Mami Staffel 6 – Familienroman. Claudia Torwegge

Mami Staffel 6 – Familienroman - Claudia Torwegge


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Sie griff nach ihrem Glas, trank aber nicht. »Ich konnte mir jahrelang nicht vorstellen, daß ich mal ohne deinen Vater sein könnte. Wir waren sehr, sehr glücklich miteinander. Aber dann haben sich unsere Gefühle gewandelt. Das kommt vor, Dennis. Und wenn es soweit ist, sollte man ehrlich zueinander sein.«

      »Papa war nicht ehrlich zu dir?«

      »Nein.« Nathalie seufzte. »Und das konnte ich ihm nicht verzeihen.«

      Dennis schwieg einen Moment, dann hob er den Kopf und sah Nathalie eindringlich an.

      »Er wird nicht mehr zu uns zurückkommen, nicht wahr?« Als Nathalie nickte, fuhr er fort. »Und Clemens? Liebst du ihn?«

      Für eine Sekunde bereute Nathalie ihren Entschluß, ehrlich zu sein. Kinder konnten ganz schön hartnäckig sein.

      »Ja, ich glaube, daß ich ihn liebe«, entschloß sie sich dann, bei der Wahrheit zu bleiben. »Aber frage mich bitte nicht nach der Zukunft. Ich kann dir im Moment noch keine Antwort darauf geben.« Sie seufzte. »Ich muß erst einmal die eine Sache richtig beenden, bevor ich an einen Neuanfang denke.«

      Dennis lächelte. Er beugte sich vor, seine Finger strichen sanft über Nathalies Wange.

      »Wie immer diese Entscheidung aussehen mag, wir stehen zu dir«, raunte er zärtlich, und plötzlich war er nicht mehr der kleine Junge, sondern ein Mann, der sehr genau wußte, was er wollte. »Ich hab’ dich lieb, Mutti.«

      Sie schmiegte ihr Gesicht in seine Hand. Ein warmes Gefühl tiefer Zärtlichkeit erfüllte Nathalie, während sie einfach nur dasaß und den Worten ihres Sohnes lauschte.

      Sie hatte tolle Kinder. Kinder, auf die sie stolz sein konnte, die sie von Herzen liebte und die ihre Liebe mit derselben Intensität erwiderten.

      Das Leben war schön.

      *

      Die Ankündigung des Klassenlehrers, daß die beiden letzten Stunden wegen Krankheit des Chemielehrers ausfielen, löste bei den Schülern laute Begeisterung aus. Herr Jähne hatte gerade noch Zeit, der Bande zu sagen, daß sie morgen alle an ihr Referat denken sollten, dann stürmte die Mannschaft wie eine Herde aufgescheuchter Wildbüffel aus dem Klassenzimmer.

      Kopfschüttelnd sah er den Davoneilenden nach, dann ergriff er seine Aktentasche und begab sich auf den Weg ins Lehrerzimmer, während sich seine »Kids« zusammen mit anderen Schülern aus dem Schulgebäude drängelten.

      »He, warte mal!« Maggy bekam Sandra am Ärmel ihres Sweatshirts zu fassen und zwang sie stehenzubleiben. »Wie ist das denn jetzt mit Mike? Er braucht endlich ein paar Fotos von dir, damit er dich casten kann.«

      Sandra hob ratlos die Schultern. Irgendwie scheute sie sich plötzlich davor, zu diesem Fotografen zu gehen. Klar, sie war nach wie vor wild darauf, Karriere als Fotomodell zu machen, aber die Begeisterung, die sie beim ersten Treffen mit diesem Agenten empfunden hatte, war einem leisen Mißtrauen gewichen.

      »Hey!« rief Maggy sie in die Gegenwart zurück. »Heute wäre genau der richtige Tag dafür. Wir könnten die beiden Freistunden nutzen, um diese Fotos zu machen.«

      Sandy tippte an ihre Brille, die sie seit einigen Wochen trug.

      »Ich weiß nicht…«

      »Die setzt du ab«, entschied Maggy resolut. »Das ist gar keine Sache. Los, komm, wir ziehen das jetzt durch.«

      Sandra wollte noch etwas sagen, aber Maggy ließ ihr keine Zeit mehr dazu. Sie packte Sandy einfach am Ärmel ihres Shirts und zerrte sie hinter sich her, aus dem Schulgebäude und die Straße hinunter, bis zur nächsten Haltestelle.

      Bevor Sandra richtig wußte, wie ihr geschah, saß sie im Bus nach Wiesbaden-Dotzheim.

      *

      Das Haus war eine Enttäuschung. Angewidert betrachtete Sandra die häßliche Backsteinfassade, aus deren Ritzen der Mörtel herausrieselte. Die Fenster wirkten wie hohle Augen darin, und die windschiefe Haustür sah aus, als wäre sie schon seit langem nicht mehr geöffnet worden.

