Der Landdoktor Staffel 2 – Arztroman. Christine von Bergen
»Das ist ja ein Ding«, staunte Ulrike. »Wo mögen sie sich kennengelernt haben?«
Er seufzte. »Ich befürchte, in Daniels Sportgeschäft.«
»Nicole soll doch wegen ihrer Füße zurzeit keinen Sport machen«, erwiderte Ulrike besorgt.
»Eben darum.«
Sie lachte. »Wie es aussieht, schont sie ihre Füße ja, indem sie sich von Daniel spazieren fahren lässt.«
»Stimmt.« Matthias musste auch lachen. »Man könnte sogar sagen, dass Daniel in diesem Fall der besserer Arzt sein könnte als ich. Er tut auch zusätzlich noch etwas für Nicoles kranke Seele.«
»Wie sagst du immer so schön?« Ulrike gab ihm einen Kuss auf die Wange.
»Liebe ist die beste Medizin«, gab er die Antwort, die sie erwartete.
»Nicole macht auf mich gar nicht den Eindruck, als würde sie einen Urlaubsflirt beginnen«, murmelte die Arztfrau kurze Zeit später in nachdenklichem Ton.
»Vielleicht ist es ja mehr zwischen den beiden.«
»Kannst du dir vorstellen, dass sie ihre Tanzkarriere aufgibt?« Deutliche Skepsis klang aus ihrer Stimme heraus.
»Wenn Nicole die Sprache ihres Körpers richtig deuten würde, müsste sie es. Und wenn ihr dann auch noch die große Liebe über den Weg läuft …« Matthias warf seiner Frau ein zärtliches Lächeln zu.
»Ich würde es Nicole von Herzen gönnen.«
»Und Daniel Geißle auch«, stimmte Matthias ihr zu. »Er ist ein feiner Kerl.«
»Obwohl …?« Ulrike sah ihn mit gefalteter Stirn von der Seite an.
»Was obwohl?«
»Na ja, die Sache mit Katja. Weißt du noch?«
»Entschuldige bitte, aber die ist doch schon lange her. Da waren die beiden fast noch Kinder.«
»Für Katja ist sie noch nicht vorbei, wie ich kürzlich beim Friseur hörte.«
*
Nachdem Daniel sie nach Hause gebracht hatte, blieb er noch ganz selbstverständlich bei Nicole. Die beiden saßen vor dem kleinen Schwarzwaldhaus und beobachteten, wie sich der Abend über das Ruhweiler Tal legte.
Die Sonne war mittlerweile untergegangen. In einigen hundert Metern Entfernung begann der Wald, den die beiden nur noch als schwarzen Schatten wahrnahmen. Der Himmel im Westen war in ein dunkles Rosa getaucht und versprach für den nächsten Tag wieder schönes Wetter.
Hand in Hand saßen die Verliebten da, dämpften ihre Stimmen, wenn sie sich unterhielten, um nicht den Frieden, die Harmonie, die sie umgab, zu stören. Lange Zeit schwiegen sie immer wieder und ließen ihre Körper nur miteinander sprechen. Ihre Finger verschlangen sich ineinander, ihre Lippen küssten sich, mal zärtlich, mal voller Leidenschaft. Sie schmiegten die Wangen aneinander, hielten sich fest. Nicole genoss die Kraft, die Energie, die von Daniel ausging, und fühlte sich so geborgen wie nie zuvor in ihrem jungen Leben. Hier gehörte sie hin, hier in Daniels Arme, an diese breite Brust, die sie wie einen Schutzwall gegen die Welt dort draußen, außerhalb dieses Wiesengrundes, empfand. Die Welt, in der sie bisher nur hatte kämpfen müssen. Zwar erfolgreich, aber dennoch war ihr Leben ein einziger Kampf um beruflichen Erfolg, gegen Konkurrentinnen und gegen sich selbst gewesen.
Daniel weckte sie aus ihrer Gedankenwelt auf, indem er sich sacht von ihr löste. Mit verlegenem Lächeln sagte er: »Du, ich habe Hunger.«
Er klang so, als hätte er deswegen ein schlechtes Gewissen.
Sie lachte herzerfrischend. »Ich glaube, das ist ganz normal. Leider bin ich diejenige, die in dieser Hinsicht verkorkst ist.« Sie lächelte ihn verschmitzt an. »Aber soll ich dir etwas verraten? Ich auch.«
Da leuchtete sein Gesicht auf. »Hast du Eier im Haus?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Was isst du denn normalerweise so?«
»Obst, Gemüse, Vitamine.«
»Gemüse? Hast du Gemüse da?«
Sie nickte.
