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glaube ich kaum. Joachim Kaiser hat mir heute vormittag erzählt, daß er eine andere Frau kennen- und liebengelernt hat, die von ihm schwanger ist. Iris Kaiser möchte sich in Zukunft nur noch ihrem Beruf widmen, wie er mir gesagt hat.«

      »Warum kam Kaiser eigentlich in unsere Stadt, um die Scheidung einzureichen?« fiel Nicole plötzlich ein. »Ist das nicht ungewöhnlich?«

      »Dasselbe habe ich ihn natürlich auch gefragt. Er erzählte mir daraufhin, daß er ein bekannter Mann in seiner Heimatstadt sei und er Angst hätte, daß die Geschichte gleich herumgeht.«

      Nicole sah auf ihre Hände. »Ob die beiden ihr leibliches Kind auch in ein Waisenhaus gegeben hätten?«

      »Wahrscheinlich nicht, Liebling. Kannst du dir vorstellen, daß mir dieser Kaiser nicht sonderlich sympathisch ist?«

      »Ich habe die Kaisers sogar gehaßt, weil sie meinen Kleinen hatten«, gestand Nicole. »Am liebsten würde ich sofort hinfahren und Tim holen.«

      Thomas nahm ihre schmale Hand in seine eigene. »Du weißt, daß das nicht geht. So leid es mir tut, aber ein wenig wirst du dich noch gedulden müssen. Alles muß erst den gerichtlichen Gang gehen, das verstehst du doch?«

      Sie nickte. Sie verstand sehr gut, daß sie jetzt nicht einfach zu den Kaisers spazieren konnte, um Tim mit nach Hause zu nehmen…

      Gleich am nächsten Morgen setzte sich Thomas mit Heidemarie Becker vom Jugendamt in Verbindung. Diese wußte schon über die Vorfälle Bescheid. »Ihre Frau hat mir damals sehr leid getan, Herr Dr. Benedikt. Aber mir waren die Hände gebunden, wie Sie sicher verstehen werden. Soviel ich weiß, ist Herr Kaiser bereits aus dem gemeinsamen Haus zu seiner neuen Lebensgefährtin gezogen. Frau Kaiser kann es wohl kaum erwarten, das Haus zu verkaufen und nach Berlin zu ziehen. Der Kleine scheint ihr nur noch im Wege zu sein.«

      »Hm, wann könnten wir denn Tim zu uns nehmen?« fragte Thomas. »Wissen Sie, meine Frau ist schon ganz aufgeregt, konnte heute nacht kaum schlafen.«

      »Das kann ich gut verstehen. Ich werde Frau Kaiser nachher anrufen und fragen, wann der Kleine abgeholt werden kann. Sie scheint jedenfalls nicht sehr an ihm zu hängen.«

      »Herr Kaiser machte gestern auch nicht gerade den Eindruck, daß er seinen Adoptivsohn vermissen würde.«

      Beide schwiegen eine Weile, in der sich jeder seine Gedanken über das Ehepaar Kaiser machte. Dann verabschiedete man sich mit dem Verbleib, daß sich Heidemarie Becker melden würde, sowie sie Näheres wußte.

      Kaum hatte Thomas aufgelegt, als Lena Schamlott durch die Sprechanlage sagte: »Herr Doktor, Ihre Frau ist auf Apparat zwei.«

      »Gut, stellen Sie bitte durch!« An vernünftiger Arbeit war an diesem Morgen sowieso nicht zu denken, und Thomas war froh, daß er keinen Gerichtstermin hatte.

      »Hallo, Schatz«, sagte er fröhlich. »Was gibt es?«

      »Ich wollte nur wissen, ob du Frau Becker schon erreicht hast?«

      »Hab’ ich! Sie wußte schon Bescheid. Keine Sorge, jetzt nimmt dir niemand mehr Tim weg.«

      »Ach, wenn ich ihn doch schon hätte«, seufzte Nicole.

      »Du hast die längste Zeit auf deinen Sohn verzichtet«, beschwichtigte Thomas seine Frau. »Hast du schon mit Sina über ihr neues Brüderchen gesprochen?«

      Eigentlich hatte Thomas dies tun wollen; aber Nicole bestand darauf, es der Kleinen selbst zu sagen.

      »Na ja, zuerst hat sie mich nur ungläubig angesehen. Ach, Thomas, ich wußte gar nicht richtig, wie ich ihr erklären sollte, daß ich mein Baby anderen Leuten gegeben habe. Aber ich denke, ich habe ihr alles so gut wie möglich geschildert.«

      »Und?«

      »Und jetzt kann sie es kaum erwarten, Tim kennenzulernen. Sie hat mir tausend Fragen über ihn gestellt, die ich ihr gar nicht beantworten konnte, weil ich nicht wußte, ob er schon laufen kann, wie viele Zähnchen er hat und ob er schon sprechen kann.« Thomas konnte ein unterdrücktes Schluchzen hören.

