Alexander von Ungern-Sternberg: Historische Romane, Seesagen, Märchen & Biografien. Alexander von Ungern-Sternberg

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Joli wird dich hinbringen; dort wirst du eine andere Gouvernante erhalten, die dir die Tante ausgesucht hat.«

      »Wo bleibt Joli?« fragte die Kleine.

      »Sie geht nach Frankreich zurück, wo sie ihre Verwandten hat,« entgegnete der Vater und strich mit der Hand über das Lockenhaupt des Kindes. Er hielt plötzlich inne und lauschte nach einer Seite hin. »War es nicht, als ginge die Türe an der Kammer der Mutter?« fragte er, sich umsehend.

      »Nein, nein!« entgegnete die Kleine, »hier ist alles still und tot. Es ist wie im Grabe. Seitdem die Mutter böse ist, hört man keinen Laut hier. Zum Essen kommt aber Vetter Ernst; er hat es sagen lassen.«

      »Hat man es der Mutter gemeldet?«

      »Mama Joli ist drin gewesen,« erwiderte das Kind, »sie hat mit dem Kopf genickt, gesagt hat sie nichts.«

      Der Fürst war in Nachdenken versunken. Er sah auf das Antlitz seines Kindes, und ihm die Haare aus dem Gesicht streichend, versenkte er sich tief und forschend in die hellen Augen. »Wirst du auch einmal die Qual und die Marter eines Mannes werden?« flüsterte er. »Ruht auch in dir der giftige Lindwurm, der unsere Tage verzehrt und uns vor der Zeit reif zum Grabe macht? Es wäre besser, du wärest nie geboren! Hier, mit dieser Hand könnte ich dich erwürgen! Dich von der Erde hinwegreißen, giftiges, kleines Unglücksgeschöpf!«

      Seine Augen nahmen den Charakter einer ungezähmten Wildheit an, und das Kind, das sonst nicht furchtsam war, senkte seinen Blick und suchte zwischen den Knien des Vaters zu entschlüpfen. Er hielt sie aber nur fester.

      »Bleib!« rief er drohend, »und höre, was ich dir sage. Du weißt, wo ich gestern abend war, zwischen zehn und elf Uhr?«

      Das Kind neigte das Haupt bejahend.

      »Dein Tod ist's, wenn du es der Mutter wiedererzählst!« sagte der Vater mit leiser und einschüchternder Stimme. »Hörst du – dein Tod!«

      »Ich werde niemand etwas sagen!« versicherte das Mädchen.

      »Darum mußt du fort!« sagte der Zürnende, halb vor sich hin. »Vor Teufeln kann ich mich wehren, aber nicht vor Engeln, die die Rolle der Teufel spielen. Jetzt geh und sieh, ob der Tisch gedeckt ist. Ich komme gleich hinab, sage das der Mutter, und sei freundlich und froh.«

      Die kleine Elisabeth Charlotte, schon jetzt eingeweiht in die geheime Geschichte ihres Hauses, war die Vertraute des Vaters und des Fräuleins Luise von Degenfeld, während sie gegen die Kurfürstin, ihre Mutter, geheimnisvoll und verschlossen blieb. Diese Rolle, die das Kind spielen mußte, drückte ihre Spuren in seinen offenen und freien Charakter. Sie verstand, so jung sie auch war, schon zu heucheln und sich zu verstellen. Dies machte den Kummer und die Sorge der kleinen, unschuldigen Seele aus, die gern die ganze Welt zu Freunden haben wollte. Im Vorzimmer wartete die Joli auf sie, nahm sie auf den Arm und brachte sie ins Ankleidezimmer, wo der schöne, rote Festtagsrock lag, den sie heute anlegte.

      Der Haushalt der Pfalzgrafen und Kurfürsten damaliger Zeit hatte etwas Einfaches, beinahe Bürgerliches. Frühmorgens stand der Herr auf, frühstückte allein, trank dazu eine Kanne Biersuppe, dann ging er auf dem Altan seines Schlosses, wo er seine Vertrauten hinbestellt hatte, auf und ab, und sich der herrlichen Fernsicht erfreuend, an schönen Morgen ungestört und unbelauscht, besprach er mit dem Kanzler Wellenritt die Angelegenheiten seines Hauses und seines kleinen Reiches. Wellenritt war ein ältlicher Mann, dessen Jugend in Kriegslagern dahingegangen war, im Dienste des Böhmenkönigs Karl Ludwig Viktor. Dann ging der Kanzler seinen Geschäften nach, und der Kurfürst begab sich in die untern Räume, wo gewöhnlich einige Herren von der Regierung sich einfanden, die Befehle erhielten und die Landeswünsche vortrugen. Alsdann wollte es die Pflicht, daß der Kurfürst in den Gemächern seiner Gemahlin sich einige Augenblicke aufhielt, von wo dann zur Tafel gegangen wurde. Diese, wenn keine Gäste da waren, wurde in althergebrachter Weise zusammen mit den Kindern, den zwei Edelfräulein der Kurfürstin, und den Ammen und Wärterinnen der Kinder zugebracht. Waren Gäste zugegen, so wurden nur die beiden Fräulein an die Tafel gezogen, die übrige kleine Welt tafelte für sich, doch immer in demselben Zimmer. Den Nachmittag ging der Kurfürst aus und blieb oft bis zum Abend fort, wo dann ein ebenso häuslicher Nachtimbiß die kleine Burggesellschaft versammelte. Gab es feierliche Gelegenheiten zu begehen, so war der Kurfürst durchaus kein Feind von Gelagen und späten Nachtessen. Alsdann erstrahlte die alte, pfalzgräfliche Burg zu Heidelberg im Glanze der Lichter bis spät in die Nacht, und unten die getreuen Städter erfreuten sich am Schall der musikalischen Instrumente, die bis tief zur Morgenröte hineintönten.

