Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe
Verblendungen, Gifftwerken und sonst viel und mancherley Geplärren des Teufels zu halten sey.
Dieses höchst vortreffliche Buch »trewlich und ordentlich aus Gottes Wort und vieler Gelahrten Bücher alt und new zusammengezogen durch Jodocum Hockerium, Osnabrugensem, Prediger der Kirchen Gottes zu Lemgo« – gewährte der ganzen Reihe der Ratfragenden viel Trost und Erbauung, brachte sie aber doch nicht zu irgendeinem Resultate in bezug auf den Zustand des jungen Grafen. Zum sechsten, zum siebenten, zum achten Male trank der Graf zu Gleichen Herrn Philipp von Spiegelberg unter den Tisch, und er würde seine Siege jedenfalls noch bedeutend vermehrt haben, wenn ihm nicht leider die Gicht in den Magen getreten und Asa födita und Moschus die Parole geworden wären. So entschlief er jedoch wenigstens »seliglich« in dem stolzen Bewußtsein, daß er als Überwinder aus der durstvollen Wüstenei dieses Erdenlebens scheide.
Meister Jodokus Hockerius mochte in seinem Buche mancherlei gesagt haben von den Teufeln und gute Antwort gegeben haben auf die Fragen: Ob und wie die Teufel Wunder und Zeichen tun können? – Ob und wie sie weissagen und zukünftige Dinge wissen mögen? – Ob sie Krankheiten heilen und der Menschen Sinne äffen und betrügen können? – Ob sie der Menschen Gedanken erkennen und auch können in der Menschen Leiber fahren? – Ob und wie sie Corpora d. i. Leiber an sich nehmen? – Ob sie sich in die Gestalt der verstorbenen Menschen oder Seelen verkleiden mögen? – Ob sie Menschen in Tiere verwandeln mögen? – Ob sie auch können Träume und Nachtgesichte machen? – Ob sie auch Wetter machen und das Gewölk verstören können? – Ob sie auch mögen Buhlschaft treiben und wie man sagt Incubi und Succubi werden mögen? – Ob sie können Milch, Butter, Wein, Bier, Brod, Eier und andere Dinge stehlen?
Wie sollte dem Kranken Hülfe geschafft werden, wenn die Zauberin Fausta La Tedesca im Schloß Pyrmont blieb und bleich und schön durch das scheue Gesinde schritt?
Wohl konnte Fausta La Tedesca Wunder und Zeichen tun – wohl konnte sie der Menschen Sinne äffen und betrügen – wohl konnte sie der Menschen Gedanken erkennen – wohl konnte sie Träume und Nachtgesichte machen – wohl konnte sie Buhlschaft treiben, und daß sie in den andern Punkten des dämonischen Sündenregisters ebenfalls gut befahren sei, daran zweifelte weder Walburg von Spiegelberg noch der Kaplan noch das Schloßgesinde. Aber unbewegt von alledem, was über sie gesprochen wurde, unerschüttert durch alle leisen und lauten Drohungen, die sie auf ihren Wegen verfolgten, blieb Fausta La Tedesca im Schloß Pyrmont. Schon fingen auch die Hintersassen von Spiegelberg an, Leib und Seele ihres jungen Grafen für gefährdet zu halten, und am liebsten hätten sie die »fremdländische Hexe« verbrannt auf einem tüchtigen Scheiterhaufen von grünem Holz oder sie begraben auf einem Kreuzweg mit einem Pfahl durch das Herz.
Man schoß einen Armbrustbolzen auf die schöne Maid ab, als sie eines Abends mit Herrn Philipp an der Emmer im Mondschein lustwandelte; und der Schuß ritzte ihre weiße, runde Schulter ein wenig, daß drei Blutstropfen durch das feine Hemdlein drangen. Der Täter, ein Mann aus Löwenhausen, ein Leinweber, wurde jedoch glücklich ergriffen und sagte aus: er hab die Armbrust abgedrückt aus Liebe zu seinem gnädigen Herrn und hab ihn dadurch lösen wollen aus den Banden des greulichen Gespenstes, so ihn – seinen gnädigen Herrn – gefesselt hätte. Der Graf zu Pyrmont nahm jedoch diese Liebe und Fürsorglichkeit sehr übel auf, ließ ein kurz Gericht halten über den getreuen Knecht Eckart und hing ihn auf an seinem hochgräflichen Galgen zu einem abschreckenden Beispiel für andere gleichgestimmte, wohlmeinende Seelen.
Die beiden Schwestern von Spiegelberg, Ursula und Walburg, konnten nur stillschweigende Opposition gegen den unheilvollen, schönen Eindringling machen. – Nach Martin Luthers Ansicht haben Fürsten und Herren große treffliche Engel, denen sie in Schutz befohlen sind; Kinder und schlechtes Gesinde dagegen sind nur gemeinen Engeln anbefohlen; ach, so hoch der Schutzgeist des Grafen zu Pyrmont in der himmlischen Aristokratie stehen mochte, auf sein Amt gab er gar schlecht Achtung und überließ ihn – höchstwahrscheinlich durch eigene wichtige Geschäfte abgehalten – allen Anfechtungen des bösen Prinzips!
