MORT(E). Robert Repino
realisierte, dass er auf seinen Hinterbeinen stand wie ein Mensch.
Bevor Janet es sehen konnte, trat ihr Ehemann aus der Tür. Er packte sie am Schopf und zog sie rücklings mit. Sie versuchte, das kreischende Baby in ihren Armen zu halten. »Daniel, hör auf!«
Michael wurde zwischen seinen zerrütteten Eltern herumgerissen und ein Dämon stand auf der Garage. Er rief seinem Vater etwas zu, doch der reagierte nicht. Bald war die ganze Familie wieder im Haus. Mit der zugeschlagenen Tür verstarb auch der Lärm.
Ein paar Minuten später konnte Sebastian Daniel zur Veranda laufen hören, wahrscheinlich um das Metallrohr zu holen. Er wusste, dass sein Herr es gegen seine Familie einsetzen würde. Er stellte sich vor, wie der Mann die Frau und die Kinder ins Badezimmer drängte und das Wasser laufen ließ, bis ihr Gekreische aufhörte. Sebastian sprang vom Dach und hastete zu dem Objekt.
Daniel kam heraus und sah Sebastian vor sich stehen, aufrecht und mit der Waffe hantierend.
Die Angst und Verzweiflung in den Augen des Mannes machten ihn wütend. Erkannte er das Mitglied seiner eigenen Familie nicht? Erinnerte er sich nicht, wie Sebastian das Haus vor einem Eindringling beschützt oder die Verantwortung akzeptiert hatte, über die Kinder zu wachen?
»Erkennst du mich nicht?« Die Worte fühlten sich seltsam rasselnd in Kehle und Mund an. Sie schienen schon immer da gewesen zu sein, auf ihre Befreiung gewartet zu haben. Das Sprechen glich einem Schütteln des Kopfes, bis die richtigen Sätze herausfielen.
Er bewegte seine Lippen, brachte aber keinen Ton hervor.
Sebastian trat näher und richtete die Waffe auf ihn. »Verstehst du meine Sprache oder nicht?«
»Ja«, antwortete Daniel. »Ja.«
Drei Jets sausten über das Haus, ihre Triebwerke ließen die Fenster vibrieren. Weitere Explosionen dröhnte Meilen entfernt.
»Geh rein«, forderte Sebastian. »Wir reden dort.«
Er gehorchte.
Der Geruch von Schweiß und Blut wurde intensiver. Am Boden des Wohnzimmers lag Janet neben dem Sessel, noch immer Delia umklammernd. Michael kniete neben ihr. Rote Flüssigkeit sickerte aus einer geplatzten Augenbraue und tropfte auf den weichen Teppich.
»Siehst du?«, sagte Michael zu seiner Mutter. »Ich hab es dir gesagt!«
Das Kind erkannte ihn. Janet wirkte benommen und schien nicht in der Lage, zu begreifen, was sie sah. Während Daniel seinen Sohn ermahnte, ruhig und ein braver Junge zu sein, konnte Sebastian nicht widerstehen, sein Spiegelbild zu betrachten, das seine Bewegungen nachahmte. Er stand aufrecht und war größer geworden als sein Herr, hatte stramme Muskeln unter dem Fell. Seine Gliedmaßen waren lang und dünn, seine Pfoten zu funktionalen, krallenlosen Händen geworden. Mit Klauen hätte er Daniel in blutige Streifen schneiden können, falls dieser sich zu widersetzen versuchte.
Der Mann saß auf der Couch und bot Sebastian erstmals den Platz auf dem Sessel an. Er willigte ein, wiegte die Waffe auf seinem Schoß. Auf dem verbotenen Möbelstück nahe Janet sitzend, erlebte er einen Moment der Panik. Aber die Dinge hatten sich geändert und sie war nicht in der Verfassung, ihn zu disziplinieren.
»Weißt du, wer ich bin?«
»Sebastian?«
Es klang vertraut. Die Martinis wie auch die Kinder sagten es ständig. Das Wort hatte einst so viel bedeutet: stopp, hierher, essen, setzen. Doch tatsächlich war es sein Name. Sebastian. Se-bastee-yan.
»Das ist unmöglich«, äußerte Daniel mit bebenden Lippen.
»Hast du mir diesen Namen gegeben?«
»Ja.« Seine Augen fixierten die schaurig rosafarbenen Hände, die das Rohr festhielten.
»Bist du mein …« Er suchte nach dem Wort, bevor er sich auf einen Ausdruck festlegte. »Vater?«
»Wieso kannst du sprechen?«
»Keine Fragen«, entgegnete er. »Du antwortest mir jetzt.«
Daniel schien zu warten, dass seine Frau etwas sagte, doch sie sprach nicht, lachte nur nervös mit dem Kopf schüttelnd.
