Dr. Brinkmeier Staffel 1 – Arztroman. Sissi Merz
sparen können, Sepp. Oder bin ich vielleicht doch krank?«
»Das Ergebnis ist negativ«, erwiderte der Landarzt mit müder Stimme. »Und wennst in Zukunft wieder einen Vorwand brauchst, um die Stadlerin zu besuchen, kommst bitt schön net zu mir. Ich hab genug mit den echten Kranken zu tun.«
Alois stutzte. »Was bist denn so grantig? So kenn ich dich gar net. Ich glaub, du brauchst mal einen Urlaub, Sepp. Schaust aus, als wärst restlos überarbeitet.«
Der Landarzt sagte dazu nichts, bat Christel Brenner über die Gegensprechanlage nur, den nächsten Patienten zu ihm zu schicken. Alois Burgmüller war beleidigt, denn eine solche Behandlung war er nicht gewöhnt. »Ich geh dann«, murrte er.
Kaum hatte der Bürgermeister sich umgedreht, da hörte er in seinem Rücken ein dumpfes Ächzen und ein Geräusch, als sei einer umgefallen. Er zuckte leicht zusammen und wandte sich wieder dem Landarzt zu. Tatsächlich lag Josef Brinkmeier über der Platte des Schreibtischs und schien das Bewußtsein verloren zu haben. Alois starrte einen Moment erschrocken auf das sich ihm bietende Bild. Er wußte nicht, was er machen sollte. Im nächsten Augenblick öffnete sich die Tür, Christel brachte den nächsten Patienten. Sie schien bereits mit etwas Ähnlichem gerechnet zu haben, denn sie erschrak nicht, sondern schickte den Förster Bichler wieder hinaus, während sie den Bürgermeister bat, die Rettung anzurufen. Sie selbst lockerte dem Doktor den Kragen und brachte ihn in eine entlastende Lage.
»Was ist bloß los mit dem Sepp? Ist er denn krank?« fragte Alois Burgmüller erschüttert. Das eben Erlebte ging ihm nach. Sogar seine Finger zitterten, als er die Nummer des Notarztes wählte. Christel flößte ihrem Chef einige seiner Tropfen ein und erklärte dabei: »Sein Herz macht nimmer so mit wie es soll. Aber er will net kürzertreten. Und jetzt haben wir den Salat...«
»Er ist halt nimmer der Jüngste. Der Notzarzt kommt. Sag, Christel, hat er sich denn noch keine Gedanken über einen Nachfolger gemacht? Ich wußte ja nicht, daß er nimmer auf der Höhe ist. Den Eindruck hat er net vermittelt.«
»Davon hat keiner gewußt außer seiner Hauserin und mir. Kennst doch den Brinkmeier mit seinem Dickschädel. Weil der Max seine Praxis nicht hat übernehmen wollen, lieber nach Afrika gegangen ist, will er jetzt solange weitermachen, bis er tot umfällt. Ich weiß, das klingt hart, aber es ist leider so. Ich hab schon alles versucht, um ihn zur Vernunft zu bringen, aber es hat nix genützt.« Sie schüttelte bekümmert den Kopf. »Wenn er nur wieder gesund wird. Sein Leben lang hat er nur geschafft für andere. Er hat es net verdient, daß jetzt schon Schluß sein soll.«
Der Bürgermeister machte ein betroffenes Gesicht. »Gewiß wird er es schaffen. Sollen wir ins Spital fahren, wenn der Notarzt ihn mitnimmt? Im Moment ist ja sonst keiner greifbar.«
Christel nickte abwesend. »Ja, wir müssen uns kümmern...«
Kaum eine Viertelstunde später lag Josef Brinkmeier im Krankenwagen und wurde zum Spital nach Berchtesgaden gebracht, mit Verdacht auf Herzinfarkt. Christel Brenner hatte die Patienten heimgeschickt, die dringenden Fälle an Dr. Haselbeck im Nachbarort Schlehbusch verwiesen und dann die Praxis abgeschlossen. Bevor sie zusammen mit dem Burgmüller in die Stadt fuhr, sagte sie noch Afra Bescheid, die aus allen Wolken fiel. Sie weinte sogar ein wenig, die herbe Afra, und murmelte bedrückt: »Ich will ein Gebet für den Doktor sprechen, damit er wieder gesund wird...«
»Und sag dem Lukas, was geschehen ist. Vielleicht will er seinen Vater im Spital besuchen«, bat Christel noch. Afra versprach es. Auf der Fahrt nach Berchtesgaden schwieg Christel, während der Burgmüller die ganze Zeit redete. Er machte sich echte Sorgen um den Doktor, der in Wildenberg so etwas wie eine Institution war. »Was meinst, soll werden, wenn der Sepp nimmer kann?« fragte er schließlich nachdenklich. »Ich mein, es wäre doch möglich, daß er sich schonen muß nach dieser Geschichte.«
»Ich weiß auch net. Der Doktor hat sich ja nicht um einen Nachfolger bemüht. Eine Vertretung werden wir brauchen. Und hernach... Ja mei, halt schauen, wer die Praxis übernehmen will. Ach, Alois, ich mag gar net darüber nachdenken. Freilich hab ich gewußt, daß es dem Doktor nimmer so gut geht. Aber jetzt, wo er ins Spital muß, wo vielleicht das Schlimmste geschieht, da preßt mir der Gedanke doch das Herzblut ab.«
»Das darfst dir net vorstellen. Es wird schon wieder werden. Und wir überlegen dann zusammen mit dem Sepp, wie es weitergehen kann«, meinte der Burgmüller beruhigend.
