Der Löwe von Flandern. Hendrik Conscience

Der Löwe von Flandern - Hendrik Conscience


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immer dazwischen. Vielleicht hat er recht, denn aufgeschoben ist nicht aufgehoben; aber ich kann kaum an mich halten. Morgen kommt die falsche Königin von Navarra nach Brügge: Gott wende meinen Sinn, sonst sieht sie ihr verhaßtes Frankreich nicht wieder.“

      „Meister,“ sprach Machteld, „wollt Ihr mir etwas versprechen?“

      „Ich Euch etwas versprechen, edle Dame? Wie gütig sprecht Ihr doch zu Eurem unwürdigen Diener! Ein Gedanke von Euch soll mir ein heiliges Gebot sein, durchlauchtige Jungfrau!“

      „Gut; ich wünsche, daß Ihr während der Anwesenheit Eurer neuen Fürsten die Ruhe nicht stört.“

      „Es soll geschehen,“ sagte Breydel betrübt, „ich hätte lieber gehört, daß Ihr meinen Arm und mein Messer braucht. Aber was nicht ist, kann noch werden!“

      Dann beugte er nochmals ein Knie vor der jungen Machteld und fuhr fort:

      „Ich bitte, ich beschwöre Euch, edle Tochter des Löwen, vergeßt Euren Diener Breydel nicht, falls Ihr jemals mutiger Männer bedürfet. Die Fleischerzunft wird ihre Goedendags und ihre Messer Euch zu Diensten geschliffen halten.“

      Das Mädchen erschrak nicht wenig über dies blutige Anerbieten; aber der junge Mann gefiel ihr sehr.

      „Meister,“ entgegnete sie, „ich werde meinen Herrn und Vater, wenn ihn mir Gott zurückgibt, von Eurer Treue in Kenntnis setzen; ich kann Euch nur meiner Dankbarkeit versichern.“

      Bei diesen Worten stand der Obmann der Fleischer auf und zog De Coninck am Arm mit sich fort. Nachdem beide das Zimmer und das Nieuwlandsche Haus verlassen hatten, plauderten die Zurückbleibenden noch lange über den unerwarteten Besuch.

      Als die beiden auf der Straße waren, begann De Coninck:

      „Meister Jan, Ihr wißt, der Löwe von Flandern war immer ein Freund des Volkes; deshalb ist es unsre Pflicht, seine Tochter wie ein Heiligtum zu hüten.“

      „Still,“ sprach Breydel, „der erste Franzose, der sie unfreundlich ansieht, soll mit meinem Kreuzmesser Bekanntschaft machen. Aber, Meister Peter, wäre es nicht besser, wenn wir die Tore schlössen und Johanna nicht in die Stadt ließen? Alle Fleischer stehen bereit; die Goedendags stehen hinter der Tür, und auf den ersten Ruf sind die Leliaerts …“

      „Hütet Euch wohl, Gewalttätigkeiten zu begehen,“ unterbrach De Coninck. „Es ist überall Sitte, seinen Landesherrn prunkvoll zu empfangen – das kann also die Gemeinde nicht entehren. Es ist besser, die Kräfte für wichtige Unternehmungen aufzusparen. Das Vaterland wimmelt von französischen Kriegsknechten, und wahrscheinlich würden wir gegen sie den kürzeren ziehen.“

      „Aber, Meister, das dauert schon zu lange. Wir wollen lieber den Knoten mit einem guten Messer durchschneiden, statt ihn so langsam zu lösen. Ihr versteht –!“

      „O ja, aber der Plan ist schlecht. Das beste Messer ist die Vorsicht, Breydel. Es schneidet zwar langsam, aber es wird nie stumpf und bricht auch nicht. – Wozu wollt Ihr denn die Tore schließen? Nichts ist damit gewonnen. Ich will Euch einmal etwas sagen: Laßt das Unwetter sich ruhig verziehen, laßt die Kriegsknechte mählich nach Frankreich zurückkehren, gebt den Französlingen und Leliaerts ein wenig nach, damit ihre Wachsamkeit nachläßt.“

      „Nein,“ warf Breydel ein, „unmöglich. – Schon werden sie herrisch, beginnen zu drohen; sie berauben die Bauern ihrer Freiheit und behandeln uns Bürger wie Sklaven.“

      „Desto besser, Meister Jan, desto besser!“

      „Desto besser! was soll das heißen? Geht, Meister! Habt Ihr den Mantel gedreht, wollt Ihr uns mit Eurer Fuchsesschläue verraten? – Fast scheint es mir, als wenn Ihr mit der Zeit etwas nach Lilien röchet!“

