Dr. Norden Staffel 2 – Arztroman. Patricia Vandenberg
Aber du solltest halt auch mal über deinen Schatten springen und versuchen, Freundschaft mit ihm zu schließen.« Aus den Augenwinkeln bemerkte Teresa die wartenden Ärzte und Schwestern. Nur Anian zuliebe war der Beginn der Operation verschoben worden. Doch die Zeit drängte. Deshalb wurde sie nervös. »Was hältst du übrigens davon, wenn Marco ganz zu uns zieht? Dann hättet ihr mehr Gelegenheit, euch aneinander zu gewöhnen.«
Leider hatte dieser hektische Vorstoß nicht den gewünschten Erfolg. Anian riss die Augen auf und starrte seine Schwester panisch an.
»Was? Das ist nicht dein Ernst! Dieser Lügner und Betrüger?« Er dachte an das Gespräch mit dem Immobilienmakler und beschloss, die Wahrheit ein bisschen zu seinen Gunsten zu verdrehen. »Der liebt dich doch gar nicht! Der will dich nur dazu überreden, den Hof zu verkaufen, und von der Kohle profitieren«, log Anian seiner Schwester in seiner Not frech ins Gesicht.
Teresa sah ihren Bruder erstaunt an. Was war nur in Anian gefahren, dass er sich so aufführte?
»Was redest du denn da für einen Unsinn?«, fragte sie matt. »Wir wollen den Hof nicht verkaufen.« Ihre Kräfte schwanden zusehends, und die mühsam aufrechterhaltene Fassade drohte einzustürzen.
»Das ist kein Unsinn«, fauchte der junge Mann und zerrte die Visitenkarte des Immobilienmaklers aus der Hosentasche. Marco hatte sie auf dem Tisch liegen gelassen. In seinem blinden Hass hatte Anian diese Gelegenheit genutzt, wohl wissend, was er damit anrichten konnte. »Sie haben sogar schon einen Preis ausgemacht.« Er hielt Teresa die Visitenkarte hin.
Mit zitternden Fingern griff sie danach und starrte auf die siebenstellige Summe, die Hanno Thalbach notiert hatte. Teresa war so paralysiert, dass sie nicht bemerkte, wie eine Schwester an ihre Liege trat.
»Frau Berger, wir müssen jetzt wirklich anfangen«, erinnerte sie die Patientin an den bevorstehenden Eingriff.
Teresa nickte mechanisch und ließ sich widerspruchslos das Kärtchen aus der Hand nehmen.
»Ich verwahre das sicher für Sie«, versprach die Schwester. Diesmal nickte Tessa nicht. Wie ein Kartenhaus waren ihre Pläne und Ziele, ihre schönen Zukunftsträume lautlos in sich zusammengestürzt. Plötzlich tat sich ein tiefschwarzes Loch vor ihr auf, und auf einmal konnte sie es kaum erwarten, die erlösenden Medikamente zu bekommen, um darin unterzutauchen und nichts mehr hören, sehen und fühlen zu müssen.
*
Bei unbeschwerter Plauderei verging die Fahrt nach Heidelberg wie im Flug, und insgeheim stellte Wendy fest, dass sie sich selten mit einem Mann so gut unterhalten hatte wie mit Hanno Thalbach. Sie lachten viel, redeten aber auch über ernste Themen, und als Hanno den Geländewagen im Innenhof eines Dreiseithofs parkte, war Wendy überrascht.
»Wir sind ja schon da!«, stellte sie fest, und Hanno lachte belustigt auf.
»Schön, dass es dir ebenso geht wie mir. Selten war die Fahrt so kurzweilig.« Er stieg aus und öffnete ihr galant die Beifahrertür.
»Ein Gentleman alter Schule!« Wendy war beeindruckt. »Das gefällt mir.«
»Hoffentlich gefällt dir auch mein Haus.« Hanno machte eine weit ausholende Geste, die das Anwesen um ihn herum umfasste.
»Haus ist gut.« Ungläubig schüttelte sie den Kopf und drehte sich um die eigene Achse. »Ich hatte mir ein schnuckeliges kleines Fachwerkhaus vorgestellt, aber keinen riesigen Hof. Es ist unglaublich.« Aus den Augenwinkeln bemerkte sie einen Schatten.
Eine Frau, deutlich älter als sie selbst, kam säuerlich lächelnd auf sie zu. Auch Hanno hatte sie gesehen und begrüßte sie mit einem Kuss auf die Wange.
»Philomena, ich hab dir doch am Telefon von Wendy erzählt.«
Er wandte sich an seine Begleiterin. »Wendy, das ist meine Schwägerin Philomena. Sie hat eine Wohnung in einem der Nebengebäude und führt seit Helenas Tod meinen Haushalt.« Davon hatte Hanno bis jetzt kein Sterbenswörtchen gesagt, und Wendy fragte sich, warum.
