Gesammelte Werke. Isolde Kurz

Gesammelte Werke - Isolde Kurz


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ne­ben mei­ner Mut­ter und hat­te eine An­zahl mes­sin­ge­ner und zin­ner­ner Röh­ren auf dem ge­schlif­fe­nen So­fa­tisch aus­ge­brei­tet, das zer­leg­te Mo­dell ei­ner Er­fin­dung, durch die er je­den Krieg sieg­reich, aber un­blu­tig be­en­den zu kön­nen ver­mein­te. Es war, wenn mei­ne Mut­ter, von der ich die­se Er­klä­rung habe, ihn rich­tig ver­stand, ein Ge­schütz, durch das gan­ze Hee­re mit­tels ab­ge­schos­se­ner fei­ner Ket­ten um­spannt und wehr­los ge­macht wer­den soll­ten, und der fan­ta­sie­vol­le Er­fin­der hat­te die Ab­sicht, da­mit nach Pa­ris zu rei­sen und das Mo­dell an Na­po­le­on III. zu ver­kau­fen. Mei­ne sonst so geist­vol­le Mut­ter ver­stand von Mecha­nik nicht viel mehr als ihr Töch­ter­lein am Schlüs­sel­loch und war fast eben­so leicht­gläu­big. – Was, an den Ty­ran­nen? hör­te ich sie ent­rüs­tet sa­gen. Du soll­test dich schä­men, der Re­ak­ti­on zu die­nen. Ich hof­fe, dass du dich an­ders be­sinnst und mit dem Mo­dell nach Ita­li­en zu Ga­ri­bal­di fährst, da­mit er es zum Heil der Frei­heit ver­wen­de.

      Der Be­su­cher pack­te sei­ne Röh­ren zu­sam­men und ant­wor­te­te, er wer­de jetzt, wie ge­plant, nach Pa­ris rei­sen und sein Ge­heim­nis um zwei Mil­lio­nen dem Fran­zo­sen­kai­ser ver­kau­fen, weil er das Geld brau­che. Her­nach aber wol­le er je­nen um den Vor­teil brin­gen, in­dem er ein zwei­tes Mo­dell Ga­ri­bal­di un­ent­gelt­lich zur Ver­fü­gung stel­le. Er ging auch in die Kü­che und sprach ver­trau­lich mit Jo­se­phi­ne, und als er fort war, über­zeug­te ich mich, dass ihr Kopf auf dem al­ten Fle­cke stand. Ich wag­te end­lich we­gen der Bü­cher zu for­schen, da ge­stand sie, mich nur gen­eckt zu ha­ben. Die Bü­cher wa­ren ihr Ei­gen­tum, über das sie frei ver­fü­gen konn­te. Der Herr, des­sen sinn­rei­che Ein­fäl­le üb­ri­gens be­kannt wa­ren, hat­te ein­mal mit sei­ner Frau als Gast bei mei­ner da­mals noch un­ver­hei­ra­te­ten Mut­ter ge­wohnt, und da er eben nicht bei Kas­se war, Jo­se­phi­ne jene un­be­nutz­ten Bü­cher statt ei­nes an­de­ren Ent­gelts für ihre Diens­te hin­ter­las­sen.

      Die vie­len bei Tage aus­ge­stan­de­nen Ängs­te, die ich meist aus un­über­leg­ten Re­den der Er­wach­se­nen schöpf­te – auch die Furcht, ei­nes mei­ner Lie­ben zu ver­lie­ren, ge­hör­te dazu, ob­wohl ich vom Tode noch nichts wuss­te –, kehr­ten bei Nacht in aben­teu­er­li­chen Ver­mum­mun­gen wie­der und mach­ten mir oft ge­nug den Schlaf zu ei­ner ganz be­denk­li­chen An­ge­le­gen­heit. Das ging bis zu Sin­ne­stäu­schun­gen im ver­meint­lich wa­chen Zu­stand. So sah ich ei­nes Nachts im Mond­schein ganz deut­lich mei­ne Mut­ter im lan­gen wei­ßen Hemd vom La­ger stei­gen, sich ne­ben mei­nem Bett­chen einen Strumpf knüp­fen, und als ich er­war­te­te, dass sie sich jetzt über mich beu­gen wer­de, laut­los hin­ter den Ofen glei­ten. Als sie gar nicht zu­rück­kom­men woll­te, kroch ich nach län­ge­rem War­ten ängst­lich aus dem Bett und sah den Raum hin­ter dem Ofen leer. Eine schreck­li­che Un­ru­he be­fiel mich, aber als ich nun vor ihr La­ger schlich, lag sie in fes­tem Schla­fe. Eine sol­che kind­li­che Hal­lu­zi­na­ti­on hät­te viel­leicht im Mit­tel­al­ter ge­nügt, eine un­glück­li­che Frau der Hexe­rei und der Schorn­stein­fahrt zu über­füh­ren.

