Californische Skizzen. Gerstäcker Friedrich
Sand der „Missionsstraße“ dem etwa drei engl. Meilen entfernten Dolores entgegen, Hügel auf und ab keuchten sie die beschwerliche ermüdende Bahn, und rasteten gewöhnlich erst auf dem letzten mit Zwergeichen und Lorbeeren bewachsenen Hang, der einen freien Ueberblick über das kleine vor ihnen ausgebreitete Thal gewährte.
Es war ein lebendiges Bild, dem selbst die nackten, den Hintergrund formenden Berge einen eigenthümlichen Zauber nicht nehmen konnten. Links weit hinaus dehnte sich die hie und da von niederem Weidicht begrenzte Missionsbucht der Bai von San Francisco zu, deren schimmernder Wasserspiegel aus dem fahlen Grün der Hänge frisch hervorblitzte; rechts zog sich ein schmales, unbebautes Thal in die Hügel hinauf, an deren westlichen Fuß die Brandung des stillen Meeres schäumte, und in der Mitte lag die kleine Gruppe Häuser, die ihren Namen dem alten wettergrauen Gebäude verdankte, das die westlichste Flanke der Ansiedlung bildete.
Die Mission Dolores, in alten Zeiten durch die Jesuiten gegründet, zog zuerst die benachbarten Indianerstämme zu sich, die den Mönchen nicht allein ihr Gebäude aufrichten, sondern auch später ihr Feld bestellen und ihre Rinder hüten mußten — dafür wurden sie civilisirt. Nach und nach siedelten sich dann später Californier aus den südlicher gelegenen Städten oder aus Yerba buena[2], dem jetzigen San Francisco, dort an, und Straßen entstanden, über deren niedere Häuser hinweg das graue Dach des Missionsgebäudes noch immer hoch und düster hinüberschaute.
Da kam das Gold und mit ihm, wie mit einem Zauberschlage, verwandelte sich das ganze Land; das Missionsgebäude wurde, wenigstens theilweise, zu Schenken benutzt, die Indianer zogen, von einzelnen Californiern geführt, und Christenthum wie Mission hinter sich lassend, in die Berge, und eine regsamere Bevölkerung, aus Deutschen, Amerikanern und Franzosen gemischt, fing an, die alten, halb verfallenen und theilweise verlassenen Gebäude zu bewohnen. Der Priester blieb allerdings noch in seiner Pfarre, aber die Mission selber bestand nur dem Namen nach, und wenn die kleinen Glocken Morgens angeschlagen wurden, die fromme Schaar zum Gebet zu rufen, so waren es nur wenige, sehr wenige, die dem Rufe folgten. Selbst die Indianer kümmerten sich nicht mehr um den feierlichen Laut, der sie sonst in die Nähe des neuen Gottes gerufen — der eine Theil grub nach Gold in den fernen Bergen, und der kleine Theil der aus einem oder dem andern Grund Zurückgebliebenen, trieb sich um die Schenkstände der Europäer herum, dem Feuergeist des Alkohols zu dienen, und seine Adern dem betäubenden Gift zu öffnen.
Die vielen Schenkstände der Mission verlangten aber auch dann und wann eine Extra-Anregung, ihren Besitzern in der Geschwindigkeit so viel Gold einzubringen, als diese in den Minen glaubten erwaschen zu können — denn war das nicht der Fall, so sahen ihre Besitzer gar nicht ein, weshalb sie nicht lieber in die Berge gingen, gutes Gold zu graben, als hier im flachen Lande schlechten Branntwein auszuschenken. Zu diesem Zwecke genügten aber keineswegs die Indianer, die gar kein baar Geld hatten, und nur höchst unvollkommen die Bewohner der Mission selber, wie einzelne Besuche von San Francisco. Es bedurfte eines stärkeren Reizmittels als ihr Cognac, oder selbst die umliegende freundliche Gegend war, ihnen Kunden in Massen zuzuführen, und zu diesem Zweck wurden Pferderennen und Fandangos, Wettspiele und Kämpfe, und Gott weiß was sonst noch für Festlichkeiten arrangirt, den Schau- und Trinklustigen eine Veranlassung zu bieten, ihr Gold durch den Sandstaub herauszuschaffen und gegen ein wildes, oft widerliches Schauspiel wie eine wüst durchschwelgte Nacht einzutauschen.
Ein Stierkampf war diesmal die Veranlassung, und die Arena eine im Mittelpunkt des Ortes errichtete starke Umzäunung, um die her eine Art von erhöhten Sitzen angebracht war, den Entrée Zahlenden doch einigermaßen Entschädigung für das gewöhnlich nur höchst mittelmäßige Schauspiel zu bieten. Die Wirthe der Mission schienen übrigens bewiesen zu haben, wie richtig sie ihre Nachbarschaft kannten, die wirklich immer nur auf eine Gelegenheit wartete, ihr Geld, sei es für was es wolle, zum Fenster hinauszuwerfen. Schaaren von Menschen füllten die breiten Straßen des kleinen Orts, drängten um die Barriere und zankten um ihre Plätze, oder tummelten ihre Pferde vor dem Missionsgebäude, auf dessen Veranda die ganze schöne Welt versammelt schien und manches dunkeläugige holde Mädchengesicht auf die kühnen Reiter hinüberblitzte.
