Gesammelte Werke. Aristoteles
Die Erörterung über das zur Erhaltung der Freundschaft Erforderliche beginnt mit der Erklärung, daß die ungleichartigen Freundschaften durch Leistungen nach Verhältnis Bestand behalten. Das ist nicht so zu nehmen, als ob nur von ihrer Erhaltung die Rede sein sollte, sondern bei den Freundschaften unter Gleichen versteht es sich von selbst, daß sie durch gleiche Leistungen erhalten werden, und darum werden sie mit Stillschweigen übergangen. Zur Veranschaulichung der Leistung nach Verhältnis bezieht sich Ar. auf das früher, V, 8, Absatz 3 über die kommutative Gerechtigkeit Gesagte.
242.Das soll heißen, im bürgerlichen Verkehr wehre das Geld als gemeinsames und anerkanntes Maß der Leistungen und Werte den Zerwürfnissen bezüglich der beiderseitigen Ansprüche. Dagegen gibt es in den Freundschaften manche Ursachen von Meinungsverschiedenheiten. Diese werden also im 1. und 2. Absatz besprochen und dann die Weise ihrer Begleichung gelehrt.
243.Man könnte etwa denken, mit der Lust als Lohn des Zitherspiels sei die Freude an der eigenen Leistung gemeint. Allein die Eudemische Ethik, VII, 10. 1243b 27, wo dieselbe Geschichte erzählt wird, zeigt, daß die durch das Versprechen in dem Virtuosen hervorgerufene Erwartung gemeint war.
244.Protagoras aus Abdera, gest. um 410 vor Chr. Er war der Erste, der sich einen Sophisten nannte und sich als Lehrer der Weisheit ein Honorar zahlen ließ. Der kluge Mann ließ seine Schüler ihr erlangtes Wissen selbst bewerten und dann dem entsprechend zahlen, indem er zu ihrer Bescheidenheit das Vertrauen hegte, daß ihre Schätzung nicht allzuniederig ausfallen würde. Ihn hat Plato in dem gleichnamigen Dialog in köstlicher Weise persiffliert.
245.Aus Hesiod, Werke und Tage, Vers 368. Das Wort will sagen, der Lohn müsse sich nach dem Manne und seinen wirklichen Leistungen, nicht nach der Einbildung eines aufgeblasenen Empfängers der Leistung wie im Falle Protagoras richten.
246.Susemihl drückt sich bezüglich der früheren Stelle, die gemeint sein könnte, etwas unbestimmt aus. Die richtige ist wohl die zuletzt von ihm genannte 1162b 23, also VIII, 15. Absatz 3. Das ist, wie wir nachträglich sehen, auch die Meinung Lassons.
247.Gleich und gleich, d. h. man wird durch den Umgang gleich.
248.Eine besondere Anwendung dieses Satzes findet sich bei den Geisteslehrern. Sie sagen, z. B. die heilige Theresia, daß Gott denen, die einmal in seiner Freundschaft gestanden haben, spätere Verfehlungen eher vergebe, die Buße natürlich vorausgesetzt, weil sie ja doch einmal zu seinen Vertrauten gehört hätten.
249.Nachdem die drei ersten Kapitel dieses neunten Buches von Erhaltung und Auflösung der Freundschaft gehandelt haben, handeln die folgenden vier von ihren Wirkungen oder ihrer Betätigung. Das vierte K. lehrt, daß die Freundschaft sich einmal in Wohltun, dann in Wohlwollen, endlich in Eintracht betätigt. Diese drei Dinge werden dann in den folgenden drei Kapiteln eingehender besprochen, im fünften das Wohlwollen, im sechsten die Eintracht, im siebenten das Wohltun.
250.Neuerdings wird die absolute Unveränderlichkeit Gottes ausgesprochen. Vgl. den Schluß des 7. Buches und VII, Kap. 15, Anm. 219.
251.Freundschaft ist auch Wohlwollen, Wohlwollen aber noch nicht Freundschaft.
