Der Bergpfarrer Paket 3 – Heimatroman. Toni Waidacher
den Kopfschmerzen kamen noch ein brennender Durst und ein unangenehmer, pelziger Geschmack auf der Zunge.
Das war allerdings auch kein Wunder, denn das Trinken war der Lehrer nicht gewohnt, und daß er gestern abend so abgestürzt war, lag einzig und allein daran, daß er die schlimmste Enttäuschung seines Lebens erfahren hatte.
Ächzend richtete er sich auf.
»Ach, Lucie…«, kam es über seine Lippen, und es fehlte nicht viel, und Harald Stern hätte angefangen zu weinen.
So schön hatte er sich das alles vorgestellt!
Lucie an ihrem Urlaubsort überraschen und sie damit vor vollendete Tatsachen stellen.
Hätte sie da noch nein sagen können, wenn sie sah, welche Mühen er auf sich nahm, um sie für sich zu gewinnen?
Doch dann war alles anders gekommen. Ausgerechnet Axel Kremer war der Mann, der ihr Herz erobert hatte. Dabei war er ihm bisher recht sympathisch gewesen. Es war zwar nie zu einer Verabredung auf ein Feierabendbier gekommen, aber in der Schule hatten sie bisher bestens zusammengearbeitet.
Harald schäumte jetzt wieder vor Wut, als er daran dachte, daß er dem Kollegen seine Schwärmerei für Lucie sogar einmal anvertraut hatte. Jetzt brauchte er sich auch nicht mehr zu wundern, daß Axel Kremer seinerzeit nicht weiter darauf eingegangen war. Wahrscheinlich hatte er sich heimlich darüber amüsiert.
Im Kühlschrank des Wohnmobils standen ein paar Flaschen Mineralwasser. Harald nahm sich eine und leerte sie in einem Zug, fast zur Hälfte. Er setzte die Flasche wieder ab und konnte langsam wieder klar denken. So etwas, wie gestern abend, sollte ihm nicht noch einmal passieren, da würde er aufpassen. Er suchte in der Reiseapotheke nach einer Kopfschmerztablette und spülte sie mit etwas Selters hinunter. Dann setzte er sich wieder und wartete darauf, daß die Schmerzen nachließen. Dabei versuchte er sich darüber klar zu werden, was er jetzt tun sollte. Lucie durfte er jetzt auf gar keinen Fall mehr begegnen. Sie würde sofort wissen, was seine Anwesenheit in St. Johann zu bedeuten hatte.
Aber einfach wieder nach Hause fahren? Nach den Ferien womöglich so tun, als wüßte er von nichts?
Natürlich, das konnte er versuchen, doch Harald wußte auch, daß es ihm nicht gelingen würde, den Gleichgültigen zu spielen. Er würde es niemals aushalten können, Lucie und Axel jeden Tag zu sehen und Zeuge ihrer Liebe zu sein.
Doch was sollte er tun?
Solange Axel Kremer zwischen ihm und Lucie stand, würde es ihm nicht gelingen, sie für sich zu gewinnen. Da sah er nur einen Weg – wenn der Nebenbuhler verschwand.
Und zwar für immer!
Harald Stern zuckte zusammen. Jetzt war es das erste Mal, daß er sich des Mordgedankens wirklich bewußt war. Gestern – da hatte er Axel tausendfach umgebracht. Doch das geschah in der ersten Wut, wie sie wohl jeder hatte, der so eine Enttäuschung erlitt. Aber jetzt dachte er über diese Möglichkeit nach. Wenn er den Nebenbuhler aus dem Weg räumte, dann hätte er bei Lucie freie Bahn.
Schon hatte er den Gedanken weitergesponnen. Niemand wußte, daß er sich hier aufhielt. Nach der Tat würde er nach Boisheim zurückfahren, unterwegs vielleicht ein paar Tage Urlaub machen, damit es nicht auffiel, daß er so früh heimkehrte, und nach den Ferien Lucie über den schweren Verlust hinwegtrösten…
So klar, wie er den Plan durchdachte, so schrecklich klar wurde ihm auch bewußt, daß er auf dem besten Wege war, zum Verbrecher zu werden, und der Lehrer spürte bei diesen Gedanken sein Herz heftig schlagen. Angst und Schrecken mischten sich in ihm, und die Konsequenz, was geschehen würde, wenn alles herauskam, ließ ihn zittern.