      Maggy schien das nicht zu stören. Sie schob Sandra einfach in den düsteren Flur, der von der trüben Funzel, die gleich darauf aufflammte, auch nicht wesentlich erhellt wurde.

      Schaudernd folgte Sandy der Freundin durch den Gang. Auf der anderen Seite öffnete sich eine hastig zusammengeangelte Tür auf einen schmucklosen, gepflasterten Hof, dem sich weitere Nebenbauten anschlossen.

      In einem davon befand sich die Casting-Agentur Lambsdorf. Saurer Geruch schlug den Mädchen entgegen, als sie den Hausflur betraten. Maggy klingelte an einer häßlichen braunen Tür, und dann fand sich Sandy in einem hellen, nüchtern eingerichteten Raum wieder.

      Die Möbel wirkten billig. Ebenso die junge Frau, die sie mißtrauisch musterte. Alles Plagiate berühmter Designer, aber von so minderer Qualität, daß sie eher lächerlich als dekorativ wirkten – die Möbel und die Frau im schlechtsitzenden Modelmini, die hier anscheinend die Empfangsdame spielte.

      »Ist Mike da?« fragte Maggy und warf ihren Rucksack achtlos auf die durchgesessene Couch. Ohne sich weiter um die junge Frau im schrillen Mini zu kümmern, trat sie an den Kühlschrank und entnahm ihm zwei Coladosen. »Hier!« Sie steckte Sandra einfach eine davon zwischen die Finger. »Na, ist er nun da oder nicht?«

      »Ja«, murrte die junge Minifrau unfreundlich. »Er ist im Atelier.«

      »Komm.« Maggy schnappte Sandra erneut am Ärmel und zog sie hinter sich her, einen Flur entlang, in dem allerlei Gerümpel herumstand.

      Das Atelier war kleiner als der »Empfangsraum«. Bei dem Eintritt der Mädchen trat Mike höchstpersönlich hinter einem Vorhang hervor und kam mit ausgebreiteten Armen auf die beiden zu.

      »Na, hast du dich endlich entschlossen, ein Star zu werden?« begrüßte er Sandra. Der Spott in seinen Augen verunsicherte sie. »Gut, dann laß uns gleich anfangen. Stell dich da vor die Leinwand.«

      »Aber…« Sandra sah sich verwirrt um. Mußte sie sich nicht erst umziehen, schminken?

      »Nun mach schon«, forderte Mike ungeduldig, bevor Sandra ihre Frage formulieren konnte. »Ich bin echt im Streß. Los, wir schießen ein paar Bilder und dann müßt ihr gehen.«

      Seufzend gehorchte Sandra.

      *

      Der Brief kam per Einschreiben. Nathalie drehte ihn eine ganze Weile unschlüssig zwischen ihren Fingern, ehe sie sich dazu entschließen konnte, ihn zu öffnen.

      Im Grunde wußte sie ja schon, was er beinhaltete: Die Vorladung zum Scheidungsprozeß.

      Es würde keine große Sache werden, hatte ihr Dr. Hoffmann schon vor ein paar Tagen versichert. Jetzt, nachdem Werner sich doch mit den ursprünglichen Vereinbarungen einverstanden zeigte, war die ganze Angelegenheit eigentlich nur noch eine Formalität.

      Trotzdem verspürte Nathalie eine gewisse Trauer, als sie den Vorladungsbescheid nun schwarz auf weiß vor sich sah. Hätte sie vielleicht doch nicht so schnell aufgeben und um ihre Ehe kämpfen sollen?

      Aber was gab es noch zu kämpfen, wenn der Partner es gar nicht erwarten kann, endlich die Vergangenheit und alles, was damit zusammenhing, abzustreifen? Zuletzt hatte es Werner so eilig gehabt, endlich für seine Marlies frei zu sein, daß er den leidigen Streit um das Haus und die Unterhaltszahlungen einfach einstellte und die Forderungen von Nathalies Anwalt akzeptierte.

      Hauptsache, er könne seine Verlobte bald zu seiner rechtmäßigen Ehefrau machen, hatte er Dr. Hoffmann wissen lassen und alles klaglos unterschrieben.

      Und jetzt, das heißt, in zwei Wochen, war es also soweit. Er würde als freier Mann den Gerichtssaal verlassen und wahrscheinlich gleich von Marlies vors Standesamt geschleppt werden.

      Die Kinder reagierten unterschiedlich auf die Nachricht. Steffi fragte, ob ihr Papi dann nicht mehr ihr Papi sei. Dennis versuchte, seine Bestürzung hinter einem flapsigen ›Soll er bleiben, wo der Pfeffer wächst‹ zu verstecken und Sandra, die ihren Vater abgöttisch liebte


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