem warmen Gelbrot.

      »Ben liegt im ersten Stock«, wisperte Lukas, »dort, wo Licht brennt.«

      Eugens Lippen waren kalt und spröd. Er blickte auf zu dem Vorderzimmer, das ein Erkerfenster im gräßlichen Stil der Gründerjahre hatte. Es lag neben der Schlafaltane, wo vor noch nicht fünf Wochen Ben seine wilden Flüche auf das Dasein ins Dunkel gegellt hatte. Das Licht im Erker glomm grau, es beschwor eine Vision von Tod und Terror herauf.

      Die Drei gingen leis durch den Vorgarten und traten ins Haus. Stimmen und Geschirrgeklapper drangen gedämpft aus der Küche.

      »Papa ist hier drin«, sagte Lukas.

      Eugen trat ins Empfangszimmer. Gant saß vor einem hellen Kohlenfeuer. Er sah mit dumpfem, ungewissem Blick auf.

      »Hallo, Papa!« sagte Eugen und ging zu ihm.

      »Hallo, Sohn«, sagte Gant. Er küßte den Sohn mit seinem stachligen, kurzgestutzten Schnurrbart. Seine dünnen Lippen fingen an, wehleidig zu beben. Er schnüffelte.

      »Hast Du gehört, wie es um Deinen Bruder steht? Daß mir das auferlegt wird, alt und krank wie ich bin! O Jesus, es ist furchtbar …«

      Helene kam aus der Küche.

      »Hallo, Langer!« sagte sie, Eugen herzlich umarmend. »Wie geht's Dir, Lieberchen? Du bist in der Zwischenzeit ja schon wieder zehn Zentimeter gewachsen!« Sie lachte hämisch. »Also halt den Kopf hoch, Eugen! Schau nicht so trübselig drein. Wo Leben ist, ist auch Hoffnung. Er ist noch nicht hinüber, damit Du's weißt.« Sie brach in Tränen aus, düster, haltlos, hysterisch.

      »Daß


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