Dennoch zu diesen gemischten Gefühlen kam ein anderes, das weitaus stärker war, als die Angst vor Strafe und Gefängnis; es war die Liebe zu Lucie Berg, für die er bereit war, zum Mörder zu werden…
*
Michael Winter beeilte sich mit dem Frühstück. Er konnte gar nicht schnell genug ins Dorf kommen und Jenny wiedersehen. Seit er sie gestern abend geküßt hatte, jubilierte es ständig in ihm. Der Bursche war verliebt, wie noch nie in seinem Leben.
Und das war ein wunderschönes Gefühl!
Der junge Informatiker fuhr die steile Bergstraße hinunter und verlangsamte das Tempo. Trotz aller Sehnsucht lag ihm daran, heil nach St. Johann zu kommen. Während er in Gedanken schon bei Jenny war, nahm er unbewußt ein Geräusch wahr, das aus dem Motorraum seines Autos zu kommen schien. Michael fuhr an den rechten Straßenrand und schaltete den Motor aus. Gerade wollte er aussteigen, als er sah, daß vorne, wo der Kühler saß, eine dichte Qualmwolke aufstieg.
Auch das noch!
Hastig öffnete er die Motorhaube und sah die Bescherung – ein Riß, aus dem das Wasser tropfte.
Oder das, was noch davon übrig war. Der Inhalt des Kühlers war, während der Fahrt, langsam ausgelaufen.
Michael untersuchte den Kühler und stellte fest, daß da nichts mehr zu machen war. Alleine würde der Wagen nicht mehr fahren. Er suchte in seiner Jackentasche nach dem Handy und mußte feststellen, daß der Akku leer war.
»Ein Unglück kommt selten allein«, murmelte er ärgerlich vor sich hin.
Er schätzte die Entfernung ab, die er gefahren war. Gut und gerne die halbe Strecke hatte er wohl hinter sich gebracht, nach St. Johann mochten es noch an die sieben Kilometer sein, zum Huberhof ebensoviel.
Wie er es auch drehte und wendete, ihm blieb nichts anderes übrig, als sich auf Schusters Rappen fortzubewegen. Dabei war es egal, welche Richtung er nahm.
Michael wollte sich gerade für St. Johann entscheiden, weil der Wagen abgeschleppt und in eine Werkstatt gebracht werden mußte, als er das Motorengeräusch eines Traktors hörte. Wenig später sah er einen der Knechte des Huberhofes die Straße herunterkommen.
»Na, was ist Ihnen denn passiert?« fragte Sepp Reitlinger, der den Gast erkannt hatte.
Michael hob hilflos die Arme.
»Der Kühler ist hinüber«, sagte er. »Können Sie mich vielleicht abschleppen?«
Der Knecht war abgesprungen.
»Freilich, wenn S’ ein Abschleppseil dabei haben«, nickte er.
»Das habe ich, Gott sei Dank«, antwortete Michael und öffnete den Kofferraum.
Ein paar Minuten später saß er wieder hinter dem Lenkrad seines Wagens und schaltete die Warnblinkanlage ein. Dann tuckerte der Traktor gemächlich nach St. Johann.
In der Werkstatt erlebte er die nächste Enttäuschung. Der Meister, der den Schaden begutachtete, schüttelte den Kopf.
»Heut’« wird das nix mehr«, sagte er bedauernd. »Mal abgeseh’n davon, daß Samstag ist, und ich eigentlich gar net arbeite, muß ich erst einen neuen Kühler besorgen. Das kann ich aber net vor Montag, und mit der Reparatur kann ich erst am Dienstag oder Mittwoch anfangen.«
Er deutete auf den Hof, auf dem eine ganze Anzahl anderer Autos standen.
»Tut mir leid, aber die warten auch alle noch.«
»Na gut«, winkte Michael ab. »Ich bin ja noch eine Weile hier. Besorgen S’ halt einen neuen Kühler und geben S’ mir Bescheid, wenn der Wagen fertig ist. Ich wohn’ auf dem Huberhof.«
Der Meister nickte.
»Hab’ ich mir schon gedacht, Herr Winter, als ich den Sepp geseh’n hab’.«
Michael warf einen letzten Blick auf sein Auto und verabschiedete sich.
Abgesehen von den Reparaturkosten, war das Unglück ja nicht weiter schlimm. Höchstens, daß er den Weg zu seiner Unterkunft zu Fuß würde gehen müssen. Aber vielleicht gab es auch die Möglichkeit, sich einen Leihwagen zu nehmen.
»Ach was«, schüttelte Axel Kremer den Kopf, als Michael in der Pension Stubler angekommen war und von seinem Pech erzählte, »da nimmst du eben meinen Wagen. Ich brauche ihn ohnehin