Mein erster Aufenthalt in Marokko und Reise südlich vom Atlas durch die Oasen Draa und Tafilet. Gerhard Rohlfs
des grossen Atlas und fast sämmtliche jüdische Ortschaften der Draa- und Tafilet-Oasen besucht, aber immer gefunden, dass sie sich auszeichneten von der sie umgebenden mohammedanisch-berberischen Bevölkerung, sowohl in der Sprache, als auch durch anderen Körperbau, andere Gesichtsbildung und Sitten. Im Allgemeinen sind die Juden schöner und kräftiger als die Araber, aber der entsetzliche Schmutz, den sie zur Schau tragen, die nachlässige und ärmliche Kleidung, der sie sich bedienen müssen, entstellt sie mehr als es unter anderen Umständen der Fall sein würde. Die Jüdinnen namentlich zeichnen sich durch Schönheit der Körperformen und reizende Gesichtszüge aus, müssen dafür aber auch oft genug, sind sie in der Nähe eines Grossen und Vornehmen, in dessen Harem wandern.
[Fußnote 29: Die Angaben von Richardson und Davidson über die frei im Atlas lebenden Juden, die berechtigt seien Waffen zu tragen, beruhen auf trügerischer Information. Aus eigener Anschauung weiss ich, dass die Juden im Atlas und in den grossen Oasen der Sahara ebenso miserabel leben, wie nur in Fes oder irgend einer anderen Stadt des Landes.]
Die direct von Palästina hergekommenen Juden finden sich auf dem Atlas und in der Sahara, auch in den Städten Uesan, Fes, Tesa, Udjda giebt es deren. Sie reden kein Spanisch, sondern nur Arabisch und in rein berberischen Gegenden Schellah oder Tamasirht.
Aber eigenthümlich! Der Jude scheint nirgends die Landessprache erlernen zu können. Wir wissen alle, dass der echte Jude in Deutschland gleich an seiner lispelnden Sprache zu erkennen ist, ebenso die Juden aller übrigen europäischen Länder, die stets die Sprache des Landes anders sprechen als die christlichen Bewohner. So auch in Nordafrika. Selbst wenn nicht durch Tracht und Physiognomie verschieden von dem Araber, würde man unter Hunderten den Juden gleich an der Sprache herauskennen. Nichts lächerlicher als einen Juden arabisch schmunzeln zu hören, und die unter den Berbern ansässigen Israeliten, die berberisch sprechen, schmunzeln das Tamasirht, wie der Jude überhaupt in allen Sprachen schmunzelt.
Man wird wohl kaum übertreiben, wenn man die Zahl der in Marokko lebenden Juden auf circa 200,000 Seelen angiebt. Der grösste Zuschub von Aussen trat 1492 bei der Vertreibung aus Spanien ein, dazu kamen 1496 die aus Portugal vertriebenen Juden. Aber früher schon hatten andere europäische Länder ihr Contingent gestellt, 1342 fand in Italien eine Judenvertreibung, 1350 in den Niederlanden und 1403 in England und Frankreich statt30. Alle diese unglücklichen Israeliten fanden in Nordafrika und vorzugsweise in Marokko eine Zuflucht. Und wie unglücklich und gedrückt ihre Stellung auch dort ist, bis auf den heutigen Tag haben sie ausgehalten und sich vermehrt.
[Fußnote 30: Don Serafin Calderon, Cuadro geografico de Marrueccos, Madrid 1844.]
Auch die schwarze Race ist in Marokko vertreten und zwar sind es vorzugsweise Haussa-, Sonrhai- und Bambara-Neger, die man antrifft. Sie haben dazu beigetragen, das arabische Element kräftig zu durchsetzen, obschon auf dem Lande die Mischung mit den Schwarzen seltener ist als in den Städten. Es ist weniger im arabischen Volke Sitte eine Negerin zu nehmen, als bei den Grossen. Die ganze Familie des Sultans, alle ersten Familien der Schürfa haben heute eben so viel Negerblut in ihren Adern als rein arabisches. Die Berber mischen sich nie mit den Schwarzen, sie würden glauben sich dadurch zu degradiren. Als Sklaven werden die Schwarzen in Marokko gut behandelt und fast immer nach kürzerer oder längerer Zeit in Freiheit gesetzt. Die Zahl der Schwarzen in Marokko, welche stets durch neue Zufuhren aus Centralafrika erneuert wird, dürfte sich auf circa 50,000 beziffern.
Die in Marokko sich aufhaltenden Renegaten verdienen kaum einer Erwähnung. Es ist meist der Abschaum der menschlichen Gesellschaft, Galeerensträflinge, die aus den spanischen Praesidos von Ceuta, Melilla, Alhucanas und Peñon de la Gomera entflohen sind. Und die Aussicht auf Begnadigung ist ihnen dadurch, dass sie die mohammedanische Religion angenommen haben, vollkommen abgeschnitten, sie würde auch nutzlos für sie sein, da sie im Falle einer Begnadigung, dem Rächerarm der allliebenden katholischen Kirche anheimfallen würden. Die katholische alleinseligmachende Religion in Spanien und die mohammedanische alleinseligmachende Religion in Marokko stehen sich noch ebenso feindlich gegen einander, wie zur Zeit Ferdinand des Katholischen.
