Dr. Norden (ab 600) Jubiläumsbox 3 – Arztroman. Patricia Vandenberg
»Dr. Norden tut alles, um mich sanft und vorsichtig vorzubereiten. Aber als Mutter ahnt man, was einem verschwiegen wird. Es ist für mich das Schlimmste, was mir passieren könnte, daß ich ihn überleben könnte.«
»Bitte, sprich nicht so, wir brauchen dich doch auch.«
Ihre Lider senkten sich. »Ich möchte, daß du Fiona herholst, Marius soll sie auch noch kennenlernen.«
Er küßte sie auf beide Wangen. »Ich werde sie zu uns holen, aber du darfst nicht daran denken, daß Marius sterben muß.«
»Ich will ja daran denken, daß er noch lange lebt und glücklich sein wird«, sagte sie bebend.
*
Es folgten ereignisreiche Tage, in denen viel geschah, wovon Pamela nichts erfuhr.
Paul Norman war an den Tegernsee gefahren, um seinen alten Freund Jesco von Bartoli aufzusuchen, der in einem sehr romantischen Haus lebte und an seiner Biographie schrieb. Das tat er jedoch nur sporadisch, wenn er nicht gerade für eine Zeitung oder das Fernsehen arbeitete.
Paul hatte sich natürlich angemeldet, denn Überraschungsbesuche liebte der andere nicht und konnte sehr grantig werden, wenn plötzlich jemand daherkam.
Sie waren gleichaltrig, hatten schon zusammen die Schulbank gedrückt und auch einige Semester zusammen studiert. Sie waren Freunde im besten Sinne des Wortes.
Jescos Freude war ehrlich. Er hatte sich von einer langen Viruserkrankung, die er sich auf einer Ostasienreise geholt hatte, wieder gut erholt. Er war ein interessanter Mann.
Paul hatte lange überlegt, wie er ihm das beibringen könnte, was er nun schon einige Zeit auf dem Herzen hatte, konnte es doch bedeuten, daß sich Jesco von ihm zurückziehen würde, denn einige Tabus durften auch bei einer so guten Freundschaft nicht gebrochen werden.
Er ließ sich Zeit. Sie machten eine deftige Brotzeit mit allem, was dazu gehörte und redeten über manches, was eigentlich nebensächlich war, bis Jesco sich nach Pauls Tochter Raphaela erkundigte.
»Sie ist seit einem halben Jahr bei Campen-Industries beschäftigt, und es gefällt ihr. Sie verdient auch schon ganz anständig und wohnt in München.«
»Was dir natürlich nicht paßt«, meinte Jesco.
»Ich habe mich daran gewöhnt. Aber wie ist es bei dir? Möchtest du nicht doch einmal Kontakt zu deiner Tochter aufnehmen?«
»Was sollte das bringen, Ines würde es verhindern. Sie hat es mir nie verziehen, daß ich sie nicht sofort geheiratet habe, doch gar nicht heiraten konnte, da Vera noch lebte. Von einer kranken Frau kann man sich nicht scheiden lassen.«
»Hättest du sie denn geheiratet?« fragte Paul.
»Damals schon, heute nicht mehr. Ich bin ein Eigenbrötler geworden. Es geht ihr anscheinend nicht schlecht, und Pamela ist inzwischen doch auch erwachsen.«
»Denkst du nicht, daß sie den Wunsch haben könnte, ihren Vater kennenzulernen?«
Jesco zuckte die Schultern. »Ines wird sie schon so erzogen haben, daß sie den Wunsch nicht hat.«
»Und wenn es doch so wäre? Sie ist ein bezauberndes Mädchen geworden, Jesco.«
»Woher weißt du das?«
»Ich habe sie erst kürzlich gesehen. Heinz Höller hat sie mit nach München gebracht.«
»Sie ist in München?« Jesco wurde gleich ganz hektisch. Das hatte Paul nicht erwartet. »Wohnt sie bei dir?«
»Nein. Höller brachte sie zu Dr. Norden. Durch ihn wurde sie in der Behnisch-Klinik untergebracht.«
»Ist sie krank? Herrgott, laß dir doch nicht alles aus der Nase ziehen, Paul.«
»Ich rede mit dem Mund, nicht mit der Nase, mein Lieber, und du könntest dich ruhig in Geduld fassen, nachdem du dich zwanzig Jahre nicht um sie gekümmert hast.«
Jesco schwieg tatsächlich ein paar Sekunden. »Zwanzig Jahre ist sie bereits, wie ist doch die Zeit vergangen, verflogen«, sagte er gedankenverloren. »Ines hat mir gar keine Möglichkeit gegeben, mich um Pamela zu kümmern. Ich habe ihr Geld geschickt, aber sie hatte nicht einen einzigen Gruß für mich.«
»Aber Vera hast du nichts von dem Kind erzählt.«
»Es wäre für sie noch schlimmer gewesen, kein Kind zu haben. Sie war ein lieber Mensch, ich konnte ihr nicht weh tun, nicht noch mehr, als ich es schon durch meine Reisen tat. Ich hätte mich eigentlich nie an eine Frau binden dürfen, weil ich gar nicht fähig war zu einer Ehe. Mir bedeutete meine Freiheit viel zuviel.«
»Aber die konntest du erst finanzieren durch Veras Mitgift«, sagte Paul mit deutlichem Vorwurf.
