Starmord am Wörthersee. Roland Zingerle
verzog den Mund zu einem nachsichtigen Lächeln. „Das verstehen wir alles, sind aber trotzdem auf der Hut, wenn auch meistens unbegründet, Gott sei Dank. Aber bei einem Brief wie dem, um den es hier geht, traue ich mir eine seriöse Einschätzung nicht zu.“ Er öffnete die Mappe, die auf dem Tischchen vor ihm lag, und entnahm ihr einen transparenten, wiederverschließbaren Gefrierbeutel, den er zu Oberhofer hinschob.
Der Beutel enthielt ein Blatt Papier und ein Kuvert. Die Schrift auf beiden Stücken war, soweit Heinz es sehen konnte, unregelmäßig und krakelig.
Die Stewardess servierte die Getränke. Heinz bekam ein kleines Tablett mit dem Glas, einem Teelöffel und einem Salz- sowie einem Pfeffer-Briefchen. Er öffnete Letztere und leerte ihre Inhalte in den Tomatensaft, der so dickflüssig war, dass die weißen und schwarzen Körnchen nur langsam versanken. Nachdem er den Saft umgerührt hatte, hob er das Glas an seine Lippen – und dabei traf sein Blick jenen von Müller, der ihn starr und forschend, beinahe drohend ansah. Heinz fragte sich, was mit dem Kerl los war.
Oberhofer überflog Brief und Kuvert, gab einen Zischlaut von sich und schüttelte den Kopf. Er wendete den Gefrierbeutel und kontrollierte kurz die Rückseite der Schriftstücke, dann gab er sie an Heinz weiter. „Klingt nach jemandem, der die Gegebenheiten vor Ort kennt“, meinte er zu Mertens. „Ich nehme an, Frau Frenzen ist während ihres Kärnten-Aufenthalts im Seepark Hotel untergebracht?“
„Ja, ist sie. Brief und Kuvert sind übrigens gleich nach dem Öffnen in diesen Beutel gesteckt worden, um etwaige Fingerabdrücke des Absenders zu schützen.“
Während sich der Landesdirektor anerkennend über die Umsicht des Managers äußerte und dieser erklärte, die für die Fanpost zuständige Dame sei für solche Fälle geschult, nahm Heinz den Brief in näheren Augenschein. Das weiße Blatt Papier hatte ein Eselsohr und war an zwei Stellen zerknittert, die Biegefalten verliefen asymmetrisch. Auch die Schrift war unregelmäßig und verzerrt, stellenweise gar nicht lesbar. Kleckse des verwendeten, offensichtlich schmierenden Kugelschreibers verunzierten das Blatt zusätzlich, es wirkte, als hätte der Briefschreiber sein Werk in einem Rauschzustand verrichtet. Vielleicht handelte es sich auch um einen psychisch Kranken unter Tabletteneinfluss; alles in allem keine beruhigenden Aussichten. Der Inhalt passte zur Form:
Wenn du willst das dir nix passiert, bleibst du, wo du bist! Aber machst du dein Maul auf bei der Starnacht bist du dran! Und in der rechten unteren Ecke stand in schräg angeführten Zeilen: Komm noch einmal ins Seepark und ich lösch dir das Licht, du S...!
Heinz konnte sich lebhaft vorstellen, was das letzte, unleserliche Wort bedeuten sollte.
„Wahrscheinlich ist das Ganze nur ein Sturm im Wasserglas“, meinte Frank Mertens nun. „Auf mich wirkt es, als hätte sich ein frustrierter Kritiker Mut angesoffen und den Brief abgeschickt, bevor er wieder nüchtern war. Aber selbstverständlich dürfen wir keinesfalls davon ausgehen.“
„Da gebe ich Ihnen zu einhundert Prozent Recht“, erwiderte Oberhofer.
Heinz versuchte, einen überraschten Blick zu verbergen. Der Landesdirektor wirkte wie ein Speichellecker, das passte so gar nicht zu ihm. „Wann war Frau Frenzen zum letzten Mal im Seepark Hotel?“, fragte Heinz den Manager.
Dieser musterte ihn mit einem anerkennenden Lächeln. „Ich sehe, Sie verstehen. Saskia und ihr Team waren im Vorjahr dort einquartiert, im Rahmen eines Konzerts in der Wörthersee-Arena. Das muss irgendwann im Frühjahr gewesen sein. Wenn Sie es genau wissen wollen, muss ich nachsehen, ich war damals noch nicht ihr Manager.“
Direktor Oberhofer blickte verständnislos zwischen Heinz und Mertens hin und her. „Ich fürchte, mir ist da etwas entgangen.“
„Im Drohbrief steht: Komm noch einmal ins Seepark, das bedeutet, dass sie schon einmal dort gewesen sein muss“, erklärte Heinz, und der Manager fügte hinzu: „Das ist auch der Grund, warum ich den Schrieb durchaus ernst nehme. Der Briefschreiber hat intime Kenntnisse über Saskias Pläne, so konkret werden die üblichen Verrückten selten.“
Heinz sah noch etwas anderes, das er aber für sich behielt. Während der Haupttext eher allgemein gehalten war, war der Hinweis auf das Seepark Hotel in eine Ecke des Briefes gekritzelt worden. Es hatte den Anschein, als hätte der Schreiber dies ursprünglich gar nicht zum Thema machen wollen, es sich dann aber nicht verkneifen können. „Ich nehme an, ich kann den Brief behalten?“, fragte er den Manager.
