Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten. Friedrich Glauser

Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten - Friedrich  Glauser


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verschwand. Es war ihm zu gönnen… Neun Jahre! Neun Jahre eingesperrt wegen Kindsmordes! Und was lag alles dazwischen? Särge machen in der Zelle, Knopflöcher nähen, bis man verrückt wurde, weil man es nicht mehr aushielt… Glasscheiben zertrümmern, Sondenernährung, Schlafkur. Und das Aufwachen, das Zurückfinden aus einem andern Reich, die Flucht aus dem Land, in dem Matto regierte… Aber regierte Matto nicht auf der ganzen Welt?…

      Es war da immerhin der Traum mit den eleganten Bomben, die in Reih und Glied standen, es war da die Stimme im Radio: »Zweihunderttausend Männer und Frauen…« und nicht anders hatte die Stimme geklungen, wie jene des Kranken in der Ecke, der seine imaginären Herden und sein imaginäres Vermögen zählte…

      Glück sollte man dem Pieterlen wünschen, dem Pierre Pieterlen, der wieder einmal seine Haut zu Markte trug… Vielleicht gelang es der Irma Wasem, dem Demonstrationsobjekt begreiflich zu machen, daß auch ein Handlanger mit weltanschaulichen Ambitionen das Recht hat, Kinder auf die Welt zu stellen und mit ihnen glücklich zu sein. Glücklich!… Das war auch so ein Wort. Vielleicht zufrieden…

      Nach Frankreich… Gut! Studer hatte Frankreich gerne… Es war viel Unordnung dort, und eine Politik trieben sie dort manchmal, daß Gott erbarm!… Aber immerhin, man sagte, es sei das Lieblingsland unseres Herrgotts. Nehmen wir es an und wünschen wir dem Pierre Pieterlen Glück. Wenn einmal die Irma Wasem ihre Stelle kündigte, dann wußte man, was los war, dann konnte man eine kleine Glückwunschkarte schicken…

      Und übrigens, es würde nicht schwerfallen, den Dr. Laduner zu überzeugen, daß dies die beste Lösung sei. Der Dr. Laduner hatte einem allerhand zu verdanken – er, der mit dem Brot und mit dem Salz so freigebig umging…

      Was war Pieterlen gewesen? Ein Aktenbündel. Und Dr. Laduners Worte hatten das Aktenbündel zum Leben erweckt.

      Und warum Pieterlen in jener Sichletennacht entflohen war? – Auch das würde sich klären… Es war ja immer so bei diesen Fällen, man tappte im Dunkel, man strengte sich an, man fand schließlich das Fadenende… Aber damit war die Sache erledigt. Der Fall rollte sich von selber auf…

      Pieterlen verhaften? Wozu? Studer hatte, wie man im Bernbiet sagte, einen Steckgring. Er war gebeten worden, den Dr. Laduner behördlich zu decken… Hatte er das nicht getan? Das Signalement des Pieterlen war verbreitet worden… Waren die Kollegen in Basel so dumm, das Demonstrationsobjekt durchschlüpfen zu lassen – mira… Man konnte nicht überall zu gleicher Zeit sein…

      Pieterlen Pierre, schizoider Psychopath, du hast lange genug die Freiheit entbehrt, versuch', dich durchzuschlagen… Wenn's dir gelingt, desto besser… Wir sind allesamt arme Sünder. Wie hat einer einmal gesagt? Derjenige, der ohne Schuld sei, werfe den ersten Stein!…

      Studer schritt nachdenklich auf der Straße zurück. Als er in die Nähe von Gilgens Haus kam, trat er schnell hinter den Busch, der ihm schon einmal als Deckung gedient hatte… Die Türe stand weit offen und ein Lichtkegel fiel auf den Gartenweg. Im Parterre waren die Läden eines Fensters geöffnet.

      Aber es war nicht die ungewohnte Beleuchtung, die Studer hinter den Busch getrieben hatte. Über den Gartenweg ging ein Mann auf das Haus zu. Der Wachtmeister erkannte den Portier Dreyer…

      Studer schlich sich ans Haus heran. Er blickte durchs erleuchtete Fenster. Drei Personen standen im Zimmer. In einer Ecke der junge blonde Mann, der auf dem Ruhebett geweint hatte. Er hielt eine Browningpistole in der Hand. Ihm gegenüber, in starrer Haltung, saß der Abteiliger Jutzeler. Dann wurde die Türe leise geöffnet. Der Portier Dreyer betrat das Zimmer, sah sich um, schwang einen Stuhl an der Lehne zu sich heran und setzte sich neben Herbert Caplaun.

      Studer betrat das Haus…

      Ein chinesisches Sprichwort

       Inhaltsverzeichnis

      Am Montagmorgen, gegen neun Uhr, trat Studer aus dem Gastzimmer. Er trug seine ramponierte Handtasche aus Schweinsleder. Im Gange traf er Frau Laduner.

