Im Schatten der Schwarzen Sonne. Nicholas Goodrick-Clarke
wahrte die Liga stets Distanz. Leese betrachtete Mosley nämlich als Opportunisten und behauptete, sein Faschismus sei nicht im rassischen Nationalismus verwurzelt, wie sich das für echte Faschisten gehöre. Mosleys erste Frau sei gar jüdischer Abstammung gewesen, verbreitete Leese, und nannte den prominenten Rechtsextremenführer einen »koscheren Faschisten«, ja einen Agenten, den das Judentum in die nationalen Kreise eingeschleust habe, um den Faschismus in England zu diskreditieren.4 1929-39 publizierte Leese ein nazifreundliches Magazin, The Fascist genannt. Kein Wunder, dass er während der Kriegsjahre wie andere Rechtsradikale auch unter die sog. 18B-Regelung fiel, welche die Internierung aller Personen vorschrieb, die dringend verdächtig waren, zur Fünften Kolonne der Deutschen zu gehören. Nach seiner Entlassung nahm Leese die antisemitische Publikationstätigkeit wieder auf und veröffentlichte 1945-56 von seinem Altersdomizil im südenglischen Guildford aus seine skurrile Zeitschrift Gothic Ripples (etwa: »Gotische Zacken«).
In seinem ersten Buch nach dem Ende des Dritten Reiches, The Jewish War of Survival (»Der jüdische Überlebenskampf«), erschienen bereits 1945, musste Leese einräumen, dass die Juden mit der Niederlage Hitlers einen Sieg errungen hatten; er meinte aber, eine entschlossene antisemitische Politik könne auch jetzt noch ihre Macht brechen. 1947 landete Leese kurz erneut im Gefängnis, weil er zwei holländischen Mitgliedern der Waffen-SS zur Flucht verholfen hatte. Was Leese nach dem Krieg von sich gab, wirkt noch kruder als seine früheren Äußerungen. Er glaubte etwa, die Juden förderten die Einwanderung Farbiger, um die rassische Substanz des Britentums zu verdünnen, damit sie die arische Kultur leichter zerstören könnten. Den Arier erklärte er zum Schöpfer aller Kultur und Zivilisation; der »Neger« hingegen war für ihn die niederste Menschenart. Wie Hitler betrachtete Leese die Juden als eine Anti-Rasse, als infernalischen Feind des arischen Menschentums. Dass mit Colin Jordan ein Vertreter der jüngeren Generation seine Gedanken so begeistert aufnahm, bedeutete Leese viel; der dynamische und intelligente Heißsporn schien ihm der richtige Mann zu sein, um seine Ideen weiterzutragen. Jordan wiederum sah in Leese sein großes Vorbild und seinen wichtigsten Lehrer und Berater. Die beiden blieben enge Freunde, bis Leese 1956 verstarb. In Winifred Leese, der Witwe des Altfaschisten, die ihrer Katze den Hitlergruß beigebracht hatte, besaß Jordan während der nun folgenden Auseinandersetzungen innerhalb der rechtsradikalen Szene eine standhafte Unterstützerin. Wie stark Arnold Leese Colin Jordan beeinflusst hat, erwies sich vor allem in der ideologischen Mixtur, mit der Letzterer jetzt an die Öffentlichkeit trat: einerseits rassistischer Populismus als Reaktion auf die Massenimmigration Farbiger, andererseits Fortführung des klassischen Antisemitismus, wie ihn die extreme Rechte bereits in den Vorkriegsjahren gepflegt hatte.
In den frühen 50er-Jahren kehrte Colin Jordan nach Mittelengland zurück und unterrichtete nun an einer Schule in Coventry. Und wieder suchte er nach Möglichkeiten politischer Betätigung im rechten Spektrum. Diesmal fand er sie bei der League of Empire Loyalists (der »Liga der Verteidiger des Britischen Imperiums«), kurz LEL, einer kolonialistischen Pressure Group, gegründet 1954 von dem erfahrenen faschistischen Aktivisten Arthur K. Chesterton (1899-1973). Der Vetter des berühmten Schriftstellers Gilbert K. Chesterton (bekannt durch seine Pater-Brown-Kriminalgeschichten) gehörte in den 30er-Jahren Mosleys British Union of Fascists an und wurde deren Propagandachef. Nach dem Krieg sammelte er jene um sich, denen die zunehmende Auflösung des British Empire nicht passte. Primäres, wenn nicht einziges Anliegen der LEL war die Rücknahme der seit Kriegsende im Gange befindlichen und auch von den seit 1951 wieder regierenden Konservativen unvermindert fortgesetzten Dekolonisation. Dem lag zweifellos eine supremazistische Haltung zugrunde, doch blieb die LEL stets ein Verbund rechtsbürgerlicher, nicht eigentlich rechtsextremer Ausrichtung; der Reputierlichkeit halber hielt man lieber Distanz zur Radikalität etwa des Neonazismus. Dennoch war Jordan in der LEL gelandet. Wie Rockwell versuchte auch er eine Weile, in eher konventionellen Rechtsgruppen eine Heimat zu finden. Immerhin: Die LEL verteidigte aggressiv die Herrschaft des weißen Mannes in Großbritanniens afrikanischen Kolonien – hier lag die ideologische Schnittmenge. Auch imponierte Jordan gewiss die Art und Weise, wie die LEL durch lärmende Paraden und provokative Störaktionen ihren krassen nationalistischen Positionen öffentliche Aufmerksamkeit sicherte.5 Jordan wurde Organisator der LEL für den Bereich Mittelengland. Das Programm der kolonialistischen Lobby freilich erschien ihm zu moderat; gern hätte er einiges vom Ideengut seines Mentors Arnold Leese eingebracht, den Supremazismus des Verbunds um Antisemitismus und andere nazistische Ideologeme ergänzt. Das ging der LEL jedoch zu weit; sie fürchtete wohl Selbstisolation. Erst gegen Ende der 50er-Jahre fand Jordan jenes »heiße Thema«, auf das sich eine eigene Partei gründen, ja, mit dem sich vielleicht sogar eine rechtsradikale Massenbewegung ins Leben rufen ließ: der ständig anwachsende Strom farbiger Einwanderer.
Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte in den führenden Industrienationen Westeuropas akuter Mangel an Arbeitskräften. Was im eigenen Lande fehlte, holte man sich aus anderen, teils sehr fernen Ländern. Im Falle Englands kamen sie gewöhnlich aus dessen Kolonien und Exkolonien, namentlich aus Westindien (Territorien in der und um die Karibik, u.a. Jamaika, Trinidad-Tobago, Barbados, Britisch-Guayana), aus Indien und aus Pakistan. Die ersten westindischen Immigranten trafen bereits 1948 ein; von diesem Zeitpunkt bis 1954 waren es dann jährlich etwa 8000 bis 10.000. Mitte der 50er-Jahre wuchs die Einwanderung aus jener Überseeregion dann auf mehr als 20.000 pro Jahr, die aus Indien und Pakistan auf ca. 10.000. Zwischen 1955 und 1957 suchten insgesamt rund 132.000 farbige Immigranten aus Commonwealth-Staaten ihr Heil in England, darunter allein 80.000 aus Westindien. Ihr Kommen wurde mit einiger Besorgnis registriert, namentlich von der einheimischen Arbeiterschaft, in deren Wohngebieten sie sich niederlassen sollten. Da sich jedoch die etablierten Parteien scheuten, die absehbaren Probleme der Massenimmigration zum Thema politischer Auseinandersetzungen zu machen, war es nur eine Frage der Zeit, bis politische Gruppen sich genau dieses verdrängten Themas annahmen und mit ihm auf Wählerfang gingen.
Aus naheliegenden Gründen war es die radikale Rechte, die sich des Themas bemächtigte und in flammender Demagogie Gegenmaßnahmen reklamierte. Besonders zwei Verbünde taten sich dabei hervor: die National Labour Party (»Nationale Partei der Arbeit«), kurz NLP, und die White Defence League (»Liga zur Verteidigung der Weißen«), kurz WDL – Erstere gegründet von dem ehemaligen Mosley- und Chesterton-Gefolgsmann John Edward Bean, geboren 1927, Letztere von dem uns bereits bekannten Colin Jordan. Beide Parteien entstanden 1957, nachdem Bean wie Jordan die LEL verlassen hatten. Ein Jahr später gab es an mehreren Orten in England heftigste Rassenkrawalle, so im August 1958 im ostmittelenglischen Nottingham und einen Monat danach im Westlondoner Stadtteil Notting Hill. Jordan führte die White Defence League von seinem Hauptquartier in Notting Hill aus, dem »Arnold Leese House« in der Princedale Road 74; Leeses Witwe hatte Jordan das Gebäude großzügig gestiftet. In der spannungsgeladenen und aufgeheizten Atmosphäre des Sommer 1958 organisierte Jordan nächtliche Umzüge durch die Straßen des Viertels, wo bereits zahllose Immigranten wohnten. Auch gab er ein supremazistsiches Lokalblatt heraus, die Black and White News (»Schwarz-und-Weiß-Nachrichten«), daneben bergeweise rassistische Flugblätter und Broschüren – alles mit dem Ziel, in der weißen Bevölkerung Ressentiments gegen die Neuankömmlinge zu schüren.
Die farbige Immigration eröffnete den alten nazistischen Ideen, namentlich den rassistischen, neue Chancen der Vermittelbarkeit. Der große Nutzen der Masseneinwanderung Nichtweißer für das das rechte Lager bestand laut Jordan darin, dass sie die Leute zwinge, in rassischen Kategorien zu denken; und wo die antifarbige Sichtweise hineingehe, da gehe, so die Hoffnung, schließlich auch die allen Völkischen so teure antisemitische Sichtweise hinein. 1959 verfocht er die Ideologie von der Einheit der nordischen Rasse in einer kleinen Zeitschrift, genannt The Nationalist. Im Februar 1960 schlossen sich WDL und NLP unter dem Motto »Für Rasse und Nation« zur British National Party, kurz BNP, zusammen. Mit dabei eine weitere illustre Figur der rechtsradikalen Szene: Andrew Fountaine, Großgrundbesitzer aus Norfolk (Ostmittelengland), als junger Mann Kämpfer im Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten Francos, später bei den Konservativen, die er verließ, als er dort seinem Antisemitismus nicht frönen durfte, dann nacheinander Kombattant Chestertons und Beans. In der neu gegründeten Partei wurde Fountaine Präsident, Mrs.