Gesammelte Werke von Gustave Flaubert. Гюстав Флобер

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Dankwort zu erhaschen. Aber du! Du bleibst gemütlich in deinem Lehnstuhl sitzen, als ob du mir nicht schon genug Leid zugefügt hättest! Ohne dich – das weißt du sehr wohl! – hätte ich glücklich sein können! Wer zwang dich dazu? Wolltest du eine Wette gewinnen? Und dabei hast du mir eben noch gesagt, daß du mich liebtest! Ach, hättest du mich doch lieber davongejagt! Meine Hände sind noch warm von deinen Küssen, und hier auf dem Teppich, hier auf dieser Stelle hast du gekniet und mir ewige Liebe geschworen! Du hast mich immer belogen und betrogen! Mich zwei Jahre lang in dem süßen Wahn des herrlichsten Gefühls gelassen! Und dann der Plan unsrer Flucht! Erinnerst du dich daran? An deinen Brief, deinen Brief! Er hat mir das Herz zerrissen! Und heute, wo ich zu diesem Manne zurückkehre, zu ihm, der reich, glücklich und frei ist, und ihn um eine Hilfe bitte, die der erste beste gewähren würde, wo ich ihn unter Tränen bitte und ihm meine ganze Liebe wiederbringe, da stößt er mich zurück, – weils ihn dreitausend Franken kosten könnte!«

      »Ich habe sie nicht«, wiederholte Rudolf mit der Gelassenheit, hinter die sich zornige Naturen wie hinter einen Schild zu bergen pflegen.

      Sie ging.

      Die Wände schwankten, die Decke drohte sie zu erdrücken. Wieder nahm sie ihren Weg durch den langen Lindengang, über Haufen welken Laubs, das der Wind aufwühlte. Endlich stand sie vor dem Gittertor. Sie zerbrach sich die Nägel an seinem Schloß, so hastig wollte sie es öffnen. Hundert Schritte weiter blieb sie völlig außer Atem stehn und konnte sich kaum noch aufrecht halten. Wie sie sich umwandte, sah sie noch einmal auf das still daliegende Herrenhaus mit seinen langen Fensterreihen, auf den Park, die Höfe und die Gärten.

      Wie in einer Betäubung stand sie da. Sie empfand kaum noch etwas andres als das Pochen und Pulsen des Blutes in ihren Adern, das ihr aus dem Körper zu springen und wie laute Musik das ganze Land rings um sie zu durchrauschen schien. Der Boden unter ihren Füßen kam ihr weicher vor als Wasser, und die Furchen der Felder am Wege erschienen ihr wie lange braune Wellen, die auf und nieder wogten. Alles, was ihr im Kopfe lebte, alle Erinnerungen und Gedanken sprangen auf einmal heraus, mit tausend Funken wie ein Feuerwerk. Sie sah ihren Vater vor sich, dann das Kontor des Wucherers, ihr Zimmer zu Haus, dann irgendeine Landschaft, immer wieder etwas andres. Das war heller Wahnsinn! Ihr ward bange. Da raffte sie ihre letzten Kräfte zusammen. Es war nur noch wenig Verstand in ihr, denn sie erinnerte sich nicht mehr an die Ursache ihres schrecklichen Zustandes, das heißt an die Geldfrage. Sie litt einzig an ihrer Liebe, und sie fühlte, wie ihr durch die alten Erinnerungen die Seele dahinschwand, so wie zu Tode Verwundete ihr Leben mit dem Blute ihrer Wunde hinströmen fühlen.

      Die Nacht brach herein. Raben flogen.

      Es schien ihr plötzlich, als sausten feurige Kugeln durch die Luft. Sie kreisten und kreisten, um schließlich im Schnee zwischen den kahlen Ästen der Bäume zu zergehen. In jeder erschien Rudolfs Gesicht. Sie wurden immer zahlreicher; sie kamen immer näher; sie bedrohten sie. Da, plötzlich waren sie alle verschwunden … Jetzt erkannte sie die Lichter der Häuser, die von ferne durch den Nebel schimmerten.

      Nun ward sie sich auch wieder ihrer Not bewußt, ihres tiefen Elends. Ihr klopfendes Herz schien ihr die Brust zersprengen zu wollen … Aber mit einem Male füllte sich ihre Seele mit einem beinahe freudigen Heldenmut, und so schnell sie konnte, lief sie den Abhang hinunter, überschritt die Planke über dem Bach, eilte durch die Allee, an den Hallen vorbei, bis sie vor der Apotheke stand.

