Sternstunden der Menschheit. Vierzehn historische Miniaturen. Стефан Цвейг

Sternstunden der Menschheit. Vierzehn historische Miniaturen - Стефан Цвейг


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heimgebracht von der Küste des Südmeeres wie niemals Kolumbus und die andern Konquistadoren, und auch alle andern Kolonisten bekommen ihr Teil. Ein Fünftel wird der Krone bereitgestellt, und niemand verargt es dem Triumphator, daß er bei der Beuteteilung auch seinen Hund Leoncico zum Lohn dafür, daß er so wacker den unglücklichen Eingeborenen das Fleisch aus dem Leibe gefetzt, wie irgendeinen andern Krieger an der Belohnung teilnehmen und mit fünfhundert Goldpesos bedecken läßt. Kein einziger in der Kolonie bestreitet nach solcher Leistung mehr seine Autorität als Gouverneur. Wie ein Gott wird der Abenteurer und Rebell gefeiert, und mit Stolz kann er nach Spanien die Nachricht abfertigen, er habe seit Kolumbus die größte Tat für die kastilische Krone vollbracht. In steilem Aufstieg hat die Sonne seines Glücks alle Wolken durchbrochen, die bislang auf seinem Leben lasteten. Nun steht sie im Zenit.

      Aber Balboas Glück hat nur kurze Dauer. Staunend drängt wenige Monate später, an einem strahlenden Junitage, die Bevölkerung von Darien an den Strand. Ein Segel hat aufgeleuchtet am Horizont, und schon dies ist wie ein Wunder an diesem verlorenen Winkel der Welt. Aber siehe, ein zweites taucht daneben auf, ein drittes, ein viertes, ein fünftes, und bald sind es zehn, nein fünfzehn, nein zwanzig, eine ganze Flotte, die auf den Hafen zusteuert. Und bald erfahren sie: all dies hat Nuñez de Balboas Brief bewirkt, aber nicht die Botschaft seines Triumphes – die ist noch nicht in Spanien eingelangt –, sondern jene frühere Nachricht, in der er zum erstenmal den Bericht des Kaziken von dem nahen Südmeer und dem Goldland weitergegeben und um eine Armee von tausend Mann gebeten, um diese Länder zu erobern. Für diese Expedition hat die spanische Krone nicht gezögert, eine so gewaltige Flotte auszurüsten. Aber keineswegs hat man in Sevilla und Barcelona daran gedacht, eine derart wichtige Aufgabe einem so übel beleumdeten Abenteurer und Rebellen wie Vasco Nuñez de Balboa anzuvertrauen. Ein eigener Gouverneur, ein reicher, adliger, hochangesehener, sechzigjähriger Mann, Pedro Arias Davilla, meist Pedrarias genannt, wird mitgesandt, um als Gouverneur des Königs endlich Ordnung in der Kolonie zu schaffen, Justiz für alle bisher begangenen Vergehen zu üben, jenes Südmeer zu finden und das verheißene Goldland zu erobern.

      Nun ergibt sich eine ärgerliche Situation für Pedrarias. Er hat einerseits den Auftrag, den Rebellen Nuñez de Balboa zur Verantwortung zu ziehen für die frühere Verjagung des Gouverneurs und ihn, falls seine Schuld erwiesen ist, in Ketten zu legen oder zu justifizieren; er hat anderseits den Auftrag, das Südmeer zu entdecken. Aber kaum, daß sein Boot an Land stößt, erfährt er, daß eben dieser Nuñez de Balboa, den er vor Gericht ziehen soll, die großartige Tat auf eigne Faust vollbracht, daß dieser Rebell den ihm zugedachten Triumph schon gefeiert und der spanischen Krone den größten Dienst seit der Entdeckung Amerikas geleistet hat. Selbstverständlich kann er einem solchen Mann jetzt nicht wie einem gemeinen Verbrecher das Haupt auf den Block legen, er muß ihn höflich begrüßen, ihn aufrichtig beglückwünschen. Aber von diesem Augenblick an ist Nuñez de Balboa verloren. Nie wird Pedrarias dem Rivalen verzeihen, selbständig die Tat vollbracht zu haben, die er zu vollführen entsendet war und die ihm ewigen Ruhm durch die Zeiten gesichert hätte. Zwar muß er, um die Kolonisten nicht vorzeitig zu erbittern, den Haß gegen ihren Helden verbergen, die Untersuchung wird vertagt und sogar ein falscher Friede hergestellt, indem Pedrarias seine eigene Tochter, die noch in Spanien zurückgeblieben ist, Nuñez de Balboa verlobt. Aber sein Haß und seine Eifersucht gegen Balboa werden keineswegs gemildert, sondern nur noch gesteigert, wie nun von Spanien, wo man endlich Balboas Tat erfahren, ein Dekret eintrifft, das dem ehemaligen Rebellen den angemaßten Titel nachträglich verleiht, Balboa gleichfalls zum Adelantado ernennt und Pedrarias den Auftrag gibt, sich in jeder wichtigen Angelegenheit mit ihm zu beraten. Für zwei Gouverneure ist dieses Land zu klein, einer wird weichen müssen, einer von den beiden untergehen. Vasco Nuñez de Balboa spürt, daß das Schwert über ihm hängt, denn in Pedrarias’ Händen liegt die militärische Macht und die Justiz. So versucht er zum zweitenmal die Flucht, die ihm zum erstenmal so herrlich gelungen, die Flucht in die Unsterblichkeit. Er ersucht Pedrarias, eine Expedition ausrüsten zu dürfen, um die Küste am Südmeer zu erkunden und in weiterem Umkreis zu erobern. Die geheime Absicht des alten Rebellen aber ist, sich an dem andern Ufer des Meeres unabhängig zu machen von jeder Kontrolle, selbst eine Flotte zu bauen, Herr seiner eigenen Provinz zu werden und womöglich auch das sagenhafte Birù, dieses Ophir der Neuen Welt, zu erobern. Pedrarias stimmt hinterhältig zu. Geht Balboa bei dem Unternehmen zugrunde, um so besser. Gelingt ihm seine Tat, so wird noch immer Zeit sein, sich des allzu Ehrgeizigen zu entledigen.