»Das ist doch schon mal was. Ich mache uns Gemüse mit Schwarzwälder Schinken aus dem Picknickkorb. Das Ganze überbacken wir dann mit dem Rest Käse. Und Brot haben wir auch noch«
Während Nicole dem geliebten Mann zusah, wie er mit geschickten Händen das Essen zubereitete, sagte sie nach einem tiefen Seufzer: »Ich wüsste ja gar nicht, womit ich mein Geld verdienen sollte, wenn ich meine Karriere abbrechen würde.«
Daniel verharrte in der Bewegung und blickte von seiner Arbeit auf. Sie sah ihm an, dass sie ihn mit ihren Worten überrascht hatte.
»Es gibt immer eine Möglichkeit«, erwiderte er mit fester Stimme, als er weiterarbeitete. »Man muss das Leben nur aufmerksam beobachten. Es spielt einem immer eine Chance zu.«
Sie lachte kurz auf. »Du bist gut.«
»Dein Leben hat sich ja bisher nur ums Ballett gedreht. Wenn du deinen Beruf hinter dir lassen würdest, öffnet sich dein Blick auch für andere Dinge.« Er sah mit dem für ihn so typischen Lächeln von der Spüle hoch. »Glaub mir. So ist das.« Dann trocknete er sich die Hände ab und legte sie auf ihre Schultern. »Wie wäre es, wenn du erst einmal hierbleiben würdest? Drei Wochen Pause reicht sowieso nicht aus, deinem Körper die Erholung zu geben, die er braucht.«
Sie sah in seine Augen, versuchte, darin zu lesen. Und sie fand die Antwort. Das Licht in ihnen verriet ihr, was er sie wirklich hatte fragen wollen: Ob sie bei ihm bleiben wollte.
Ihr Herz raste vor Glück. Gleichzeitig jedoch schlich sich von hinten die Panik an sie heran.
»Ich bin es nicht gewohnt, von einem anderen Menschen abhängig zu sein. Ich bin eine Einzelkämpferin«, sagte sie leise.
Sein Lächeln war so entwaffnend, dass es sie das Gefühl der Panik ganz schnell vergessen ließ. »Das sollst du auch bleiben. Solange zwei Menschen jedoch dasselbe Ziel haben, kann dabei nur etwas Gutes herauskommen. Etwas noch viel Besseres, als sie als Einzelkämpfer je erreichen könnten«, fügte er leise hinzu. Dabei schloss er die Arme um sie und hielt sie fest. »Überleg es dir. Mein Angebot steht.«
Nicole schloss die Augen. Sie konnte nicht sprechen, nur nicken. Tränen des Glücks verengten ihr den Hals. Außerdem waren da Daniels Lippen, nah, dicht vor ihren. Als er sie küsste, glaubte sie, im Märchenland der Liebe zu weilen, wo es nur Zärtlichkeit und Gefühle im Überfluss gab. So gern hätte sie die Welt angehalten, um diesen kostbaren Augenblick bis in alle Ewigkeit auszudehnen.
*
Am nächsten Morgen schlief Nicole aus. Wenn sie wach wurde, verbot sie sich, auf den Wecker zu schauen, reckte sich stattdessen wohlig unter der Decke, drehte sich noch einmal zur Seite und schlummerte wieder ein. Am späten Vormittag jedoch machten ihr die Sonnenstrahlen, die in ihr Zimmer fielen, endlich ein schlechtes Gewissen.
Aufstehen, sagte sie sich energisch. Und genauso energisch sprang sie auch aus den Federn, wofür ihr Körper sie umgehend mit Schmerzen in Füßen, Knien und Rücken bestrafte. Ihre gute Stimmung empfing dadurch einen gehörigen Dämpfer.
Wie sollte sie in etwas mehr als vierzehn Tagen wieder auf der Bühne stehen? Gar nicht dran denken, befahl sie sich.
Und tatsächlich konnte sie sich auch einige Zeit später im Garten auf der Liege wieder entspannen. Zum ersten Mal in ihrem Leben vertiefte sie sich für ein paar Stunden in ein Buch und genoss die bittersüße Liebesgeschichte der Autorin. Ja, sie fühlte sich jetzt wie eine ganz andere Frau. Seit dem gestrigen Tag wusste sie, dass das Leben mehr zu bieten hatte als stundenlanges Training in stickigen Studios und Diäthalten. Leben, lieben, lachen. Das war es, was ein zufriedenes Leben ausmachen sollte. Wollte sie darauf noch einmal verzichten?
Die überlaute Handyklingel zerriss die Ruhe um sie herum. Selbst der Vogel in dem Kirschbaum,