      Es war niemand im Laden. Sie wollte eintreten, aber das Geräusch der Klingel hätte sie verraten können. Deshalb ging sie durch die Haustüre; kaum atmend, tastete sie an der Wand der Hausflur hin bis zur Küchentüre. Drinnen brannte eine Kerze über dem Herd. Justin, in Hemdsärmeln, trug gerade eine Schüssel durch die andere Tür hinaus.

      »So! Man ist bei Tisch. Ich will warten«, sagte sie sich.

      Als er zurückkam, klopfte sie gegen die Scheibe der Küchentüre.

      Er kam heraus.

      »Den Schlüssel! Den von oben, wo die….«

      Er sah sie an und erschrak über ihr blasses Gesicht, das sich vom Dunkel der Nacht grell abhob. Sie kam ihm überirdisch schön vor und hoheitsvoll wie eine Fee. Ohne zu begreifen, was sie wollte, ahnte er doch etwas Schreckliches.

      Sie begann wieder, hastig, aber mit sanfter Stimme, die ihm das Herz rührte:

      »Ich will ihn haben! Gib ihn mir!«

      Durch die dünne Wand hörte man das Klappern der Gabeln auf den Tellern im Eßzimmer.

      Sie gebrauche etwas, um die Ratten zu töten, die sie nicht schlafen ließen.

      »Ich müßte den Herrn Apotheker rufen.«

      »Nein! Nicht!« Und in gleichgültigem Tone setzte sie hinzu: »Das ist nicht nötig. Ich werd es ihm nachher selber sagen. Leucht mir nur!« Sie trat in den Gang, von dem aus man in das Laboratorium gelangte. An der Wand hing ein Schlüssel mit einem Schildchen: »Kapernaum.«

      »Justin!« rief drinnen der Apotheker, dem der Lehrling zu lange wegblieb.

      »Gehn wir hinauf!« befahl Emma.

      Er folgte ihr.

      Der Schlüssel drehte sich im Schloß. Sie stürzte nach links, griff nach dem dritten Wandbrett – ihr Gedächtnis führte sie richtig – , hob den Deckel der blauen Glasbüchse, faßte mit der Hand hinein und zog die Faust voll weißen Pulvers heraus, das sie sich schnell in den Mund schüttete.

      »Halten Sie ein!« schrie Justin, ihr in die Arme fallend.

      »Still! Man könnte kommen!«

      Er war verzweifelt und wollte um Hilfe rufen.

      »Sag nichts davon! Man könnte deinen Herrn zur Verantwortung ziehen!«

      Dann ging sie hinaus, plötzlich voller Frieden, im seligen Gefühle, eine Pflicht erfüllt zu haben.

      Neuntes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Emma hatte eben das Haus verlassen, als Karl heimkam. Die Nachricht von der Pfändung traf ihn wie ein Keulenschlag. Dazu seine Frau fort! Er schrie, weinte und fiel in Ohnmacht. Was nützte das? Wo konnte sie nur sein? Er schickte Felicie zu Homais, zu Tüvache, zu Lheureux, nach dem Goldenen Löwen, überallhin. Und mitten in seiner Angst um Emma quälte ihn der Gedanke, daß sein guter Ruf vernichtet, ihr gemeinsames Vermögen verloren und die Zukunft Bertas zerstört sei. Und warum? Keine Erklärung! Er wartete bis sechs Uhr abends. Endlich hielt ers nicht mehr aus; und da er vermutete, sie sei nach Rouen gefahren, ging er ihr auf der Landstraße eine halbe Wegstunde weit entgegen. Niemand kam. Er wartete noch eine Weile und kehrte dann zurück.

      Sie war zu Haus.

      »Was ist das für eine Geschichte? Wie ist das gekommen? Erklär es mir!«

      Sie saß an ihrem Schreibtisch und beendete gerade einen Brief, den sie langsam versiegelte, nachdem sie Tag und Stunde darunter gesetzt hatte. Dann sagte sie in feierlichem Tone:

      »Du wirst ihn morgen lesen! Bis dahin bitte ich dich, keine einzige Frage an mich zu richten! Keine, bitte!«

      »Aber….«

      »Ach, laß mich!«

      Sie legte sich lang auf ihr Bett.

      Ein bitterer Geschmack im Munde weckte sie auf. Sie sah Karl … verschwommen … und schloß die Augen wieder.

      Sie beobachtete sich aufmerksam, um Schmerzen festzustellen. Nein, sie fühlte noch keine! Sie hörte den Pendelschlag der Uhr, das Knistern des Feuers und Karls Atemzüge, der neben ihrem Bett stand.

      »Ach, der Tod ist gar nichts Schlimmes!« dachte sie. »Ich werde einschlafen, und dann ist alles vorüber!«

      Sie trank einen Schluck Wasser und drehte sich der Wand zu.

      Der abscheuliche Tintengeschmack war immer


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