Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman. Karin Bucha

Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman - Karin Bucha


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      Beide gingen hinunter und bestiegen den Wagen.

      Das Gespräch war eingeschlafen. Nach einer Weile wandte Nikolaus den Kopf.

      »In einer Stunde sind wir am Ziel, Doktor. Dann wird manche Frage beantwortet sein, die uns jetzt arges Kopfzerbrechen verursacht.«

      *

      Mit der ihr eigenen Lebhaftigkeit stieg Beate Eckhardt die Stufen der Freitreppe zur Villa des Bruders hinauf.

      Sie öffnete die schwere Eichentür – und horchte verwundert auf.

      Aus der Vorhalle, in der immer ein dämmriges Licht herrschte, an das sich das Auge erst allmählich gewöhnen mußte, drang bitterliches Kinderweinen zu ihr.

      »Nanu?« murmelte sie. »Ist jemand hier?« Beate Eckhardt vermutete im ersten Augenblick ein Kind des Gärtners, das sich vielleicht hierher verlaufen hatte.

      Aber dann bot sich ihren Blicken ein rührendes Bild: Auf der untersten der fünf Stufen, die in die eigentliche Halle führten, saß ein zierliches kleines Mädchen. Es hatte die Ärmchen um den Hals eines riesigen Hundes geschlungen und klagte ihm nun, von wildem Schluchzen unterbrochen, sein Kinderleid:

      »Siehst du, Tyras, Mami hat mich verlassen und auch Papi. Sie haben ihr Lorchen vergessen. Nun muß ich immerzu weinen… immer weinen… Fürchtest du dich auch vor der bösen Frau hier?«

      Der Hund hob den Kopf empor, schaute aus feuchtglänzenden Augen zu dem Kind auf und stieß zwischen den wirren Reden des kleinen Geschöpfes ein langgezogenes Winseln aus.

      Die kleine Leonore wurde durch das Hinzutreten der dunkelgekleideten Frauengestalt jäh aufgeschreckt und wich ängstlich bis an die Wand zurück. Dabei umkrampfte sie fest das Halsband des Hundes.

      »Wer bist du? Und warum weinst du?« erkundigte sich Beate Eckhardt teilnehmend, den Blick fest auf die erschrockenen Blauaugen des Kindes gerichtet.

      Leonore schwieg und sah lange und eindringlich zu der hohen Frauengestalt empor. So viele Menschen waren in der letzten Zeit in ihr Leben getreten, aber zu keinem konnte sie rechtes Vertrauen fassen, von Nikolaus abgesehen. Ihr kleines Herz rief unablässig nach der Mami, nach dem Papi.

      »Kommst du… kommst du von meiner Mami?« fragte sie stockend.

      »Wohnst du hier im Haus?« fragte Beate Eckhardt zurück, da sie sich nicht erklären konnte, wer das Kind war.

      Traurig schüttelte Leonore den Kopf.

      »Nein! Meine Mami holt mich wieder ab. Ich muß dann eben noch warten.«

      Und mit der ganzen Gläubigkeit, die nur Kinder aufbringen können, nahm sie ihren Platz auf der Stufe wieder ein.

      Beate Eckhardt stand wie angewurzelt da und schaute gebannt auf das süße Kindergesicht. Sie fühlte sich seltsam hingezogen zu dem jungen Geschöpf.

      »Willst du mit mir gehen? Du kannst doch nicht hier sitzen bleiben; du wirst dich sonst erkälten«, sagte sie warm und herzlich.

      Das Kind hob die Augen und lauschte der wohllautenden Stimme, dann aber schüttelte es, heftig abwehrend, den Kopf.

      »Ich mag nicht, ich warte hier, ich will nur zur Mami.«

      Hinter Beate Eckhardts Stirn kreisten unaufhaltsam wirre Gedanken. Kopfschüttelnd setzte sie ihren Weg fort, der sie geradewegs in das Zimmer der Schwägerin führte.

      Hier fiel ihr wieder mit aller Macht der Zweck ihres Kommens ein. Ihre Schultern zuckten wie im Krampf.

      »Ist es wahr, daß – Jost tot ist?«

      Leontine Eckhardt ließ die Handarbeit in den Schoß sinken und sah gelassen der Schwägerin entgegen. Jost war Beates Lieblingsneffe gewesen. So fühlte Leontine beinahe etwas wie Triumph, daß sie der Schwägerin jetzt Schmerz zufügen mußte.

      »Ja, Jost ist tot, der Erbe der Eckhardtschen Werke lebt nicht mehr.«

      Beate machte eine heftige Handbewegung.