Das wilde Publikum, Amerikaner und Mexikaner, Wilde und Weiße, bunt durch einander, hatte indeß an Plätzen eingenommen, was eben zu erreichen war, und theils eine nahe kleine Erhöhung des Bodens, theils die aufgerichteten Gestelle benutzend, den Platz umlagert, auf dem ihr Pfeifen und Trommeln, Stampfen und Schreien noch immer nicht die ersehnten Stiere und Kämpfer hervorrufen konnte.
Mehre buntgekleidete, frech und ungeschickt genug aussehende Burschen, Mexikaner ihrem Aeußeren nach, und Einer, ein Halbindianer, dem tiefe Blatternarben das ganze Gesicht entstellten, trieben sich indeß in der Arena umher, und tanzten und sangen und suchten durch Späße die Geduld des Publikums etwas länger hinzuhalten. Wenn ihnen das aber auch vielleicht bei dem spanischen Theil desselben gelungen wäre, der oft in ein lautes und rohes Gelächter bei den roheren Witzen ausbrach, half das Nichts bei dem englischen oder amerikanischen, der das Spanische gar nicht verstand. Ja diese wurden eher noch ärgerlicher, daß sich Andere amüsiren sollten, während sie ihr gutes Geld ebenfalls gezahlt hatten und nun nicht einmal herausbekommen konnten, weshalb das „Gesindel“ lachte.
Der Lärm wurde immer toller, und einige Amerikaner, halbtrunkene Seeleute, denen der Spaß zu lange währte, sprangen schon in die Arena hinunter, thätigen Antheil an dem Singen und Springen der unten Befindlichen zu nehmen, das sie wenigstens ihrer eigenen Versicherung nach „all to smash“ überbieten konnten, als plötzlich das enge, in den Kreis führende Thor aufgerissen wurde, und ein brauner, zwar kleiner aber doch muthiger Stier so urplötzlich zwischen die natürlich nicht wenig überraschten Seeleute hineinschoß, daß diese im ersten Augenblick rath- und thatlos dastanden und dem Thier, hätte es wirklich Böses im Schild geführt, oder irgend einen Angriff beabsichtigt, leichte und nicht zu rettende Beute gewesen wären.
Der Jubel der Zuschauer bei diesem kleinen Intermezzo läßt sich gar nicht beschreiben. Von allen Seiten zugleich brach er los, war aber auch die einzige Rettung der bestürzten und unfreiwilligen Stierfechter, denn der eingelassene muthige Stier stand bei dem furchtbaren Lärm, der von allen Seiten auf ihn einbrach, im ersten Moment wie verdutzt da und warf nur unwillig die Hörner bald da, bald dort hin, und riß den Boden auf mit den scharfen Hufen.
Der erste Schreck war vorüber und die Matrosen flüchteten mit völlig abgekühltem Kampfesmuth und unter dem Lachen, Pfeifen und Zischen der Zuschauer so rasch sie konnten über die Fenz zurück. Daß sie das nach verschiedenen Seiten zu thaten, deckte zugleich ihren Rückzug, denn der Stier wurde sie gewahr und suchte sie noch zu erreichen, konnte aber nicht gleich eine Wahl zwischen den ihm von allen Enden verlockend genug zugedrehten Rücktheilen treffen, und bekam dadurch keins.
Jetzt aber sprangen auch die wirklichen Stierkämpfer aus einem eigens für sie gebauten Verschlag in den eingezäunten Raum und begannen das überdies schon gereizte Thier durch all die schon tausendmal beschriebenen Arten und Weisen, mit Schwärmern und kleinen Speeren und Fahnen zu necken und zu peinigen. Aber sie hielten dem zuletzt wüthend Gemachten nie Stand, bis das Publikum endlich in einem wahren Chaos der schauerlichsten Töne sein Mißfallen zu erkennen gab.
Der Stier wurde indessen durch Blutverlust und Hin- und Herhetzen so erschöpft, daß er den stets nutzlosen Anreizungen nicht mehr nachgeben wollte. Er wußte, die feige Schaar seiner Angreifer hielt ihm doch nicht Stand, und brüllend und den Boden scharrend blieb er in der Mitte der Arena stehen, und nahm geduldig einen ganzen Hagel kleiner Pfeile, Geschosse und Schwärmer hin, der von allen Seiten auf ihn einregnete.
Der Lärm und das Toben der unbefriedigten Zuschauer wuchs jetzt dermaßen, daß Einer der Leute dem Stier einen Lasso um die Hörner warf und ihn dem wieder geöffneten Eingang zuzog, durch den er mit ihm unter dem Pfeifen und Zischen der Versammelten verschwand.
Unter den Letzteren zeichnete sich besonders ein Indianer aus — ein schlanker, schöngewachsener Bursche, in der malerischen mexikanischen oder californischen Tracht, mit kurzer Jacke und an den Seiten offenen Hosen, einen breiträndigen, mit Wachstuch überzogenen Hut auf dem Kopf, der, eine volle Flasche in der linken Hand, eben auf eine der Bänke gesprungen war und die feigen „Matadoren“ auf jede mögliche Art und Weise