      Aber die­sen Kin­der­lei­den, von de­nen die Er­wach­se­nen nichts zu ah­nen pfle­gen, hielt eine un­er­mess­li­che Kin­der­se­lig­keit die Wage. Sol­che Fest- und Won­ne­ta­ge wie un­se­re Ge­burts­ta­ge konn­te das spä­te­re Le­ben aus all sei­nem Reich­tum nicht mehr her­vor­brin­gen. Der fei­er­lichs­te war der mei­ni­ge, der Tho­mas­tag; da er in die Weih­nachts­wo­che fiel, wur­de an die­sem Abend der Baum an­ge­zün­det und die Be­sche­rung ge­hal­ten. Schon vie­le Tage vor­her han­tier­te un­se­re Jo­se­phi­ne mit köst­li­chen sü­ßen Tei­gen und stach mit den hoch­ehr­wür­di­gen al­ten Mo­deln, die ich im­mer ir­gend­wie mit un­se­ren alt­ger­ma­ni­schen Göt­tern in Zu­sam­men­hang brin­gen muss­te – viel­leicht hat­te un­ser Va­ter ein­mal die Be­mer­kung ge­macht, dass die »Sprin­ger­lein« Wodans Roß be­deu­ten –, das herr­lichs­te Back­werk aus. Es wur­de in über­schweng­li­chen Men­gen her­ge­stellt und mit den Freun­des­häu­sern korb­wei­se als Ge­schenk ge­tauscht. Mama saß mit be­freun­de­ten Da­men und »do­ckel­te« heim­lich, d. h. sie näh­te aus bun­ten Sei­den­lap­pen die schöns­ten Pup­pen­klei­der. Im­mer hing da und dort ein gol­de­ner Fa­den, der die­se feen­haf­te Tä­tig­keit ver­riet. Die üb­ri­gen Lap­pen hü­te­te ich in ei­ner Papp­schach­tel, sie wa­ren mir als Stoff zu künf­ti­ger Ge­stal­tung fast noch wer­ter als die fer­ti­gen Kleid­chen. Die Gro­ßen be­grif­fen nicht, warum die­se Schach­tel jede Nacht an mei­nem Bett ste­hen muss­te, aber ich wuss­te recht wohl, was ich tat, denn wer hät­te sie sonst ge­ret­tet, falls des Nachts ein Brand aus­brach? Ich hat­te schon den Griff ein­ge­übt, wo­mit ich sie fas­sen woll­te, wäh­rend ich im an­de­ren Arm die Pup­pen hielt, um durch die Flam­men zu sprin­gen. Man sage noch, dass klei­ne Kin­der kei­ne Voraus­sicht hät­ten! – Wenn dann nach ei­ner herz­klop­fen­den Er­war­tung end­lich die Tür des Weih­nachts­zim­mers auf­ging und der Duft und Glanz des mit gol­de­nen Nüs­sen be­han­ge­nen Baums uns ent­ge­gen­ström­te, dann war mit dem ers­ten se­li­gen Au­fat­men auch der Hö­he­punkt des Glückes über­schrit­ten. So herr­lich Pup­pen­stu­be, Kü­che, Kauf­la­den mit ih­rem In­halt wa­ren, der Ge­dan­ke, dass auch die­ser Abend un­auf­halt­sam zu Ende ge­hen muss­te wie je­der an­de­re, mach­te den Be­sitz im vor­aus zu­nich­te. Das Schöns­te an dem Fest war je­des Mal der letz­te Au­gen­blick der Er­war­tung.

      An den Ge­burts­ta­gen der Brü­der wur­den im­mer alle Ge­schwis­ter mit­be­schenkt. Man er­wach­te früh bei noch ge­schlos­se­nen Lä­den voll Hoff­nung und Un­ge­duld, stell­te sich aber schla­fend und blin­zel­te nur nach den Din­gen, die da kom­men soll­ten, wäh­rend müt­ter­li­che Hän­de ganz lei­se vor je­des Kin­der­bett ein Tisch­chen rück­ten. Da stan­den dann im Mor­gen­licht be­zau­bern­de Din­ge, wie Far­ben­schach­teln, bun­te Blei­stif­te, gold­ge­rän­der­te Tas­sen, für mich eine Glas­schach­tel mit gol­de­nen, sil­ber­nen und far­bi­gen Per­len zum Sti­cken und An­rei­hen, und was mich im­mer am höchs­ten be­glück­te: ein blü­hen­des Ro­sen­stöck­chen mit vie­len Knos­pen, das ich sel­ber pfle­gen durf­te. Vor dem Ge­burts­tags­kind aber brann­ten die Jah­res­ker­zen über dem Ku­chen. – Wenn ich mei­ne se­li­gen Obe­reß­lin­ger Erin­ne­run­gen ge­gen die Brie­fe mei­ner Mut­ter aus je­ner für sie so schwe­ren und düs­te­ren Zeit hal­te, so kann ich erst ganz die Grö­ße die­ser un­end­li­chen Lie­be er­mes­sen, die den Him­mel über un­se­ren jun­gen Häup­tern so rein und blau er­hielt. Obe­reß­lin­gen war die Sand­bank, auf die po­li­ti­sche Ver­fe­mung und li­te­ra­ri­sches Nicht­ver­stan­den­sein mei­nen Va­ter ge­wor­fen hat­ten. Sein Ge­ni­us büß­te dort in der Enge des Da­seins und der Ein­tö­nig­keit der Land­schaft, die da­bei nichts Groß­ar­ti­ges hat­te, die Schwung­kraft ein. Aber das Kind sah an­ders. Ihm war die blo­ße Berüh­rung des un­ge­pflas­ter­ten Erd­bo­dens und sei­ne grü­ne Nähe Glückes ge­nug, der Hopf­sche Gar­ten, wo man Sta­chel- und Jo­han­nis­bee­ren pflücken und der Hen­ne ins Nest gu­cken durf­te, das Pa­ra­dies. Ein un­ge­wöhn­lich ent­wi­ckel­tes Ge­ruchs­ver­mö­gen mach­te mir auch all die hun­dert Kräut­lein im Gra­se zu lau­ter klei­nen Per­sön­lich­kei­ten, mit de­nen ich in Be­zie­hung trat.

      Ed­gar und ich hiel­ten in der Kin­der­schar am engs­ten zu­sam­men, weil wir zu­erst vor al­len an­de­ren da­ge­we­sen wa­ren und uns eine ge­mein­sa­me Welt er­baut hat­ten. Dass ich aber auch noch als Sechs­jäh­ri­ge am liebs­ten mit ihm von ei­nem


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