      Damit tritt Nuñez de Balboa seine neue Flucht in die Unsterblichkeit an; seine zweite Unternehmung ist vielleicht noch grandioser als die erste, wenn ihr auch nicht der gleiche Ruhm geschenkt ward in der Geschichte, die immer nur den Erfolgreichen rühmt. Diesmal überquert Balboa den Isthmus nicht nur mit seiner Mannschaft, sondern läßt das Holz, die Bretter, die Segel, die Anker, die Winden für vier Brigantinen von Tausenden Eingeborenen über die Berge schleppen. Denn, hat er einmal drüben eine Flotte, dann kann er aller Küsten sich bemächtigen, die Perleninseln erobern und Peru, das sagenhafte Peru. Aber diesmal ist das Schicksal gegen den Wagemutigen, und er findet unablässig neue Widerstände. Auf dem Marsch durch den feuchten Dschungel zerfressen Würmer das Holz, verfault langen die Bretter an und sind nicht zu brauchen. Ohne sich entmutigen zu lassen, läßt Balboa am Golf von Panama neue Stämme niederschlagen und frische Bretter anfertigen. Seine Energie vollbringt wahre Wunder – schon scheint alles gelungen, schon sind die Brigantinen gebaut, die ersten des Pazifischen Ozeans. Da schwemmt ein Tornadosturm die Flüsse, in denen sie fertiggestellt liegen, plötzlich riesenhaft an. Die fertigen Boote werden weggerissen und zerschellen im Meer. Noch ein drittes Mal muß begonnen werden; und jetzt endlich gelingt es, zwei Brigantinen fertigzustellen. Nur noch zwei, nur noch drei braucht Balboa mehr, und er kann sich aufmachen und das Land erobern, von dem er träumt bei Tag und Nacht, seit jener Kazike damals mit ausgebreiteter Hand nach Süden gedeutet und er zum erstenmal das verführerische Wort »Birù« vernommen. Ein paar tapfere Offiziere noch nachkommen lassen, einen guten Nachschub an Mannschaften anfordern, und er kann sein Reich gründen! Nur ein paar Monate noch, nur ein wenig Glück zu der innern Verwegenheit, und nicht Pizarro müßte die Weltgeschichte den Besieger der Inkas, den Eroberer Perus nennen, sondern Nuñez de Balboa.

      Aber selbst gegen seine Lieblinge zeigt sich das Schicksal nie allzu großmütig. Selten gewähren die Götter dem Sterblichen mehr als eine einzige unsterbliche Tat.

      Der Untergang

       Inhaltsverzeichnis

      Mit eiserner Energie hat Nuñez de Balboa sein großes Unternehmen vorbereitet. Aber gerade das kühne Gelingen schafft ihm Gefahr, denn das argwöhnische Auge Pedrarias’ beobachtet beunruhigt die Absichten seines Untergebenen. Vielleicht ist ihm durch Verrat Nachricht gekommen von Balboas ehrgeizigen Herrschaftsträumen, vielleicht fürchtet er bloß eifersüchtig einen zweiten Erfolg des alten Rebellen. Jedenfalls sendet er plötzlich einen sehr herzlichen Brief an Balboa, er möchte doch, ehe er endgültig seinen Eroberungszug beginne, noch zu einer Besprechung nach Acla, einer Stadt nahe von Darien, zurückkehren. Balboa, der hofft, weitere Unterstützung an Mannschaft von Pedrarias zu empfangen, leistet der Einladung Folge und kehrt sofort zurück. Vor den Toren der Stadt marschiert ihm ein kleiner Trupp Soldaten entgegen, scheinbar um ihn zu begrüßen; freudig eilt er auf sie zu, um ihren Führer, seinen Waffenbruder aus vielen Jahren, seinen Begleiter bei der Entdeckung der Südsee, seinen vertrauten Freund Francisco Pizarro, zu umarmen.

      Aber schwer legt ihm Francisco Pizarro die Hand auf die Schulter und erklärt ihn für gefangen. Auch Pizarro lüstet es nach Unsterblichkeit, auch ihn lüstet es, das Goldland zu erobern, und nicht unlieb ist es ihm vielleicht, einen so verwegenen Vordermann aus dem Wege zu wissen. Der Gouverneur Pedrarias eröffnet den Prozeß wegen angeblicher Rebellion, schnell und ungerecht wird Gericht gehalten. Wenige Tage später schreitet Vasco Nuñez de Balboa mit den Treuesten seiner Gefährten zum Block; aufblitzt das Schwert des Henkers, und in einer Sekunde erlischt in dem niederrollenden Haupte für immer das Auge, das als erstes der Menschheit gleichzeitig beide Ozeane geschaut, die unsere Erde umfassen.

      Die Eroberung von Byzanz


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