252.Pittakus, der treffliche Alleinherrscher von Mitylene, legte seine Herrschaft, zum Schmerze seines Volkes, freiwillig nieder. Ein zu dieser späteren Zeit gefaßter Beschluß, daß er Staatsleiter sein sollte, wäre also kein Zeichen vollkommener Eintracht gewesen, weil er selbst nicht einverstanden war.
253.Die feindlichen Brüder Eteokles und Polyneikes in den Phönizierinnen des Euripides.
254.Hier liegt eine gewisse Ironie vor, die am besten mit den Worten des lateinischen Kommentators Joachim Kamerarius, Frankfurt 1578, deutlich gemacht wird: »Ein Ehemann pflegte von sich und seiner Frau zu sagen, sie wären beide viele Jahre lang eines Sinnes gewesen; jedes von beiden nämlich habe Herr sein wollen!« Vgl. Stahr, Nik. Eth. 334 Anm. 3.
255.Epicharmus, dramatischer Dichter des 5. Jahrhunderts, galt als feiner Menschenkenner, Stahr.
256.Es ist ihnen eigen, die Empfänger ihrer Wohltaten mehr zu lieben, weil gutes tun beschwerlicher ist als gutes empfangen. – Unser Kapitel ist eine schöne anticipierte Illustration zu dem Worte des Herrn: Beatius est magis dare, quam accipere, Act. Ap. XX, 35.
257.Bisher war von Erhaltung und Aufhebung der Freundschaft so wie von ihrer Äußerung in Gesinnung und Werk die Rede. Nun werden einige Zweifel über sie erörtert und entschieden, und zwar zuerst in 2 Kapiteln Zweifel, die den Liebenden, und dann zweitens solche, die den Geliebten betreffen, und so wird denn in Kapitel 8 nach der Liebe gefragt, die der Liebende zu sich selbst hat, in Kapitel 9 nach der Liebe, die er zu anderen hat.
258.Die Ansicht des Aristoteles, daß man sich selbst mehr als andere lieben soll, wird als mißverständlich oder verfänglich angesehen. Auch meint man, seine Unterscheidung zwischen einer niederen und einer edlen Selbstliebe genüge nicht, das Mißverständnis, das hier möglich sei, zu beseitigen. Die Lehre unseres Philosophen scheint aber mit der Forderung der Offenbarungslehre Levitikus 19, 18 und Matthäus 22, 39 übereinzustimmen: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.« Denn man sieht aus diesem Gebote, daß die Liebe des Menschen zu sich selbst gleichsam das Vorbild der Liebe zu anderen ist. Das Vorbild übertrifft aber das Abbild. Vgl. auch Thom. Aq. Summa theologica II, 2. q. 26, art. 4: Utrum homo ex caritate magis debeat diligere seipsum quam proximum.
259.In die Sprache des Evangeliums übersetzt, hieße das, der Christ lasse die Liebe zu der eigenen Seele jeder anderen Liebe vorangehen. Aus dieser Liebe entspringt denn auch jede opferfreudige Tat für andere und für die Allgemeinheit, da die Seele durch solche Taten an Tugend und Verdienst gewinnt.
260.Euripides »Orest«, Vers 667.
261.Theognis, berühmter griechischer Spruchdichter aus dem 6. Jahrhundert. Hier ist auf Vers 35 seiner Gnomen hingezielt:
»Denn von Edlen lernst du Edles; den Schlechten gesellet
Büssest auch das du noch ein, was an Vernunft du gehegt.«
Übers. nach Lasson.
Aus diesem Vers stehen auch einige Worte am Schlusse dieses Buches. Theognis wird 1179b 6 noch einmal citiert. Vgl. auch V, Kap. 3, Anm. 117.
262.Hier beginnt die Erörterung derjenigen Zweifel über die Freundschaft, die nicht mehr den Liebenden sondern den Geliebten betreffen.