      Ein solches Fest wurde gefeiert, als das junge Fräulein von Degenfeld an den Hof kam, um die Stelle einer Dame der Kurfürstin anzutreten. Damals war alles Freude und Glanz. Die Kurfürstin hatte die Mutter des jungen Fräuleins geliebt, sie hatte ihr auf ihrem Totenbette versprechen müssen, für das Mädchen zu sorgen, und als sie nun herangewachsen sich ihr vorstellte, glaubte die Beschützerin in ihr alle Eigenschaften zu entdecken, die wert waren, das Glück zu gründen, das durch den neuen Ankömmling heraufbeschworen war. Luise von Degenfeld war ebenso schön, wie sie sanft und liebenswürdig war. Dem kurfürstlichen Hause war in ihr ein neuer Stern aufgegangen, der seine friedebringenden Strahlen weit über alle Verhältnisse des Hauses warf. Alle Mißhelligkeiten wurden versöhnt, Widerwärtigkeiten geschlichtet, neue freudige Annäherungen geschlossen, bis plötzlich, in einer unglücklichen Stunde der Genius der Zwietracht erwachte und der böse Engel der Eifersucht sich des Herzens der Kurfürstin bemächtigte.

      Die Gelegenheit war auf einem Balle. Schon war Luise drei Jahre Hausgenossin gewesen, und der Kurfürst, seiner Gemahlin treu, hatte ihr nicht die mindeste Annäherung gezeigt. Während die tanzenden Paare im Saale sich bewegten, vermißte man Luisen. Sie wurde gesucht und nicht gefunden. Die Kurfürstin flüsterte ihrem Gemahl zu, daß sie bemerkt habe, wie der Truchseß von Leuberg, der schon lange für das schöne Fräulein brannte, in eines der Nebengemächer mit ihr verschwunden sei. Diese Nachricht schmerzte den Herrn; er hatte bis jetzt den Ruf des Fräuleins für unverletzbar gehalten, und jetzt mußte er vernehmen, daß sie im Einverständnis mit einem Manne sich heimlich von der Gesellschaft entfernt habe. Er beschloß sogleich, sie selbst zu suchen, und fände er sie mit dem Truchseß zusammen, vor aller Welt die Verbindung zu verkündigen; denn er wollte durchaus nichts Heimliches in seinem Hause dulden. Er ging die große Stiege hinab, er durchsuchte die Gemächer, die abseits vom Tanzsaal lagen; er öffnete die Kabinette, die von der höheren Dienerschaft bewohnt wurden, nirgends entdeckte er etwas. Endlich näherte er sich dem Zimmer des Fräuleins. Leise schluchzende Worte drangen an sein Ohr; er glaubte die Stimme des frechen Ehrenräubers zu erkennen. Einem Tritt des Fußes wich die Tür. Was erblickte er? Auf dem Boden hingestreckt, lag eine alte Frau, in elende Lumpen gekleidet, und über sie gebeugt, mit einem Tuche in der Hand, kniete Luise. Beim Eintritt des Herrn sprang sie auf und nahte sich, schüchtern und um Verzeihung bittend, dem finster Forschenden.

      »Wie? Sie hier, mein Fräulein, und in dieser Tracht einer Krankenwärterin?« rief der Kurfürst, angenehm überrascht, seine Vermutung nicht bestätigt zu finden.

      »Gnädiger Herr,« erwiderte das Fräulein, »diese Frau begegnete mir auf der Treppe, als ich im Begriff stand, in den Ballsaal zu gehen. Sie war hinfällig und krank, unfähig, den Gang zu vollenden, den sie sich vorgenommen, und der sie mit einer Bitte zu Euer kurfürstlichen Gnaden führen sollte; was sollte ich tun? Sie ihrem Schicksal im Gewirr überlassen? Ich führte sie mit Hilfe eines Dieners hierher, und hier beschäftige ich mich mit ihrer Pflege.«

      Der Fürst sah die alte Frau genau an und fragte: »Woher bist du?«

      »Aus Hechingen, gnädiger Herr!« erwiderte sie, sich mühsam aufrichtend. »Mein Sohn hat die Ehre, in kurfürstlichen Diensten zu stehen. Man sagte mir, er sei in Ungnade gefallen und sollte aus dem Dienst entlassen werden. Da machte ich mich auf, für ihn Fürbitte einzulegen.«

      Während die Alte sprach, hatte der Kurfürst seinen Blick auf die jungfräuliche Gestalt der helfenden jungen Dame gerichtet. Mochte es nun das Ungewohnte der Situation, mochte es die ungewöhnliche Färbung sein, die ihr Gesicht durch das Niederbeugen rötete, er fand sie schön und sagte ihr dies mit leisem Flüstern, indem er, sich umwendend, bemerkte, daß ein Diener ihm


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