      »Mein Gott!« Die Kraft in ihren Knien ließ nach. Leise stöhnend sank sie auf einen Stuhl neben der Tür und ließ den Tränen freien Lauf. »Dieses Unglück… dieses große Unglück!«

      Mitleidlos nahm Leontine dieses stille Weinen auf. Verärgert drehte sie den Kopf dem Fenster zu.

      »Da hilft alles Weinen nichts!« kam es herzlos über ihre Lippen.

      »Davon wird Jost auch nicht wieder lebendig. Das ist unabänderliches Schicksal, das ich zu allem sonstigen Kummer auch noch tragen muß.«

      Beate sah verständnislos und entsetzt auf die Schwägerin.

      »Wo ist Nikolaus?« fragte sie dann und erhob sich. Sie sah ein, daß es zwecklos war, sich mit Leontine weiter in ein Gespräch einzulassen. Der Hochmut dieser Frau war nicht zu übertreffen. Sie würde wohl noch durch eine viel härtere Schule gehen müssen.

      »Nikolaus?« Leontine nahm ihre Handarbeit wieder auf. »Nikolaus holt seinen toten Bruder heim«, sagte sie fest.

      Minutenlang war nichts als das heftige Weinen Beates zu hören.

      »Wessen Kind ist übrigens die Kleine?« kam es schließlich von ihren Lippen.

      »Ach so«, entgegnete Leontine gleichgültig, »das weißt du ja noch nicht. Sie ist Josts Kind. Ihre Mutter ist seit Josts Tod verschwunden.«

      Beate Eckhardt war wie erstarrt. Jedes Mitleid, jedes weiche Gefühl für die Schwägerin erstarb in dieser Minute in ihr. Fassungslos stammelte sie:

      »Josts – Kind?«

      Aber dann raffte sie sich auf, glitt durch die Tür, eilte den Gang entlang und kniete schon nach einigen Sekunden vor dem erschrocken aufsehenden Kind.

      »Bitte, liebe, gute Tante, bringe mich nicht zu der bösen Frau, ich habe solche Angst!«

      Sanft nahm Beate das Kind auf ihren Arm und drückte es zart an sich. Dabei liefen ihr die Tränen übers Gesicht. Mit aller Kraft versuchte sie, sich zu beherrschen, damit die Kleine nicht beunruhigt würde.

      »Lorchen, mein Liebling, ich bin die Tante Beate, willst du nicht mit ins Zimmer kommen?« sprach sie, und sie legte ihre ganze Liebe in diese Worte. Sie wußte, daß das weichherzige Kind ebensowenig in die kalte Atmosphäre dieses Hauses paßte wie sie und wie früher Jost – und wie jetzt Nikolaus.

      »Ich möchte schon, aber ich habe Angst!« flüsterte der kleine Mund. Aber das erste scheue Vertrauen stahl sich schon in ihren Blick.

      Wortlos trug Beate Eckhardt das Kind davon, in eines der Erdgeschoßzimmer. Dort setzte sie sich an das weit geöffnete Fenster und beschäftigte sich liebevoll mit der Kleinen, deren Augen gläubig an dem gütigen Gesicht der fremden Frau hafteten.

      »Bleibst du immer bei mir, bis meine Mami kommt?«

      »Nicht immer, Leonore, ich muß wieder fort. Aber ich komme morgen schon wieder.«

      Enttäuscht ließ Leonore das Köpfchen hängen.

      »Morgen? Da hat mich meine Mami schon geholt!« plauderte sie. »Meine Mami holt Papi ab…« Sie brach ab und legte den zierlichen Finger an den Mund. »Nein! Papi war doch da«, verbesserte sie sich. »Vielleicht ist er Mami holen gegangen?«

      Beate Eckhardt konnte sich kein rechtes Bild aus dem wirren Reden machen. Sie wußte nur, daß das kleine Kinderherz voller Sehnsucht war.

      Sie grübelte Leonores Worten nach. Hatte Leontine nicht vom Verschwinden der jungen Mutter gesprochen? Sie mußte sich Gewißheit verschaffen.

      Dem Kind mütterlich in das erstaunte Gesicht schauend, ließ sie es hinuntergleiten und ergriff die Kinderhand.

      »Komm, Lorchen, wir gehen zu deiner Großmutter!«

      Leonore preßte das Mündchen ganz fest zusammen. Sie wollte die Tante bitten, sie nicht dorthin zu bringen, aber würde sie vielleicht böse werden?


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