Das Heideprinzeßchen. Eugenie Marlitt

Das Heideprinzeßchen - Eugenie  Marlitt


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Kräftige Rauchwolken, an brodelnde Töpfe auf dem wohlbesetzten Herd erinnernd, wirbelten durch die Aeste und zerflossen in der weichen Sommerluft, hoch über der schwarzweißen Frau Störchin, die, die nackten Beine im Reisernest, nachdenklich den roten Schnabel über die helle Brust hängen ließ. Es war noch hell genug, daß man das tiefe Grün der sorgfältig gepflegten Rieselwiesen und ein schwaches Glimmen hinter der Garteneinhegung erkennen konnte – es sah aus, als sei dort ein Widerschein des farbensprühenden Abendhimmels liegen geblieben – das waren Ilses Lieblinge, die dickköpfigen, orangegelben Ringelblumen … Und da trabte eben auch Mieke, jedenfalls sehr satt und sehr gelangweilt, auf eigene Faust heimwärts. Sie blieb einen Augenblick dumm und faul vor dem gastlich offenen, hochgewölbten Hausthor stehen und besann sich, ob sie hineingehen solle – dies prächtige Tier vervollständigte das Bild ländlicher Wohlhabenheit.

      »Sieht das aus, als ob schwachsinnige Troglodyten dort hausten?« fragte lächelnd der Professor. »Und kommen Sie in einem Monat wieder, wenn die Heide blüht, wenn sie purpurn flimmert und schimmert! Dann ist sie märchenhaft! Noch später aber trieft sie von flüssigem Gold, von dem Golde des Honigs – und was wollen Sie? Das ›ausgestoßene Kind Gottes‹ schmückt sich wie ein Königstöchterlein – viele der kleinen dunkeln Heidebäche, wie Sie dort drüben einen sehen, haben Perlen.«

      »Ja, Milliarden Wasserperlen, die ins Meer fließen!« lachte der junge Herr.

      Der Professor schüttelte ungeduldig den Kopf. Ich hatte ihn auf einmal herzlich lieb den Mann, trotz seines vertrockneten Gesichts, seiner vielen Fremdwörter und der häßlichen, rasselnden Blechbüchse auf dem Rücken. Er verteidigte ja meine Heide, er hatte mit wenigen Worten den ganzen Zauber und Segen, den sie atmete, zur Geltung gebracht. Der junge Spötter mit dem verächtlich lächelnden Munde aber, der mir mit jedem seiner Worte auf das Herz trat, er mußte beschämt werden. Ich weiß noch heute nicht, woher ich den Mut nahm, aber ich stand plötzlich an seiner Seite und hielt ihm schweigend die Hand hin, in der fünf Perlen lagen.

      Mir war, als sei ich auf glühende Kohlen getreten; ich fühlte, wie mir die Lippen zitterten vor Scheu und Angst, und meine Augen hingen fest am Boden. Es wurde dunkel um mich her, man umringte mich; der Herr, der inzwischen vom Hügel niedergestiegen war, die Arbeiter, alle kamen heran, und neben mir sah ich Heinzens riesenhafte Schuhe.

      »Na, nun sehen Sie ‘mal, Herr Claudius, das Kind da will Sie überführen! … Brav, mein Töchterlein!« rief überrascht und vergnügt lachend der Professor.

      Der junge Herr sagte kein Wort. Vielleicht war er erstaunt über die Dreistigkeit, mit der sich das Kind der Heide im groben Leinenhemd und kurzen Wollröckchen neben ihn stellte. Langsam, ich meinte, mit Widerwillen griff er herüber – und jetzt erschrak ich erst recht bis ins Herz und schämte mich. Unter diesen elfenbeinweißen schlanken Fingern mit den mattglänzenden Nägeln erschien meine sonnenverbrannte Hand völlig kaffernbraun; sie zuckte unwillkürlich zurück, und um ein Haar hätte ich die Perlen verschüttet.

      »Wahrhaftig, sie sind noch nicht durchbohrt!« rief er und ließ zwei der winzigen Kügelchen über seine Handfläche rollen.

      »Form und Farbe lassen freilich viel zu wünschen übrig – sie sind sehr grau und unregelmäßig,« entschuldigte der Professor. »Es sind eben kleine Barockperlen ohne sonderlichen Wert; aber sie bleiben immerhin eine interessante Erscheinung.«

      »Ich möchte sie gern behalten,« sagte der junge Mann; das klang wie eine höfliche Bitte.

      »Nehmen Sie,« antwortete ich kurz, ohne aufzusehen; ich meinte, man müsse in jedem Wort mein Hasenherz klopfen hören.

      Er las behutsam die übrigen Perlen von meiner Hand auf, und jetzt sah ich, wie der Herr im braunen Hut, der vor mir stand, ein glänzendes Gewebe, in welchem es leise klirrte, aus der Tasche zog.