      »Liebling, ist alles in Ordnung?« fragte er besorgt. »Soll ich lieber nach Hause kommen?«

      »Nein, nein, ist schon gut. Ich war eben nur ein bißchen traurig über die ganze Situation.«

      »Es wird nicht mehr lange dauern, und du kannst wieder glücklich sein. Du wirst sehen, wenn Tim sich erst bei uns eingelebt hat, wird er ganz schnell das saubere Ehepaar Kaiser vergessen haben.«

      »Das hoffe ich auch. Mach’s gut, bis nachher.«

      Dann kam ein wichtiger Klient, auf den sich Thomas kaum konzentrieren konnte. Er entschuldigte sich bei Josef Moormann, einem Bauer aus dem Umland, der seinen Nachbarn verklagen wollte, weil er ständig seine Kühe auf Moormanns Weiden grasen ließ…

      *

      Nicole wanderte unterdessen ruhelos durch das Haus. Sie hatte Frau Wagner bereits eingeweiht und hoffte, daß diese sie nicht verurteilen würde.

      »Ich war auch mal nahe daran, meine Tochter zur Adoption zu geben«, gestand sie, als die beiden Frauen am Küchentisch bei einer Tasse Tee saßen. »Ich war damals noch ein junges Mädchen, hatte keine Arbeit und kein Geld. Im letzten Moment habe ich es mir anders überlegt. Glauben Sie mir, Frau Benedikt, die Entscheidung ist mir nicht leichtgefallen, aber ich habe sie nie bereut. Heute ist Evelin Lehrerin und mein ganzer Stolz. Aber ich kann Ihre Situation durchaus verstehen.«

      Sie lächelte Nicole an, und diese lächelte erleichtert zurück. Sie war froh, daß alle so verständnisvoll zu ihr waren, wo sie es doch ihrer Meinung nach gar nicht verdient hatte.

      Dann klingelte das Telefon. Es war Thomas, der mitteilte, daß Frau Becker Iris Kaiser leider nicht erreicht hatte, es aber später noch einmal versuchen wollte.

      »Wenn sie nun mit Tim einfach die Stadt verlassen hat, was sollen wir dann tun?« Es klang wie ein verzweifelter Aufschrei.

      »Man dir keine Sorgen«, beruhigte Thomas sie. »Leg dich ein wenig hin und vergiß den Zwerg in deinem Bauch nicht.«

      »Wie könnte ich?« Nicole strich behutsam über ihren Bauch. »Du hast recht, mehr als abwarten können wir ohnehin nicht.«

      Den Rest des Tages verbrachte Nicole mit Ruhen und damit, Sinas Fragen über Tim zu beantworten, so gut sie es konnte.

      »Darf Tim denn in meinem Zimmer schlafen?« fragte sie begeistert. »Ich habe doch ein großes Bett. Ach bitte, Mami!«

      Großer Gott, daran hatte sie gar nicht gedacht! Für das neue Baby hatte Thomas bereits das zweite Kinderzimmer im Haus teilweise hergerichtet. Nicole war der Meinung, daß Tim auch sein eigenes Zimmer haben sollte, wie er es bei den Kaisers gewohnt war. Da blieb dann wohl nur das Gästezimmer. Die Schwiegereltern würden sicherlich nichts dagegen haben, bei ihren Aufenthalten in Deutschland in einem Hotel zu wohnen.

      Plötzlich fuhr Nicole ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf. Wie würden sie die Neuigkeiten aufnehmen, daß Thomas’ Frau schon ein Kind geboren und es zur Adoption gegeben hatte? Ihr fiel ein, daß sie früher schon einmal daran gedacht hatte, ob Klara und Friedrich davon wußten.

      Es fiel Nicole schwer, sich auf Sinas Fragen weiter zu konzentrieren. Klara und Friedrich Benedikt, die sie wie eine Tochter aufgenommen hatten, würden sie sehr enttäuscht von ihrer Schwiegertochter sein?

      »Papa kommt!« rief Sina plötzlich und sprang auf, um ihren Vater stürmisch zu begrüßen. Erwartungsvoll ging auch Nicole ihm entgegen. Hatte er Neuigkeiten zu berichten?

      »Tut mir wirklich leid«, sagte Thomas, nachdem er Sina hochgenommen und an sich gedrückt hatte. »Frau Becker konnte Iris Kaiser noch immer nicht erreichen. Aber es wird alles gut, das verspreche ich dir.«

      Erst, als Sina an diesem Abend im Bett lag, konnte Nicole mit ihrem Mann ungestört reden. Sie erzählte ihm von ihren Bedenken, ob Thomas’ Eltern sie auch akzeptieren würden, wenn sie von Tim erfuhren.

      »Aber


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