Nathan der Weise. Gotthold Ephraim Lessing
von Jerusalem, wie ich den Weg,
Seitab bald rechts, bald links, zu nehmen bin
Genötigt worden, gut zweihundert Meilen;
Und Schulden einkassieren, ist gewiß
Auch kein Geschäft, das merklich födert, das
So von der Hand sich schlagen läßt.
Daja. O Nathan,
Wie elend, elend hättet Ihr indes
Hier werden können! Euer Haus …
Nathan. Das brannte.
So hab ich schon vernommen. – Gebe Gott,
Daß ich nur alles schon vernommen habe!
Daja.
Und wäre leicht von Grund aus abgebrannt.
Nathan.
Dann, Daja, hätten wir ein neues uns
Gebaut; und ein bequemeres.
Daja. Schon wahr! –
Doch Recha wär' bei einem Haare mit
Verbrannt.
Nathan. Verbrannt? Wer? meine Recha? sie? –
Das hab ich nicht gehört. – Nun dann! So hätte
Ich keines Hauses mehr bedurft. – Verbrannt
Bei einem Haare! – Ha! sie ist es wohl!
Ist wirklich wohl verbrannt! – Sag nur heraus!
Heraus nur! – Töte mich: und martre mich
Nicht länger. – ja, sie ist verbrannt.
Daja. Wenn sie
Es wäre, würdet Ihr von mir es hören?
Nathan.
Warum erschreckest du mich denn? – O Recha!
O meine Recha!
Daja. Eure? Eure Recha?
Nathan.
Wenn ich mich wieder je entwöhnen müßte,
Dies Kind mein Kind zu nennen!
Daja. Nennt Ihr alles,
Was Ihr besitzt, mit ebensoviel Rechte
Das Eure?
Nathan. Nichts mit größerm! Alles, was
Ich sonst besitze, hat Natur und Glück
Mir zugeteilt. Dies Eigentum allein
Dank ich der Tugend.
Daja. O wie teuer laßt
Ihr Eure Güte, Nathan, mich bezahlen!
Wenn Güt', in solcher Absicht ausgeübt,
Noch Güte heißen kann!
Nathan. In solcher Absicht?
In welcher?
Daja. Mein Gewissen …
Nathan. Daja, laß
Vor allen Dingen dir erzählen …
Daja. Mein
Gewissen, sag ich …
Nathan. Was in Babylon
Für einen schönen Stoff ich dir gekauft.
So reich, und mit Geschmack so reich! Ich bringe
Für Recha selbst kaum einen schönern mit.
Daja.
Was hilft's? Denn mein Gewissen, muß ich Euch
Nur sagen, läßt sich länger nicht betäuben.
Nathan.
Und wie die Spangen, wie die Ohrgehenke,
Wie Ring und Kette dir gefallen werden,
Die in Damaskus ich dir ausgesucht:
Verlanget mich zu sehn.
Daja. So seid Ihr nun!
Wenn Ihr nur schenken könnt! nur schenken könnt!
Nathan.
Nimm du so gern, als ich dir geb: – und schweig!
Daja.
Und schweig! Wer zweifelt, Nathan, daß Ihr nicht
Die Ehrlichkeit, die Großmut selber seid?
Und doch …
Nathan. Doch bin ich nur ein Jude. – Gelt,
Das willst du sagen?
Daja. Was ich sagen will,
Das wißt Ihr besser.
Nathan. Nun so schweig!
Daja. Ich schweige.
Was Sträfliches vor Gott hierbei geschieht,
Und ich nicht hindern kann, nicht ändern kann, –
Nicht kann, – komm' über Euch!
Nathan. Komm' über mich! –
Wo aber ist sie denn? wo bleibt sie? – Daja,
Wenn du mich hintergehst! – Weiß sie es denn,
Daß ich gekommen bin?
Daja. Das frag ich Euch!
Noch zittert ihr der Schreck durch jede Nerve.
Noch malet Feuer ihre Phantasie
Zu allem, was sie malt. Im Schlafe wacht,
Im Wachen schläft ihr Geist: bald weniger
Als Tier, bald mehr als Engel.
Nathan. Armes Kind!
Was sind wir Menschen!
Daja. Diesen Morgen lag
Sie lange mit verschloßnem Aug', und war
Wie tot. Schnell fuhr sie auf, und rief: »Horch! horch!
Da kommen die Kamele meines Vaters!
Horch! seine sanfte Stimme selbst!« – Indem
Brach sich ihr Auge wieder: und ihr Haupt,
Dem seines Armes Stütze sich entzog,
Stürzt auf das Kissen. – Ich, zur Pfort' hinaus!
Und sieh: da kommt Ihr wahrlich! kommt Ihr wahrlich! –
Was Wunder! ihre ganze Seele war
Die Zeit her nur bei Euch – und ihm. –
Nathan. Bei ihm?
Bei welchem Ihm?
Daja. Bei ihm, der aus dem Feuer
Sie rettete.
Nathan. Wer war das? wer? – Wo ist er?
Wer rettete mir meine Recha? wer?
Daja.
Ein junger Tempelherr,