„Deshalb habe ich ihn mitgebracht.“
„Weiß Frau Frenzen von dem Brief?“, fragte Oberhofer und erntete dafür ein kurzes, abfälliges Lachen seines Gegenübers.
„Selbstverständlich nicht! Wie ich schon sagte, bekommt Saskia jeden Tag Briefe von Fanatikern und Verrückten, sie wäre kaum noch imstande, ihre Arbeit zu erledigen, wenn sie wüsste, was sich hinter ihrem Rücken alles abspielt.“ Mertens warf Oberhofer und Heinz einen forschenden Blick zu, dann klappte er die Mappe zu und meinte: „Wenn das alles war, kann ich ja weiterfliegen. Ich darf doch davon ausgehen, die Fiducia wird dafür sorgen, dass der Drohbriefschreiber nicht zum Zuge kommt, sollte er seine Ankündigung denn ernst meinen?“
Direktor Oberhofer sah Heinz mit einem eigentümlichen Gesichtsausdruck an und antwortete: „Selbstverständlich.“ Er stand auf und verabschiedete sich von Frank Mertens.
Heinz nahm noch einen letzten Schluck Tomatensaft und erhob sich dann ebenfalls, um sich zu verabschieden. Seit klar war, dass er heute doch nicht fliegen würde, schmeckte ihm der Saft plötzlich nicht mehr; ein seltsames Phänomen.
Wenige Minuten später standen er und der Versicherungsmann wieder auf dem Rollfeld und sahen zu, wie der Learjet von der Startbahn abhob und seine blinkenden Lichter am Nachthimmel rasch kleiner wurden. Als sie ausgestiegen waren, hatte Heinz zu seiner Überraschung festgestellt, dass die vermeintliche Stewardess auf dem Pilotensitz Platz genommen hatte, neben einem jungen Mann, mit dem sie eine Checkliste für die Startprozedur durchgegangen war. Einleuchtend – wer bezahlte schon eine Stewardess für zwei Passagiere?
„Frank Mertens ist erst seit Jahresbeginn der Manager von Saskia Frenzen“, begann Oberhofer unvermittelt. „Sein Vorgänger hat gesundheitliche Probleme gehabt, mit dem Herz, glaube ich. Saskia Frenzen arbeitet seit Jahren mit Best Heads zusammen, der größten Künstleragentur Deutschlands. Die haben ihr nicht nur Mertens und seinerzeit schon dessen Vorgänger vermittelt, sondern auch den Großteil ihres Teams, vom Bühnentechniker bis zur Visagistin.“ Als Heinz nichts darauf erwiderte, wechselte der Landesdirektor, ohne seinen Blick vom Himmel zu wenden, das Thema. „Gestern hat mich der Geschäftsführer der Wörthersee-Events angerufen, das ist die Event-Agentur, die die Starnacht organisiert. Als er mich über den Drohbrief informiert hat, sind bei mir alle Alarmglocken angegangen, wie Sie sich vorstellen können.“
Heinz konnte es sich nicht vorstellen, er hatte keine Ahnung, was das alles hier sollte. Er glaubte nicht, dass die Wörthersee-Events bei der Fiducia eine Versicherung gegen Attentate auf die Stars der Starnacht abgeschlossen hatte – und alles Weitere ergab keinen Sinn.
Dass er auch diesmal schwieg, empörte Direktor Oberhofer offensichtlich. „Was ist mit Ihnen?“, fuhr er Heinz an. „Den ganzen Abend über reden Sie keine zwei Wörter! Außerdem, was soll das? Sie kommen unrasiert zu einer Arbeitsbesprechung?“
Heinz sah ihm in die Augen, verzichtete aber auch diesmal darauf, sich zu rechtfertigen; immerhin hatte Oberhofer vorher mit keiner Silbe erwähnt, was ihn bei ihrem nächtlichen Treffen am Flughafen erwarten würde.
„Sind Sie nicht in Form? Soll ich mich nach einem anderen Detektiv umsehen?“
„Was wollen Sie denn von mir hören?“ Heinz musste sich keine Mühe geben, seine Stimme gleichgültig klingen zu lassen.
„Na endlich! Mir fehlt ein bisserle Ihr Enthusiasmus, Sablatnig. Die Aufgabe, die vor Ihnen liegt, ist zwar keine Großtat, aber konzentrieren müssen Sie sich schon.“
„Dann kommen Sie doch endlich auf den Punkt. Was genau ist meine Aufgabe?“
Oberhofer zog die Augenbrauen