Seewölfe - Piraten der Weltmeere 25. Roy Palmer
„Wegen deines undisziplinierten Verhaltens könnte ich dich an der Rahnock zum Zappeln aufhängen oder auf der nächsten Gräting auspeitschen lassen. Oder du marschierst zurück in die Vorpiek und bleibst da für die nächsten fünf Tage eingesperrt.“
Dan blickte schuldbewußt zu Boden. Batuti stellte sich schützend vor ihn und meinte: „Alles meine Schuld. Batuti läßt sich auspeitschen.“
„Nichts da“, gab Hasard barsch zurück.
Der Kutscher sagte: „Was den Schnaps betrifft, so bin ich bereit, die ganze Sache zu vergessen und ...“
„Es geht ums Prinzip“, unterbrach ihn der Seewolf. Er blickte zu Jean Ribault auf und winkte ihm zu. Ribault enterte ab. Er schwitzte, das Wasser lief ihm nur so den nackten Oberkörper herab. Er war nicht schlecht geladen gewesen, aber als er die beiden Häufchen Elend sah, schrumpfte sein Ärger auf ein Minimum zusammen.
„Ich überlasse die Entscheidung dir“, sagte Hasard. „Schließlich bist du der Leidtragende. Also, was machen wir mit diesen beiden stockbesoffenen Nachttopfseglern?“
Ribault druckste herum. Alle Blikke ruhten auf ihm. Am liebsten hätte er Dan und Arwenack ziehen lassen, aber er las aus der Miene Hasards, daß es ohne eine Bestrafung nicht ging.
„Eine doppelte Wache im Vormars“, schlug er endlich vor. „Ich meine, es ist nicht ganz so ohne, zwölf Stunden ohne Unterbrechung da oben zu hocken und ...“
„Einverstanden“, sagte Hasard.
Noch nie war Dan O’Flynn so schnell in den Vormars aufgeentert, noch nie hatte er sich so flink aus dem Staub gemacht, ohne auch nur eine einzige seiner vorlauten Bemerkungen fallenzulassen. Arwenack sah seinen Komplicen über die Luvwanten verschwinden, und um es ihm nachzutun, hüpfte er von Batutis Schulter. Um ein Haar hätte er die Webleinen verfehlt! Im letzten Moment konnte er sich festklammern, kröngte aber doch über und fiel kläglich auf die Deckplatten zurück.
Batuti hob ihn besorgt auf. Hasard musterte den hicksenden, knüppelvollen Schimpansen. Seine Mundwinkel zuckten.
Mit mühsam erzwungenem Ernst sagte er: „Daß mir so was nicht wieder passiert! Der nächste, der sich ohne meine ausdrückliche Genehmigung einen ansäuft, kriegt wirklich die Neunschwänzige zu spüren!“
Das Sonnenlicht wurde blaß. Allmählich ließ die Äquatorhitze nach, und es war abzusehen, wann sich die Dämmerung und schließlich die Dunkelheit der Nacht der Kimm entgegensenkte. Der Südwestwind hielt an. Philip Hasard Killigrew stand an der Achtergalerie, lehnte mit dem Rücken gegen das Schanzkleid und warf ab und zu einen prüfenden Blick auf die Takelage seiner „Isabella III.“.
Es war gleichsam phänomanel, mit welcher Geschwindigkeit der wendige Zweimaster die Fluten des Stillen Ozeans durchpflügte. Immerhin hatten sie nicht nur den Rest der Pulverfässer an Bord, die sie von den Dons „übernommen“ hatten, sondern sie schipperten mit einem Schatz von unermeßlichem Wert gen Norden. Da waren die Silberbarren, die sie den Spaniern vor einem ihrer Bergwerke in der Nähe von Punta Lengua de Vaca abgenommen hatten, dann der Schatz des Vizekönigs in Lima und nicht zuletzt die in Trujillo erbeuteten Goldbarren und Edelsteine. Am schwersten wogen die beiden Truhen, in denen der Schatz des Vizes lagerte. Der Seewolf und seine Männer hatten sich dieses unschätzbare Vermögen von den als verhext geltenden Chincha-Inseln geholt, jenem gottverlassenen Fleckchen Erde, auf denen Seevögel das Regime führten und die Felsen über und über mit dem stinkenden, giftigen Guano bekleckert waren.
Hasard nahm an, daß der Tag ohne besondere Ereignisse seinem Ende entgegengehen würde, aber da hatte er sich gründlich getäuscht. Es war Dan O’Flynns krächzende Stimme, die unvermittelt ertönte.
„Segel ho! Backbord voraus!“
Hasard nahm den Kieker zur Hand, trat an das Backbordschanzkleid und suchte die Kimm ab. Bald sichtete auch er, was da im Norden aufgetaucht war und südwärts segelte: eine dreimastige Galeone.