      »Hier, mein Kind,« sagte er und legte mir fünf große, runde, hellglänzende Stücke in die Hand

      Zu ihm schlug ich die Augen auf. Ich sah eine breite Hutkrempe, die das halbe Gesicht verdeckte, dann kam eine große blaue Brille, von der ein leichenhafter Schein auf die Wangen fiel.

      »Was ist das?« fragte ich, bei aller Befangenheit doch ergötzt durch das Geflimmer und die Form der fremdartigen Dinge.

      »Was das ist?« wiederholte der Herr erstaunt. »Wissen Sie denn nicht, was Geld ist, kleines Mädchen? Haben Sie noch keinen Thaler gesehen?«

      »Nein, Herr, das weiß sie nicht,« antwortete Heinz mit väterlicher Autorität für mich. »Die alte Frau leidet kein Geld im Hause; was sie findet, wirft sie ohne Gnade in den Fluß.«

      »Wie! … Und wer ist denn diese seltsame alte Frau?« fragten die drei Herren fast zugleich.

      »Nu, dem Prinzeßchen seine Großmutter.«

      Der junge Mann lachte laut auf. »Diesem Prinzeßchen?« fragte er und zeigte auf mich.

      Ich ließ die Silberstücke auf den Boden hinrollen und entfloh … Böser, böser Heinz! … Aber warum hatte ich ihm auch die Geschichte von der überaus zarten und feinen Prinzessin auf dem Erbsen-Prüfstein erzählt! und warum hatte ich’s gelitten, daß er mich seitdem »Prinzeßchen« titulierte, weil er sich einbildete, es gäbe nichts Kleineres und Feineres, als das leichtfüßige Menschenkind, das an seiner Seite die Heide durchstreifte!

      Ich lief wie gehetzt heimwärts. Das Spottgelächter des jungen Mannes jagte mich, und ich hatte das dunkle Gefühl, als würde es mir nicht mehr in den Ohren klingen, wenn ich meinen Kopf unter das Dach des Dierkhofes stecken könnte.

      Unter dem Hausthor stand Ilse und schaute offenbar nach mir aus; denn Mieke war ja allein heimgekommen. Meine Blicke klammerten sich schon von ferne förmlich an die Gestalt, die in harten, eckigen Umrissen aus dem Dämmerdunkel der hinter ihr sich lang hinstreckenden Tenne hervortrat … Wie hatte ich den blonden Kopf dort so lieb! Er war genau so strohgelb wie Heinzens ausgedörrte Schläfenhaare, und die Scheitellinie entlang strebte stets eine eigensinnig krause Wolke aufwärts. Ilse hatte auch dieselbe scharfkantige Nase wie ihr Bruder, und das gesunde, frische Blut, das ihr die Backenknochen schön rot lackierte; aber die Augen, die scharfen Augen, die Bruder Heinz so ängstlich respektierte, sie waren anders, und als ich näher heran kam, gefielen sie mir nicht.

      »Bist du toll geworden, Leonore?« rief sie mir in ihrer gewohnten knappen Kürze zu – sie war böse, so böse, wie sie bei ihrem außerordentlich festen inneren Gleichgewicht überhaupt werden konnte –, denn sie nannte mich beim Namen, und das geschah nur, wenn sie zürnte. Dann schwieg sie und zeigte nur streng auf den Fleck, wo ich stand. Mein Blick glitt hinab, und da sah ich allerdings Etwas, das auch mir äußerst fatal war, nämlich meine nackten Füße.

      »Ach, Ilse, Schuhe und Strümpfe liegen noch am Fluß!« sagte ich niedergeschlagen.

      »Unverstand! … Gleich holen!«

      Sie schwenkte um und schritt nach dem Herd zurück, der, zwar nach moderner Art als Sparherd eingerichtet, doch seine altgewohnte Stelle im echt niedersächsischen Hause, nämlich am hintersten Ende der Dresch-und Viehdiele, siegreich behauptete. Ilse hatte Speck auf dem Feuer, er prasselte und duftete kräftig herüber, und in dem brodelnden Kartoffeltopf stiegen die großen Wasserblasen auf.

      Das Abendbrot war nahezu fertig, ich mußte eilen, wenn ich rechtzeitig zurück sein wollte. Allein aus dem Hausthor trat ich nicht um die Welt wieder. Verließ ich das Haus durch eine der rückwärts gelegenen Thüren, dann war ich gedeckt durch den Dierkhof selbst und konnte den Fluß erreichen, ohne daß die drüben am Hügel mich bemerkten.

       Inhaltsverzeichnis

      »Da hinaus kannst du nicht, da steht die Großmutter!« sagte sie mit unterdrückter Stimme.

      Die Thür stand offen, und ich sah, wie meine Großmutter den Arm des Pumpbrunnens in rasender Geschwindigkeit auf-und niederschleuderte – ein Schauspiel, das mich


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