Es mögen einige Hundert Renegaten in Marokko sein, fast alle Spanier, mit Ausnahme von drei oder vier Franzosen; alle sind verheirathet, die meisten sind Soldaten und alle leben in einer sehr verachteten Stellung. Selbst die Kinder und Nachkommen solcher Oeludj31 haben noch zu leiden von der tiefverachteten Stellung, die ihre Eltern einnahmen.
[Fußnote 31: Oeludj pl. von Oeldj heisst man in Marokko den ehemaligen christlichen Sklaven und ebenso auch die Renegaten.]
Europäer, oder wie die Marokkaner sie nennen: Christen, trifft man nur in den Häfen. Im Ganzen beträgt ihre Zahl jetzt wohl 2000; sie zeigt also eine grosse Zunahme gegen früher. Tanger und Mogador haben das grösste Contingent aufzuweisen. In den übrigen Küstenstädten, wie Tetuan, L'Araisch, Rbat, Darbeida, Dar-Djedida und Saffi findet man nur einzelne Familien. Die Häfen von Sla, Asamor und Agadir haben keine europäische Bevölkerung.
Ueber Zu- oder Abnahme der Bevölkerung in Marokko liegen natürlich keine Angaben vor. Was die Städte anbetrifft, so hat in der neuesten Zeit Fes durch Cholera bedeutend an der Einwohnerzahl verloren. Dass die Stadt Marokko ehedem viel bedeutender bevölkert war als jetzt, dass ein Gleiches in Mikenes, Luxor (Alcassar) und Tarudant der Fall gewesen ist, habe ich selbst beobachten können. Die grossen Gärten innerhalb der Stadtmauern, die vielen leerstehenden Häuser, meistens schon Ruinen, endlich die grosse Anzahl unbenutzter Moscheen, zu gross für die jetzige Population, deuten darauf hin, dass die Bevölkerung dieser Städte bedeutend abgenommen hat. Zunahme sehen wir nur in den Hafenstädten, namentlich in denen, welche hauptsächlich den Handel mit dem Auslande vermitteln; aber auch hier ist die Zunahme mehr unter der fremden, europäischen Bevölkerung zu bemerken, als unter den Eingeborenen. Viele Hafenstädte, welche ehemals bewohnt waren, sind in der Neuzeit sogar gänzlich entvölkert und verlassen worden.
Ebenso kann auf dem Lande von einer merklichen Zunahme der Einwohner nicht die Rede sein; es kann sein, dass einzelne Triben sich vermehren, durch locale Einflüsse begünstigt, während aber andere dafür sich vermindern oder ganz aussterben. Constante Zunahme der Bevölkerung und fast möchte ich sagen Uebervölkerung findet man nur in den Sahara-Oasen, namentlich im Draa und Tafilet. Es scheint, dass diese gesegneten Inseln, wie sie Treibhäuser für Pflanzen sind, auch ebenso günstig auf die Menschen einwirken. Dazu kommt, dass in den grossen Oasen eine verhältnissmässig grosse Sicherheit des Lebens und Eigenthums ist, dass Kriege und Raubzüge dort seltener sind, und Beraubungen und Vexationen durch die marokkanische Regierung dort nicht vorkommen.
Hauptgründe aber der Abnahme der Bevölkerung Marokko's (höchstens kann man sagen, dass diese bleibt wie sie ist) sind vor allem mangelhafte Nahrung. Die Faulheit und Sorglosigkeit der Bewohner ist derart; dass trotz des reichen und jungfräulichen Bodens oft Missernten erzielt werden. Nicht zur rechten Zeit eingetretener Regen, Hagelwetter oder Heuschrecken führen häufig Hungersnoth herbei. Vorräthe anlegen kennt der Marokkaner nicht. Aber selbst bei reichlichen Ernten, in Jahren, wo Marokko Getreide ausführen kann, ist die Nahrung wegen der Einförmigkeit keine die Gesundheit fördernde. Wie schon angeführt worden ist, kommt beim Landbewohner das ganze Jahr keine Fleischkost vor. Unmässigkeit, wenn Nahrung reichlich vorhanden ist, hat dann Krankheit im Gefolge. Das weibliche Geschlecht entkräftet sich durch zu langes Säugen der Kinder. Fortwährende Kriege und Raubzüge fordern Opfer unter den kräftigsten Männern. Die willkürliche Regierung, die dem Volke den letzten Blutstropfen aussaugende mohammedanische Geistlichkeit, endlich die grassirenden Krankheiten, alles dieses sind Ursachen, welche auf die Entwickelung des marokkanischen Volkes hemmend und hindernd einwirken.
4. Die Religion
Will man die Religion eines Volkes richtig beurtheilen und richtig erfassen, so muss man sich ausserhalb einer jeden Religion stellen; ein Christ wird über