      „Nein, nein, mein Freund Jan! Bedenkt nur wie ich, daß die Befreiung um so schneller naht, je mehr die Erbitterung steigt. Würden sie ihr Tun beschönigen, mit scheinbarer Gerechtigkeit herrschen, dann würde das Volk im Joch entschlummern und das Gebäu unserer Freiheit sänke für immer dahin. Seht, die Tyrannei der Herrscher brütet die Freiheit des Volkes wie eine Henne aus. Sollten sie aber wagen, die Vorrechte unserer Stadt anzutasten, so wäre ich der erste, der Euch zum Widerstand ermunterte – aber auch dann noch nicht zur offenen Gewalt. Es gibt andere Waffen, die sicherer arbeiten.“

      „Meister,“ gestand Jan Breydel zu, „ich verstehe jetzt, Ihr habt immer recht, als ständen Eure Worte auf Pergament. Aber es fällt mir sehr schwer, die kecken Franzosen so lange zu ertragen; lieber noch wäre ich sarazenisch als welsch[22]. Doch Ihr sagt ganz richtig: je mehr ein Frosch sich aufbläst, desto eher platzt er. Ich muß zugeben: im Verstand sind uns die Weber über.“

      „Gut, Meister Breydel, und in Mut und Kühnheit die Fleischer. Gehen beide Tugenden, Vorsicht und Mut, bei uns stets Hand in Hand, dann wird es den Franzosen an Zeit fehlen, uns in Ketten zu schlagen.“

      Der Obmann der Fleischer lachte laut und zufrieden über die Schmeichelei. „Ja,“ meinte er, „in meiner Zunft gibt's tapfere Leute, Meister Peter. Und die Welschen sollen das merken, wenn der bittere Apfel reif ist. Aber da fällt mir ein: wie wollt Ihr die Tochter des Löwen, unseres Herrn, den Augen der Königin entziehen?“

      „Ich werde sie ihr im Sonnenlicht zeigen.“

      „Wie, Meister? Jungfrau Machteld Johanna von Navarra zeigen? Mir scheint, Ihr redet irre! Seid Ihr auf den Kopf gefallen?“

      „Keineswegs! Morgen, beim Einzug der fremden Herrschaften, sollen alle Weber unter Waffen sein; Ihr werdet an der Spitze der Fleischer stehen. Was können die Welschen dann ausrichten? Nichts natürlich. Schön. Dann stelle ich Jungfrau Machteld in die vorderste Reihe, damit Johanna von Navarra sie bestimmt bemerkt. So erfahre ich auch zugleich, was die Königin im Sinne hat, und was wir für Machteld zu befürchten haben.“

      „Recht so, Meister Peter! Ihr habt zu viel Verstand für einen sterblichen Menschen! Ich werde die Tochter des Löwen bewachen und habe nur den einen Wunsch, daß ein Franzose sie beleidigt, denn es juckt mir gewaltig in den Fäusten. Aber heute muß ich noch nach Lijseele gehen und Hornvieh kaufen, so lange werdet Ihr über die junge Gräfin wachen.“

      „Nun seid nur ruhig, Freund Jan, und laßt Euer Blut nicht zu arg kochen. So, da sind wir ja am Weber-Pand.“

      Wie Breydel gesagt hatte, standen dort unzählige Weber vor der Tür. Alle hatten sie Wämser und Mützen genau wie ihr Obmann. Hie und da hatte wohl ein junger Gesell längeres Haar und mehr Verzierungen am Rocke, aber schlimm war das nicht, denn allzu viel Eitelkeit war bei der Zunft nicht gestattet.

      Jan Breydel sprach noch leise ein paar Worte mit De Coninck und verließ ihn dann ganz befriedigt.

      Beim Nähern ihres Obmannes löste sich die Schar der Weber; sie entblößten ehrerbietig das Haupt und folgten ihm in die Herberge.

       Inhaltsverzeichnis

      Die Leliaerts hatten ungewöhnliche Anstalten zum Schmucke der Stadt getroffen; sie hofften sich dadurch die Gunst des neuen Fürsten zu erringen. Alle Zunftgesellen hatten an der Errichtung der Triumphbögen mitgearbeitet; mit Geld war nicht gespart worden; die reichsten Stoffe waren aus den Läden hervorgesucht und an den Giebeln der Häuser aufgehängt worden; auch viele junge Bäume hatte man abgehauen und in den Straßen aufgestellt. Am andern Morgen um zehn Uhr war alles fertig.

      In der Mitte des großen Marktes hatte die Zunft der Zimmerleute ein prachtvolles, mit blauem Sammet überzogenes Schaugerüst errichtet. Darauf standen Sessel mit goldenen Borden und gestickten Kissen und daneben zwei Standbilder, der Friede und die Macht, die Kronen aus Lorbeer- und Ölzweigen über die Häupter Philipps des Schönen und Johannas von Navarra halten sollten. Leichte Behänge schmückten den Thron, und der Markt war rings mit reichen Teppichen belegt. Am Eingang der Steinstraße ragten vier marmorne Fußsäulen; auf jeder stand ein


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