»Antworte«, befahl Sebastian.
»Ich bin nicht dein Vater.«
»Was bist du für mich?«
»Du bist …«, begann er und pausierte. »Du warst unser Haustier.«
»Was bedeutet das?«
»Wir besaßen dich«, erklärte er fast flehentlich. »Du warst unser. Wir fütterten dich, du lebtest hier …«
Sebastian dachte darüber nach. »Etwas ist hier geschehen. Erklär es mir.«
Daniel nickte. Seine Hände zitterten, seine blutunterlaufenen Augen flatterten in ihren Höhlen, als er nach den richtigen Worten suchte. Es hätte mit einer Ameisenplage in Afrika und Südamerika begonnen, erzählte er. Zunächst wurde es als ungewöhnliches Aufkommen, als Anomalie abgetan, bis klar wurde, dass die Ameisen nicht aufzuhalten waren. Ganze Städte mussten aufgegeben werden. Dann tauchten riesige, nie dagewesene Exemplare auf: praktisch kugelsicher und in der Lage, durch Metall zu beißen. Daraufhin gab es Berichte von Tieren, die ihre Form veränderten und wie Menschen liefen. Irgendwie waren die Ameisen klug und die anderen Lebewesen wie sie geworden. Gewaltige Türme aus Erde und Ton erhoben sich über den gesamten Globus. Wissenschaftler empfingen ein Ultraschallsignal, das von der Spitze eines jeden Turms ausging. Die Menschen versuchten, sie zu zerstören, nur um festzustellen, dass die Ameisen sie innerhalb weniger Stunden reparierten. Was sie auch taten, die Insekten wurden immer zahlreicher. Und wie aus dem Nichts entstand eine gewaltige Insel im Meer, irgendwo im Atlantik. Die Ameisen hatten sie scheinbar von heute auf morgen erschaffen.
Daniel faselte über den Krieg, die Evakuierungen, den Rückzug nach Europa, das Gemetzel in Asien, die Massensuizide in Saudi-Arabien, die Detonation einer Atombombe auf der koreanischen Halbinsel und über Tristan. Jeden Tag zerfaserte ein anderer Teil seines Lebens und alles führte zu diesem Moment, in dem sein eigenes Haustier vor ihm stand, drohend mit eine Waffe hantierte und seelenruhig Fragen stellte. Während der Mann sprach, erkannte Sebastian, dass Michael alt genug war, manche der Dinge zu verstehen. Der Junge hörte von alledem vermutlich zum ersten Mal.
Daniel war mitten in der Erläuterung des gescheiterten Angriffs auf die Insel im Atlantik, als Sebastian ihn unterbrach. »Wo ist die Hündin?«
»Die Hündin?«
Er funkelte ihn an.
»Sheba«, sagte Daniel. »Sie lief weg. Habe sie nicht mehr gesehen. Tut mir leid.«
»Du hast ihre Kleinen getötet. Und du wolltest deine eigene Familie umbringen.«
Seine Haut glänzte vom Schweiß. Nun wusste Sebastian, wie er eine Reaktion provozierte, auch wenn er sich der Bedienung des Rohrs nicht sicher war. Wenn er auf den Mann zielte, wurde er gesprächiger.
»Ich habe nichts mehr«, klagte er. »Ich war wütend. Meine Frau …« Er vergrub sein Gesicht in den Händen. »Es ist, wie sie sagte«, fuhr er gegen seine Tränen kämpfend fort. »Wir sind sowieso tot. Ich habe den Welpen wahrscheinlich einen Gefallen getan, verstehst du?« Seine winkende Hand verdeutlichte den umgebenden Wahnsinn.
»Ich sollte dich für das töten, was du getan hast«, sagte Sebastian mehr zu sich selbst, als zu ihm. »Und für das, was du im Begriff warst zu tun. Aber ich glaube, du sagst die Wahrheit. Du bist wirklich tot.«
Daniel schürzte die Lippen, entgegnete jedoch nichts.
»Da sind eine Menge Worte in meinem Kopf. Ich bin nicht sicher, wie sie dorthin gekommen sind. Ich träumte davon und wachte an diesem Morgen mit ihnen im Mund auf. Eines der Worte ist Liebe. Ich habe deine Familie geliebt, aber ich war nur ein Spielzeug. Ich habe Sheba geliebt, doch nun ist sie fort.«
Sebastian stand auf. Er starrte auf den rechteckigen Fleck Sonnenlicht auf dem Teppich, zum letzten Mal, wie er glaubte. Er machte