Verschnupft streckte sie die Hand aus und begrüßte Philomena.
»Annemarie Wendel. Angenehm«, stellte sie sich vor.
Hannos Schwägerin nahm die dargebotene Hand mit spitzen Fingern. Das Lächeln auf ihrem Gesicht war künstlich und wenig sympathisch.
»Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise.«
»Ja, danke. Es war sehr unterhaltsam.« Wendy hatte beschlossen, sich von der Anwesenheit dieser Frau nicht irritieren zu lassen. Wenn Hanno sie nicht erwähnt hatte, spielte sie wohl keine besondere Rolle in seinem Leben. Sie schickte ihm einen warmen Blick, als Philomenas strenge Stimme an ihr Ohr klang.
»Ach, Hannolein, es ist übrigens gut, dass du endlich da bist. Herr Adam hat angerufen. Er hat ein paar Fragen zu deinem Angebot.«
»Um diese Zeit?« Hanno warf einen unwilligen Blick auf die Uhr. »An einem Freitag?«
»Ich hab ihm gesagt, dass du ihn auf jeden Fall noch zurückrufst«, erwiderte Philomena unbarmherzig. »Aber geh nur. Ich zeige Frau Wendel inzwischen ihr Zimmer.«
Hanno zögerte einen Augenblick, dann fügte er sich seufzend in sein Schicksal. Er beugte sich zu Wendy hinunter und küsste sie auf die Wange, was Philomena mit sauertöpfischer Miene beobachtete.
»Ich bin gleich wieder bei dir.«
Wendy fühlte sich gar nicht wohl in ihrer Haut. Um Hanno aber nicht in Verlegenheit zu bringen, machte sie gute Miene zum bösen Spiel.
»Keine Sorge, ich bin schon ein großes Mädchen«, schlug sie einen scherzhaften Ton an, den er mit einem amüsierten Lächeln quittierte. Gleichzeitig fühlte sie einen harten Griff am Ellbogen.
»Kommen Sie. Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer.«
Seite an Seite gingen die beiden Frauen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können, über den gepflasterten Hof hinüber ins Haus. »Hier entlang!«, befahl Philomena und winkte Wendy durch den mit Terrakottafliesen ausgelegten Flur hinüber zur dunklen Holztreppe. Das gesamte Haus machte einen düsteren Eindruck, und tapfer wehrte sich Wendy gegen das Gefühl der Beklemmung, das sie augenblicklich überfiel. Ihre eigene Wohnung war hell und lichtdurchflutet, mit modernen Möbeln und einzelnen ausgesuchten Antiquitäten geschmackvoll eingerichtet. Einen ähnlichen Geschmack hatte sie auch Hanno zugetraut und wunderte sich über das altmodische Flair und die erdrückend massiven Antiquitäten, die wie eine Bedrohung auf sie wirkten. »Hanno hat erzählt, dass Sie in der Medizinbranche tätig sind«, sagte Philomena in Wendys Gedanken hinein und öffnete die Tür zu einem Zimmer.
»Ich bin medizinisch-technische Assistentin bei einem Allgemeinarzt«, gab Wendy freundlich Auskunft und sah sich in dem Zimmer um.
»Jedem das Seine. Ich halte ja nicht viel von Ärzten und dem medizinischen Fachpersonal«, bemerkte Philomena herablassend. »In ihren letzten Jahren war Helena sehr krank. Jedes Mal, wenn sie vom Arzt kam, ging es ihr schlechter als besser.«
»Das können Sie mir ja wohl kaum zum Vorwurf machen«, entfuhr es Wendy. Sie war ein geduldiger Mensch. Langsam fühlte sie aber, dass sie aggressiv wurde. Was wollte diese Frau von ihr?
»Das war auch gar nicht meine Absicht«, lächelte Philomena unschuldig. »Tut mir leid, wenn das so rübergekommen ist.« Sie tat ein paar Schritte ins Zimmer hinein und drehte sich dann zu Wendy um.
»Das hier ist Helenas Zimmer. Wir haben alles so gelassen, wie es war.« Sie ging hinüber zum Frisiertisch, auf dem neben Tuben und Tiegeln, Haarbürsten und Kämmen ein in Silber gerahmtes Foto stand. Es zeigte den jungen Hanno, der eine wunderschöne, dunkelhaarige Frau in den Armen hielt. Die beiden lächelten strahlend in die Kamera. »Wo immer sie als Paar aufgetreten sind, stand Helena sofort im Mittelpunkt«, erklärte Philomena, und plötzlich war ihre Stimme weich, fast wie verliebt. »Sie war die schönste Frau weit und breit. Intelligent, stilvoll, charmant. Alle anderen Männer haben Hanno um sie beneidet.«
Wendy fühlte sich alles andere als wohl in ihrer Haut und wusste nicht, was sie dazu sagen sollte. Glücklicherweise