      – Ob der Wachtmeister verreisen wolle? fragte die Frau. Studer zog die Uhr aus dem Gilettäschli, nickte, meinte dann, soviel er wisse, fahre um elf Uhr ein Zug nach Bern. Den wolle er nehmen. Ob er vorher noch den Herrn Doktor sprechen könne?

      – Ihr Mann sei nicht wohl, sagte Frau Laduner. Er liege noch im Bett. Aber wenn es etwas Wichtiges sei, wolle sie ihn rufen gehen. Ihre Augen blickten ängstlich. Ob der Herr Wachtmeister nicht zuerst frühstücken wolle?

      Studer besann sich eine Weile. Dann nickte er schwerfällig. Wenn er um eine Tasse Kaffee bitten dürfe… Und dann möge die Frau Doktor so gut sein und dem Herrn Doktor sagen, er warte im Arbeitszimmer. Er werde etwa eine Stunde zu erzählen haben, und sie möge dem Herrn Doktor sagen, er, Studer, wolle gern die Wahrheit erzählen, falls der Herr Doktor die Wahrheit zu wissen wünsche… Frau Doktor möge so gut sein, diese Worte genau zu wiederholen…

      – Ja, ja… Das wolle sie tun. Aber inzwischen möge der Herr Wachtmeister z'Morgen essen… Der Kaffee stehe noch auf dem Tisch.

      Studer hielt noch immer seine Handtasche in der Hand, als er ins Eßzimmer trat. Eine bleiche Sonne, die kaum den Nebel zu zerteilen vermochte, schien ins Zimmer. Studer trank, aß. Dann packte er seine Handtasche, die er neben sich gestellt hatte, stand auf, trat ins Arbeitszimmer, setzte sich in einen Lehnstuhl und wartete. Die Handtasche hielt er auf den Knieen…

      Dr. Laduner trug über einem Pyjama einen grauen Schlafrock. Seine nackten Füße steckten in Lederpantoffeln.

      »Sie wollen mit mir sprechen, Studer?« fragte er. Um seinen Kopf lag ein weißer Verband, der seine Gesichtshaut noch brauner erscheinen ließ. Er setzte sich; seine Züge waren schlaff. Er bedeckte die Augen mit der Hand und schwieg.

      Studer öffnete die Handtasche und legte nacheinander verschiedene Gegenstände auf den runden Tisch, der einmal, an einem Abend, der fern schien, eine Lampe mit leuchtendem Blumenschirm getragen hatte, und neben der Lampe hatten die Akten gelegen des Demonstrationsobjektes Pieterlen.

      Dr. Laduner nahm die Hand von den Augen und blickte auf die Tischplatte. Auf ihr lagen, fein säuberlich, folgende Gegenstände:

      Eine alte Brieftasche, ein Sandsack, der aussah wie ein riesiger, grauer Schüblig, ein Stück groben, grauen Stoffes, zwei Enveloppen, ein beschriebenes Blatt und ein Bündel Hunderternoten.

      »Nett«, sagte Dr. Laduner. »Wollen Sie die Gegenstände einem Polizeimuseum schenken, Studer?«

      Bevor Studer antworten konnte, schrillte die Klingel des Tischtelephons. Dr. Laduner stand auf. Eine aufgeregte Stimme sprach am andern Ende. Laduner bedeckte die Muschel mit der Hand und fragte Studer:

      »Wissen Sie, wo der Portier Dreyer ist?«

      »Wenn der Landjäger von Randlingen meinen Befehl ausgeführt hat, so ist der Dreyer wahrscheinlich jetzt schon im Amtshaus in Bern…«

      Laduner hielt noch immer die Hand über der Muschel, sein Maskenlächeln erschien wieder.

      »Unter welcher Anklage?« fragte er.

      Studer sagte trocken:

      »Diebstahl und Mord…«

      »Mord? Mord am Direktor?«

      »Nein, an Herbert Caplaun…« Studers Stimme war so ruhig, daß Laduner den Wachtmeister einen Augenblick erstaunt anstarrte. Dann nahm er die Hand von der Muschel und sagte: »Ich komme später selbst. Augenblicklich habe ich eine wichtige Besprechung… Nein«, schrie er plötzlich, und seine Stimme überschlug sich. »Ich habe jetzt keine Zeit!« und schmiß das Hörrohr auf die Gabel.

      Er setzte sich wieder, lehnte sich zuerst zurück, schloß einen Augenblick die Augen, beugte sich dann vor und nahm, einen nach dem andern, die Gegenstände in die Hand, die auf dem Tisch lagen, Studer gab mit leiser Stimme Erklärungen:

      »Das«, sagte er, als Laduner den Sandsack aufhob, »habe ich auf der Plattform gefunden,


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