Mit ihren schwarzen Augen sog Fausta La Tedesca Herrn Philipp alle Kraft und Macht aus, daß er immer bleicher und hohlwangiger wurde, immer finsterer und immer menschenscheuer. Am liebsten zog er einsam, nur von seinen Hunden begleitet, im Walde umher. Nach tagelanger Abwesenheit fanden ihn seine Jäger am häufigsten am Toren to mayen, dem »Klageturm«, welchen der römische Feldherr Germanicus dem toten Heer des Varus aufgerichtet haben soll. Hier, auf fremdem Gebiet, saß Herr Philipp, die Kniee in die Höhe gezogen und das Kinn auf die Kniee gelegt, und starrte regungslos in den düstern Forst hinein. Armer Philipp von Spiegelberg, wer hätte das damals gedacht, als du so fröhlich und wohlgemut Neuigkeiten austauschtest an der Fähre zu Holzminden mit dem Bürgermeister und den Bürgern? Armer Philipp von Spiegelberg, war das das große Unheil, welches der Komet dir verkündete? –
Die Magierin Fausta hatte den deutschen Grafen gefangen und hielt den Zappelnden in ihrem Hamen hoch in der Luft und ergötzte sich nicht wenig an dem buntschillernden Farbenspiel des armen Burschen und wußte nichts von Gewissensbissen über solch abscheulich Spiel. Und mit der Fausta hielt Simon Magus die beste Freundschaft und gab ihr viele vortreffliche Ratschläge sowohl unter der Brunnenlinde als in dem Schloß Pyrmont und in dem kleinen Zelt auf der stillen Waldlichtung. In diesem kleinen Zelte zündete der Diener des Blinden allabendlich eine hängende Lampe an, und gelockt von dem Schein, welcher durch die zurückgeschlagenen Vorhänge fiel, kamen Nachtkäfer und Nachtschmetterlinge aller Art und umflatterten die Ampel. Seltsame Geschöpfe lockte das Licht im Walde an. Es stieg vom heiligen Born herauf Simon der Zauberer, geführt von jenem jungen Weibe, welches einstmal dem Grafen Philipp auf seinem Morgenspaziergang im wilden Tanz der Besessenen vor die Füße fiel. Nicht umsonst hatte der Magier seine Kraft und Kunst an ihr erprobt; da liegt vor uns eine alte Chronik, von deren staubigen Blättern der Erzähler abliest:
»– und obwohl er blind war und jhre Schönheit nicht sehen konnte, dennoch nahm er sie zu der Ehe und zog mit jhr fort in seine Heimat. Und als sie daselbs wohneten, führet jhn das Weib einsmals auf den Balkon. Da erschienen jhr zwo weiße Münniche, das sonderzweiffel Teuffel gewesen sind, die hulffen jhr, schündeten auch zu, daß sie jhren blünden Kerl durch die Luken herunter stürtzet. Stieg darnach herab, und als die zwei weißen Münche jhr wiederumb erschienen, jhr halffen und zuschündeten, tödtet sie jhn fortan, hieb jhm den Kopf, Hände und Füße ab und stieß jhn in einen Offen, macht ein Fewer umb jhn her, der Meinung jhn aufzubrennen. Aber der Geruch von dem Branten drang zum Hause, das rings umb her versperret war, hinaus, daß man also das Branten über etliche Häuser riechen kundt. Derwegen wurden die Nachbarn wach, brachen das Haus auff und funden das Weib auff frischer That, die jhre Ubelthat frey bekennet, ist auch vom Erbarn Rathe zum Tode verurtheilet und gebürlicher Weise hingericht worden.«
So steht es in den alten, schnörkelhaften Lettern auf dem gelben Papiere. Beim Umwenden der Blätter steigt ein unheimlicher – ein Blut-und Brandgeruch daraus auf; – fort damit, was geht hier uns das Ende Simons des Magiers an? Dum vivimus, vivamus!
Seltsame Nachtkäfer und Nachtschmetterlinge, seltsames Gesindel sammelte sich um das rötlich strahlende Licht im Zelt des Blinden. Vom heiligen Anger herauf durch den Wald huschte es – ließ Wachtrufe, Pfiffe – Losungsworte und Zeichen erschallen. Hätte der Graf von Pyrmont die geringste Ahnung von dem gehabt, was allnächtlich auf der Waldlichtung am Bomberge beraten und besprochen wurde, die Lampe Simons des Magiers, welche er von den Fenstern seines Schlafgemaches aus an dem Berge gleich einem Pünktchen flimmern sah, wäre jedenfalls ausgeblasen worden.
Die abenteuerlichsten Gestalten – Männer und Weiber – lockte und leitete die Lampe des Blinden; aber der schönste Nachtfalter, welcher heranflatterte, war Fausta La Tedesca – la falsa Maga, welche, wenn das Leben der Nacht im Walde sich regte, vom Schloß Pyrmont her durch die Dämmerung glitt, um von dem blutroten Weine des Zauberers Simon zu trinken und seinen Worten zu lauschen.
In dem Zelte des Blinden vollendete Fausta ihre Erziehung – sie, die mit dem großen Meister Tizian Vecelli da Cadore auf dem Adriatischen Meere einst schiffte – sie, deren holde Glieder Michelangelo Buonarotti in Ton nachbildete – sie, welche an der Hand von Fürsten über die Marmorplatten der italischen Paläste schritt.
Du hattest recht, daß du den Kampf aufgabst, Benedictus Meyenberger!