Im Spital angekommen, mußten die beiden erst einmal lange warten. In der Zwischenzeit erschien auch Lukas Brinkmeier und wollte wissen, wie es seinem Vater gehe.
»Wir haben noch nix erfahren, Lukas. Es kam ja so plötzlich. Er ist in der Sprechstunden einfach zusammengefallen, ohne Vorwarnung«, berichtete Christel Brenner.
Der Bauer nickte knapp, seine Miene verfinsterte sich, und er knurrte: »Daran ist nur der Max schuld. Wenn dem Vater was passiert, hat er ihn auf dem Gewissen.«
Der Bürgermeister schüttelte leicht den Kopf. »Geh, Lukas, das ist aber ein Schmarrn. Dein Bruder kann doch nix dazu, wenn der Sepp zuviel arbeitet. Wir haben ja alle net gewußt, daß er es am Herz hat. Das kannst dem Max net vorwerfen.«
»Und ob! Er ist einfach weggegangen, hat sich net darum geschert, was der Vater von ihm erwartet hat. Das Herz hat er dem Alten gebrochen, kenn ihn doch. Der Max war ihm eh immer der Liebste. Da konnt ich tun, was ich wollte...«
Die Tür zur Notaufnahme öffnete sich in diesem Moment und ein junger Arzt erschien. Er sprach Alois an. »Wir können Entwarnung geben. Der Patient hat keinen Myokardinfarkt erlitten, wie zunächst angenommen. Es war sozusagen ein Warnschuß, wenn auch ein deutlicher. Er muß schon öfter leichtere Herzanfälle gehabt haben. Wissen Sie darüber Bescheid? Die Medikamente, die er sich selbst verordnet hat, deuten auch in diese Richtung.«
An Alois’ Stelle antwortete Christel Brenner: »Keiner hat was Genaues gewußt. Der Doktor hat ja so getan, als wäre es nicht schlimm, als hätte er alles im Griff. Aber in letzter Zeit hat er seine Arbeit kaum noch erledigen können, es ist ihm einfach alles zu viel geworden.«
»Kein Wunder. Sein Herz braucht dringend Schonung. Er hat sich zu lange selbst überfordert. Und er hatte großes Glück, daß Sie so umsichtig gehandelt haben. Sein Zustand ist jetzt stabil.«
»Dürfen wir denn zu ihm? Ich bin sein Sohn«, meldete Lukas sich da zu Wort.
»Heute bitte keinen Besuch mehr, er braucht absolute Ruhe. In den nächsten Tagen können Sie nach dem Patienten sehen.«
»Ich sprech’s net gern an, aber wir müssen doch wissen, wie es nun weitergeht«, ließ Alois anklingen. »Der Doktor Brinkmeier ist unser Landarzt, er hat viele Patienten bei uns im Tal. Können Sie uns denn sagen, ob es wieder wird mit ihm?«
Der Spitalsarzt machte eine sehr skeptische Miene. »Nun, in den nächsten Wochen darf er nicht arbeiten. Sein Herz muß sich erholen. Wir werden ihn hier behandeln und dann in eine Reha schicken. Danach, je nachdem wie er sich erholt, ist eine leichte Tätigkeit durchaus noch möglich. Aber allein eine Praxis zu führen, das wird nicht mehr gehen. Da müssen Sie sich nach einem Nachfolger umschauen.«
»Ich hab’s doch geahnt«, murmelte Christel, als sie zu dritt das Spital verließen. »Der arme Doktor. Es wird ihn hart ankommen, wenn er jetzt mehr oder weniger in Pension gehen muß.«
»Ich werde mit dem Haselbeck reden, der kann fürs erste übernehmen«, meinte Alois. »Das wird in Sepp seinem Sinn sein. Aber ewig geht das gewiß net. Und was hernach werden soll, weiß ich auch net.«
»Ihr müßt mit dem Vater reden. Solche Entscheidungen könnt ihr net einfach über seinen Kopf hinweg treffen«, mahnte Lukas vorwurfsvoll. »Schließlich ist es seine Praxis, da hat er doch noch ein Wörterl mitzureden.«
»Keiner will was ohne den Sepp entscheiden«, stellte der Burgmüller richtig. »Wir müssen jetzt nur schauen, daß wir net ganz ohne Doktor da stehen. Mei oh mei, wer hat aber auch mit so was rechnen können...«
*
Josef Brinkmeier lag blaß und griesgrämig im Krankenbett, als Lukas ihn am nächsten Tag besuchte. Er wollte nichts