„Smoky!“
„Sir?“
„Das Schiff klar zum Gefecht machen. Der Kutscher soll die Kombüsenfeuer löschen, und zwar dalli!“
„Aye, aye, Sir!“
Hasard tat es leid, Ben Brighton und die anderen um ihren wohlverdienten Schlaf bringen zu müssen, aber jetzt konnte er nicht auf sie verzichten. Keine Minute verstrich, und die komplette Mannschaft – außer Carberry natürlich – befand sich auf Deck. Die „Isabella III.“ nahm Kurs auf die fremde Galeone. Rasch hatte der Seewolf herausgefunden, welche Art von Schiff er vor sich hatte – einen spanischen Handelsfahrer. Fast unbewaffnet. Und was das Entscheidende war: das Schiff hatte kaum Tiefgang.
Ben Brighton war neben Hasard getreten und sagte: „Verdammt, das ist kein Happen für uns. Der kreuzt völlig leer durch die Gegend, wenn du mich fragst.“ „Glaube ich auch. Aber wir stoppen den Don trotzdem, Ben. Laß alles verschwinden, was uns auch nur im entferntesten als Engländer ausweisen könnte. Stenmark und alle anderen Blondschöpfe sollen gefälligst die Rüben einziehen, bis der Dreimaster wieder außer Sichtweite ist. Das gilt auch für Karl von Hutten. Irgendein verdammter Philip könnte ihn zufällig kennen.“
„Was hast du vor?“
„Eine kleine Kriegslist. Wir wollen doch herauskriegen, wo Drake steckt, oder?“
Ben grinste und hatte verstanden. Er flankte über die Balustrade des Achterkastells, lief über die Kuhl und gab seine Anweisungen. Bis die „Isabella III.“ nicht auf Rufweite an den Don heran war, herrschte von nun an emsige Tätigkeit. Die Brooktaue der acht Neunpfünder wurden gelöst, ebenso die der Drehbassen auf der Back und auf dem Achterkastell. Auf Deck wurde Sand ausgestreut. Pulverhörner wurden gefüllt, Eimer zum Befeuchten der Wischer mit Meerwasser gefüllt. Doch die Stückpforten wurden noch nicht geöffnet, um den Spanier nicht zu warnen.
Stenmark, Piet Straaten, Jan Ranse, Larsen, Nyberg und alle anderen, die auffällig wirken konnten, hatten sich unters Backbordschanzkleid geduckt oder unter Deck verzogen. Zwar gab es auch blonde Dons. Aber Hasard hielt es für taktisch richtiger, wenn die Spanier drüben auf der Dreimastgaleone zu allererst nur Schwarzhaarige wie ihn und Ben Brighton ausmachten, zumal sie die spanische Sprache beherrschten und auf jede dämliche Frage zu antworten wußten, die ihnen zugerufen wurde.
Hasard ließ die „Isabella III.“ bis auf eine Kabellänge an die spanische Galeone heranführen und gab dann Befehl backzubrassen. Er, zeigte sich den Dons, formte die Hände zu einem Trichter vor dem Mund und rief auf spanisch: „Ich verlange, den Kapitän zu sprechen!“
Ein hagerer Mann in schmucker Kleidung trat drüben auf dem Achterkastell ans Backbordschanzkleid. „Capitan Lope Ariza Garzante“, gab er vernehmlich zurück. „Mit Galeone ‚Azuero‘ leer von Panama nach Lima unterwegs. Wer seid ihr?“
Also doch, dachte Hasard, es ist tatsächlich nichts zu erbeuten. Laut erwiderte er: „Capitan Alirio de Santes mit der ‚Isabella III.‘. Wir sind Aufklärer eines Kriegsschiffverbandes, der den verdammten ‚El Draque‘ hetzt.“
Ben Brighton stand wieder neben Hasard, aber in diesem Augenblick blickte er zur Seite, denn er hatte große Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken. Den Seewolf ritten wieder mal tausend Teufel! Er besaß nicht nur die Dreistigkeit, den Dons eine so faustdicke Lüge aufzutischen, er versah sich auch noch mit einem Nachnamen, der in der englischen Übersetzung nichts anderes als „Von den Heiligen“ bedeutete. Der Seewolf und ein Heiliger! Eine geradezu aberwitzige Behauptung. Wenn das Drakes Schiffskaplan Fletcher vernommen hätte, hätte er wieder einmal verzweifelt die Hände gerungen.
„El Draque!“ wetterte der Kapitän Lope Ariza Garzante von Bord seiner ehrwürdigen Handelsgaleone. „Dieser Lump! Dieser Feind Nummer eins. Zur Hölle soll er fahren!“ Er fügte noch eine Reihe von Verwünschungen hinzu.
Hasard begegnete dem mit stoischer Ruhe. Er verzog keine Miene. „Habt ihr den Kerl etwa gesichtet?“ erkundigte er sich schließlich.
Garzante geriet noch mehr in Aufregung, sein Blut schien zu wallen, und