Gesammelte Werke. Isolde Kurz

Gesammelte Werke - Isolde Kurz


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be­gehr­te, Bür­ge­rin die­ses Lan­des zu wer­den, von sol­chen ge­schmäht wur­de, die sie gar nicht kann­ten, ver­letz­te mein Ge­fühl. Die »Wacht am Rhein«, von bier­hei­se­ren Bür­ger­stim­men am si­che­ren Wirts­haus­tisch ge­sun­gen, war ein Ohren- und ein See­len­schmerz. Ich konn­te also nicht va­ter­län­disch emp­fin­den. Deutsch­land stand ja ge­wal­tig und sieg­reich da und be­durf­te nicht wie heu­te der Lie­be al­ler sei­ner Kin­der. Die deut­sche Kul­tur war mir die Welt Goe­thes, ein hei­lig ge­hal­te­nes, nir­gends sicht­ba­res Ide­al, das ich tief im Her­zen trug und in die ferns­ten Fer­nen mit­neh­men konn­te. Sie hat­te mit dem, was mich um­gab, nichts zu tun, sie be­deu­te­te höchs­tes Men­schen­tum, an kei­ne Schol­le ge­bun­den. Da­her tat die Mut­ter mei­nem Ver­ständ­nis eine zu große Ehre an, wenn sie mich zu­wei­len in der Hit­ze bis­mar­ckisch schalt. Noch we­ni­ger frei­lich hoff­te ich für mein Kul­tu­r­ide­al von der Rich­tung, die Ed­gar ein­ge­schla­gen hat­te; so ging je­des im Hau­se sei­nen ei­ge­nen Weg. Weil nun aber un­se­re Mit­bür­ger sich von An­fang an ge­wöhnt hat­ten, al­les, was ih­nen an un­se­rer Fa­mi­lie miss­lie­big war, der Toch­ter an­zu­krei­den, so wur­de ich auch für die po­li­ti­schen An­sich­ten von Mut­ter und Brü­dern ver­ant­wort­lich ge­macht, mit de­nen ich sel­ber im Wi­der­spruch stand, und es gab da­mals in Tü­bin­gen er­wach­se­ne Leu­te, die al­len Erns­tes die Sech­zehn­jäh­ri­ge für eine staats­ge­fähr­li­che klei­ne Per­sön­lich­keit an­sa­hen, der man ge­heim­nis­vol­le po­li­ti­sche Um­trie­be zu­trau­te. – Nur ein­mal, beim Frie­dens­schluss, schlu­gen alle Her­zen in der Fa­mi­lie zu­sam­men und im Ein­klang mit dem All­ge­mei­nen: in der tan­nen­ge­schmück­ten Stra­ße durf­te auch ich mei­ne Blu­men in den fest­li­chen Ein­zug der Krie­ger wer­fen.

      Ei­nes schö­nen Som­mer­ta­ges wur­de mir die be­glücken­de Er­öff­nung ge­macht, dass ich in der Va­kanz mit Ed­gar, der jetzt ein ganz grü­nes Stu­dent­lein war, den Rigi be­stei­gen dür­fe. Ich war zwar dank mei­nem Zu­sam­men­ler­nen mit Lili in der Geo­gra­fie so schwach ge­blie­ben, dass ich nicht ein­mal ge­nau wuss­te, wo die­ser Berg zu su­chen sei, al­lein durch die Wor­te Rigi Re­gi­na, die ich in ir­gend­ei­nem Ge­dicht ge­le­sen hat­te, war er zu ei­nem Berg der Wun­der ge­wor­den. Ich er­schrak je­doch bis ins Herz, als es sich ent­hüll­te, dass mir noch ein an­de­rer Beglei­ter zu­ge­dacht war, ein rei­fe­rer Mann, des­sen Wer­bung um die kaum Er­wach­se­ne zwar dem Mut­ter­stolz schmei­chel­te, aber bei der Toch­ter auf ent­schie­de­ne Ab­wehr stieß. Er soll­te uns zwei Wel­tu­ner­fah­re­nen als Men­tor die­nen und da­bei die Ge­le­gen­heit wahr­neh­men, sich von sei­ner güns­tigs­ten Sei­te zu zei­gen. Ich be­griff aber gleich, dass die ge­mein­sa­me Schwei­zer­rei­se nur als Vor­spiel ei­ner län­ge­ren, le­bens­lan­gen, ge­dacht sei, und war so­fort be­reit, un­ter die­sen Be­din­gun­gen zu ver­zich­ten, so hart es mich an­kam, die schon sehn­lich aus­ge­brei­te­ten Flü­gel wie­der zu­sam­men­zu­fal­ten. Ein Sturm brach los, der ers­te ganz schwe­re, den ich mit mei­ner Mut­ter zu be­ste­hen hat­te, und sol­che Stür­me wa­ren kei­ne Klei­nig­keit; aber ich blieb fest, und die Arme muss­te mit Schmer­zen das gan­ze Ge­we­be wie­der auf­drö­seln. Mich zur Stra­fe um die Rei­se zu brin­gen, ver­moch­te sie schließ­lich doch nicht, also ließ sie mich nach ein paar durch­wein­ten Ta­gen al­lein mit dem Bru­der in die mit dop­pelt freu­di­gem Au­fat­men be­grüß­te Frei­heit zie­hen. Dass ich mir das Rei­se­geld durch mei­ne Über­set­zun­gen selbst er­schrie­ben hat­te, ver­mehr­te das Hoch­ge­fühl. Rigi Re­gi­na!

