Leni Behrendt Staffel 4 – Liebesroman. Leni Behrendt
sie. Ich habe nämlich seit dem Frühstück nichts mehr gegessen.«
»Dann allerdings. Bitte, sich zu bedienen!«
Damit schob sie Lenore die Brote zu, und als diese danach griff, bemerkte sie an der Rechten den schmalen Reif, dessen Gold so neu und unbenutzt funkelte.
Das gab der guten Getraude noch mehr zu kombinieren. Doch sie ließ sich nichts anmerken, sondern sagte lachend: »Wie ich sehe, sind Sie verheiratet. Entschuldigen Sie die falsche Bezeichnung, aber Sie sehen wirklich noch so ganz und gar fräuleinhaft aus.«
»Ich bin ja auch erst eine Woche verheiratet.«
»Und dann weinen Sie schon? Kindchen, wo gibt’s denn so was! Scheint ein böser Barbar zu sein, der Herr Gemahl.«
Da mußte Lenore denn doch lachen, wenngleich ihr wahrlich nicht danach zumute war.
In dem Moment trat der junge Arzt an den Tisch und sagte zufrieden: »Du bist ja so vergnügt, Nore, das beruhigt mich ungemein. Ich hatte nämlich schon Gewissensbisse, daß ich dich so lange allein ließ, aber es ging wirklich nicht anders. Es freut mich, daß du Gesellschaft hast.«
»Die sich gleich auf die Strümpfe machen wird, weil der Zug nicht wartet«, warf die Fremde ein, indem sie die Brote in die Tasche tat und dabei schon aufstand.
»Leben Sie wohl, kleine Frau. Lachen Sie viel, dann sehen Sie nämlich bezaubernd aus.«
Lenore verschmitzt zuwinkend nahm sie die Tasche auf und setzte sich in Bewegung.
Ralf fragte unangenehm berührt: »Kennst du die Dame, weil sie so vertraut tat?«
»Nein, ich kenne sie nicht. Sie setzte sich zu mir an den Tisch und gab mir eine Schnitte ab, weil ich sehr hungrig war. Schließlich habe ich seit dem Frühstück nichts mehr gegessen.«
»Aber es gibt doch hier zu essen.«
»Wenn man Glück hat. Und das hatte ich nicht, weil die Bedienung nicht zu erwischen war.«
»Es ist heute auch besonders voll hier. Es tut mir leid, Nore.«
»Ach, laß doch, jetzt bist du ja da. Es wird wohl nicht das letzte Mal sein, daß ich auf dich warten muß, dafür bist du Arzt. Wie wurde es übrigens mit dem kranken Herrn?«
»Wir erreichten gerade so knapp das Krankenhaus, als die Schmerzen richtig losbrachen. Doch nun müssen wir zusehen, daß wir endlich nach Hause kommen. Wohl gab ich Mama fernmündlich Bescheid, daß wir später als vereinbart eintreffen werden, aber länger als unbedingt nötig wollen wir sie dennoch nicht warten lassen.«
Als sie am Portal des Bahnhofsgebäudes anlangten, regnete es so arg, daß Ralf sagte: »Da hilft nun nichts, ich muß eine Taxe nehmen. Bis wir zur Straßenbahn kommen, und dann wieder von der Endstation bis nach Hause, wären wir naß wie gebadete Katzen.«
Also winkte er eine Taxe herbei und stieg zuerst ein, was ihm erst bewußt wurde, als Lenore hinterherkam. Dunkel schoß ihm das Blut ins Gesicht, doch er entschuldigte sich erst, nachdem der Wagen sich in Bewegung gesetzt hatte. Da legte er den Arm um die grazile Gestalt und zog sie dicht zu sich heran.
»Verzeih, Norelein«, murmelte er beschämt. »Ich benehme mich heute einfach unglaublich. Wird dir nicht angst, einen solchen Banausen geheiratet zu haben?«
»Ich glaube schon«, lachte sie ihn so lieblich an, daß er sich beherrschen mußte, sie nicht ganz toll und heiß zu küssen, wozu er durchaus berechtigt war. Aber der Chauffeur störte ihn.
Schön ist das jetzt, dachte Lenore beglückt, sich fester in den Arm des Gatten schmiegend. So möchte ich dahinfahren, Stunde um Stunde. Aber bald werde ich in meinem neuen Zuhause sein. Was wird mich dort erwarten? Ich habe Angst.
*
Daß diese Angst nicht unbegründet war, merkte die junge Frau gleich, als sie den neuen Anverwandten gegenüberstand.
Nein, sie gefielen ihr nicht. Nicht die üppige Frau mit der eingepferchten Figur, der zu jugendlichen Kleidung, dem geschminkten Gesicht, den kühlen Augen. Auch nicht das junge Mädchen, das zwar hübsch aussah, aber in seiner ganzen Art etwas Dreistes hatte. Wenn es nach Lenore gegangen, wäre sie dieser Stätte sofort wieder entflohen.