»Das leugne ich gar nicht, aber ich habe diese Mitgift durch meine Arbeit vervierfacht, ich habe sie nicht vergeudet.«
Es war sympathisch an Jesco, daß er nie beleidigt war, wenn man ihm gewisse Wahrheiten auf den Kopf zusagte. Er widersprach diesen auch nicht, gab nur Erklärungen aus eigener Sicht. Er war ehrlich, und deshalb glaubte Paul ihm auch, daß Pamelas Mutter diejenige gewesen war, die das Kind von ihm fernhalten wollte, wohl um ihn zu bestrafen.
»Jetzt sag schon, was Pamela fehlt, du kannst doch nicht so stur sein wie ihre Mutter, Paul.«
»Sie ist nicht krank, sie hat eine Stellung als Pflegerin angenommen, und sie ist für die Pflege von Marius Campen zuständig.«
»Ich wußte gar nicht, daß er krank ist. Was fehlt ihm?«
»Es scheint etwas Ernstes zu sein. Man wird es nicht an die große Glocke hängen.«
»Ist das Mädchen denn einem solchen Beruf gewachsen?« fragte Jesco besorgt. »Warum habt ihr euch nicht mit mir in Verbindung gesetzt, wenn sie Hilfe brauchte?«
»Höller weiß nicht, daß du ihr Vater bist und ich wußte nicht, wie man es dir beibringen soll. Willst du sie denn kennenlernen?«
»Es fragt sich, ob sie mich kennenlernen will.«
»Höller sagte mir, daß sie nach ihren deutschen Verwandten suchen wolle. Sie wird überrascht sein, einen berühmten Vater zu haben.«
»Ach was, berühmt ist übertrieben, sie soll mich nur akzeptieren.«
Das wünschte er wirklich, Paul staunte. »Ja, dann solltest du dich mal in die Behnisch-Klinik begeben, Jesco.«
»Krank spielen kann ich nicht, das liegt mir nicht. Ich habe Krankenhäuser noch nie gemocht, und Ärzten begegne ich mit Vorbehalt, da sie ewig gebraucht haben, um eine Diagnose bei Vera zu stellen, eine richtige Diagnose, um es genau zu sagen, und da war es schon zu spät, um noch etwas für sie zu tun.«
»Dr. Norden ist ein ausgezeichneter Arzt, und die Behnisch-Klinik hat einen sehr guten Ruf. Insofern kann man Pamela als gut aufgehoben betrachten. Und wie du dort auftreten willst, mußt du selbst wissen. Ich hoffe jedenfalls für beide Teile, daß es ein gutes Ende gibt.«
»Wenn sie sich einem solchen Beruf gewachsen zeigt, muß sie wohl eine sehr menschliche Einstellung haben. Ich hoffe, sie wird tolerant sein«, sagte Jesco. »Wenn sie allerdings Ines ähnlich ist…«
»Das ist sie nicht, sonst hätte sie gar nicht den Wunsch, ihren Vater zu finden, denn Ines hat ihr nie seinen Namen genannt.«
»Wie soll ich das begreifen?« murmelte Jesco.
Paul trat ganz zufrieden die Heimfahrt an. Paul hatte Ines gekannt. Sie hatte sich tief gekränkt gefühlt, weil Jesco sich nicht scheiden ließ, aber sie hätte sich nicht mit ihm einlassen müssen, da sie wußte, daß er verheiratet war. Sie hatte gemeint, daß sie die Siegerin bleiben würde, überzeugt von ihrer Schönheit, und auf diesen Mann fixiert, der für sie der Traummann gewesen war.
Und sie war auch überzeugt gewesen, daß er bei ihr bleiben würde, wenn sie ein Kind zur Welt brachte, ja, sie hatte es darauf angelegt, das hatte Paul bestätigt gefunden,