      Den Rei­se­plan mach­te Ed­gar, und mit der ihm ei­ge­nem Herrsch- und Ei­fer­sucht ge­stat­te­te er mir kaum, einen Blick mit auf die Kar­te zu wer­fen. Doch wa­ren wir ei­nig, vor al­lem mög­lichst weit zu kom­men, denn uns bei­de be­herrsch­te der­sel­be Raum­hun­ger. Nur hat­ten wir nicht mit un­se­rer ei­ge­nen Kin­de­rei ge­rech­net. In frü­he­ren raue­ren Zei­ten pfleg­ten El­tern ihre Kin­der bei denk­wür­di­gen öf­fent­li­chen Er­eig­nis­sen durch eine plötz­li­che Ohr­fei­ge zu über­ra­schen, da­mit der Ein­druck un­aus­lösch­lich haf­te. Nach dem­sel­ben Ge­setz der Mne­mo­tech­nik ha­ben sich mir die Etap­pen die­ser ers­ten Aus­fahrt in die Welt nur durch die aus­ge­stan­de­nen Ver­drieß­lich­kei­ten ein­ge­prägt.

      So­bald wir in der Bahn sa­ßen, be­gann die Not. Ich hat­te ei­ni­ge Zeit das Eng­li­sche ge­trie­ben und war so weit, dass ich mich un­be­fan­gen in die­ser Spra­che aus­drücken konn­te. Das fiel nun mit ei­nem Mal mei­nem brü­der­li­chen Be­schüt­zer schwer auf die See­le. Er mein­te, sämt­li­che in der Schweiz rei­sen­den Söh­ne Al­bi­ons war­te­ten nur auf sei­ne Schwes­ter, um sich ihr in den Weg zu stel­len, und da er die­se Na­ti­on nicht lieb­te, ver­lang­te er im vor­aus ein bin­den­des Ver­spre­chen, dass ich mit kei­nem Eng­län­der ein Wort re­den wür­de. Ich sag­te, ich hät­te ge­hört, dass Eng­län­der auf der Rei­se nie­mals Un­be­kann­te an­spre­chen, aber das ge­nüg­te ihm nicht, er be­stand auf ei­nem Ehren­wort, das ich zu sei­nem bit­te­ren Schmerz ver­wei­ger­te. So ver­gäll­ten wir uns die ers­te Rei­se­stun­de mit dem ers­ten Zank.

      Ei­ni­ge mit­rei­sen­de Her­ren, die das blut­jun­ge Pär­chen be­ob­ach­te­ten, be­gan­nen nun mir über­flüs­si­ge klei­ne Auf­merk­sam­kei­ten zu er­wei­sen, die Ed­gar schroff ab­lehn­te, weil er selbst sei­ner Rit­ter­pflicht ge­nüg­te. Das trieb die an­dern zu ver­mehr­ter Be­f­lis­sen­heit, und als er sich ein­mal der Fahr­schei­ne we­gen aus dem Ab­teil ent­fer­nen muss­te, mach­ten sich jene mit Ne­cke­rei­en ob des ei­fer­süch­ti­gen jun­gen Herrn an mich her­an. Ich ant­wor­te­te mit so viel Wür­de, als mei­ne Back­fisch­jah­re er­schwin­gen konn­ten, die­ser jun­ge Herr sei mein Bru­der. Die aber lach­ten noch an­züg­li­cher und mein­ten, sol­che Brü­der ken­ne man schon. Nun war das Auf­ge­bracht­sein an mir, und als wir al­lein wei­ter­fuh­ren, mach­te ich dem schon zu­vor Ver­stimm­ten Vor­stel­lun­gen über sein Be­tra­gen. Daraus ent­spann sich der zwei­te Zank, der so bit­ter wur­de, dass das eine rechts, das an­de­re links zum Fens­ter hin­aus­blick­te, ohne die Land­schaft in sich auf­zu­neh­men, denn bei­den fraß die ver­meint­lich er­lit­te­ne Un­bill am Her­zen. Und so ging es im­mer wei­ter. Lu­zern, der Vier­wald­stät­ter­see mit Axen­stein und Tells­plat­te, das gan­ze Seen­pan­ora­ma auf Hin- und Rück­fahrt husch­te nur wie ein Schat­ten­spiel vor­über. Dann be­gan­nen wir zu Fuße den Rigi zu er­klim­men, denn die Benüt­zung der Berg­bahn er­schi­en uns als et­was un­wür­dig Weich­li­ches. Aus hal­ber Höhe ließ ich mir je­doch von ei­nem zu­rück­keh­ren­den Trei­ber ein Pferd auf­re­den, mehr aus Reit­lust, als um mir den Weg zu er­spa­ren; Ed­gar, der mit sei­nem zar­ten und zä­hen Kör­per­bau ein un­er­müd­li­cher Fuß­gän­ger war, ging ne­ben­her. Bei sin­ken­der Dun­kel­heit ka­men wir auf dem lichter­strah­len­den Kulm an, der mir wie ein Feen­schloss in der Ber­gein­sam­keit er­schi­en. Ich weiß nicht, für wen man uns dort an­sah. Man gab uns prunk­vol­le Zim­mer, groß wie Säle und strot­zend von Samt und Gold. Na­tür­lich ge­fiel es uns da recht gut, und nach dem Prei­se zu fra­gen, hiel­ten wir für krä­mer­haft. Das Abendes­sen ließ gleich­falls nichts zu wün­schen üb­rig, das schöns­te aber war doch der Vor­ge­nuss des kom­men­den Ta­ges. Rigi Re­gi­na, wie hast du uns be­tro­gen! Um vier Uhr weck­te uns frei­lich das Alp­horn, und wir eil­ten, has­tig in Tü­cher ge­wi­ckelt, mit an­de­ren blei­chen Sche­men nach ei­ner Platt­form, um die Ma­je­stät der Son­ne zu grü­ßen und die Rei­che der Welt zu un­se­ren Fü­ßen zu se­hen.


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