Kurz und gut: Lenore war im Bilde. Und daß dieses Bild nicht falsch war, sollte die Zukunft lehren.
*
Eine Zukunft, in der das Herz der blutjungen Frau durch alle Höhen und Tiefen des Lebens geschleift werden sollte. War der Gatte mit ihr allein in seiner Liebe und Zärtlichkeit, glaubte sie wenigstens am Rande des siebenten Himmels zu weilen; doch war er fort, sorgten seine Angehörigen schon dafür, daß Lenore mit beiden Beinen in der realen Welt stand, wo Gehässigkeit und Heuchelei sie umgaben.
Wie sollte sich nun das bisher so wohlbehütete, weltfremde Menschenkind darin behaupten? Ja, wenn sie hätte mit dem Gatten rückhaltlos über alles sprechen können, dann wäre manches leichter zu ertragen gewesen. Aber so vernünftige Ansichten der junge Arzt im allgemeinen auch hatte, eine so gute Menschenkenntnis er sonst besaß, wenn es jedoch um Mutter und Schwester ging, war er einfach mit Blindheit geschlagen. Sie waren für ihn unantastbar.
Also schwieg Lenore und machte alles mit sich allein ab, um jede Streiterei mit dem Gatten zu vermeiden. Denn sie wußte ganz genau, daß sie dabei immer nur den kürzeren ziehen würde. Wenn sie sich mit diesen »gutherzigen Menschen« nicht vertrug, dann war es bestimmt ihre Schuld.
Denn die beiden waren schlau genug, sich in Gegenwart Ralfs der jungen Frau gegenüber einer Freundlichkeit zu befleißigen, die Lenore verbittert bei sich mit katzenfreundlich bezeichnete. Doch sobald der Mann den Rücken kehrte, zeigten sie ungeniert ihr wahres Gesicht.
Das heißt, in der ersten Zeit umgaben sie Lenore mit einer süßlichen Liebenswürdigkeit, und zwar aus Berechnung. Nahmen sie doch an, daß diese »einfältige Person« eben einfältig genug sein würde, ihnen Geld und andere Dinge zu geben, auf die sie ein Auge geworfen hatten: Frau Rosalia auf Wäsche, die ja reichlich vorhanden war, Anka auf Kleider und Schmuck.
Nun, Lenore war alles andere als einfältig. Sie war im Gegenteil so klug, daß sie sofort begriff, was man da von ihr mit honigsüßer Miene erpressen wollte.
Diese Anstrengung hätten die beiden nicht nötig gehabt, wenn sie der jungen Frau zum mindesten sympathisch gewesen wären. Dann hätte Lenore das getan, was sie ursprünglich vorgehabt, nämlich mit vollen Händen gegeben von dem, was sie selbst besaß. Hätte wahrscheinlich der Schwiegermutter die monatlichen Abzahlungen bis auf ein Taschengeld für sich erlassen – auch gegen das ausdrückliche Verbot des Gatten. Aber da sie nun diese Frau kennenlernte in ihrer ganzen Schäbigkeit, ballte sie die Hand eher zur Faust, als daß sie diese mildtätig auftat.
Leider war Ralf gegen die Einflüsterungen seiner Mutter nicht gefeit, die allerdings auch sehr geschickt angebracht wurden. Er war eben von der Ehrbarkeit der Seinen so überzeugt, daß er ihnen Intrigen einfach nicht zutraute.
Dann schon eher seiner Frau, obwohl sie über seine Angehörigen nie Klage führte. Aber sie benahm sich auch ihm gegenüber so, daß sich nach und nach eine Entfremdung einstellte, die den Mann verstimmte.
*
Da Lenore gewohnt war, sich im Haushalt zu betätigen, so erschien es ihr selbstverständlich, es gleich von Anfang an auch hier zu tun, was wiederum die Schwiegermutter für selbstverständlich hielt. Aber nur bei der Schwiegertochter, versteht sich. Die Tochter durfte sich schon erlauben, faul zu sein, sie wurde von der Mutter sogar noch bedient. So wurden Lenore nicht nur die Bissen sozusagen in den Mund gezählt, ihr wurden so nach und nach auch alle Hausarbeiten zugeschoben, was ihr nur recht war. Sonst hätte sie ja gar nicht gewußt, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollte.
Sie nahm es gelassen hin, als die Frau ausblieb, die zu Anfang jede Woche einmal zu dem üblichen Hausputz erschienen war. Sie kochte auch und kaufte ein, als Frau Rosalia sich plötzlich so leidend fühlte, so schwindlig und schwach, daß sie sich kaum noch auf die Straße wagte. Nur wenn es ins Kino ging, ins Café und zu sonstigen Vergnügungen, dann