Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe
berichtet, wer Christof von Wrisberg war und was Don Cesare Campolani suchte auf dem Schloß Pyrmont.
Jetzt legt der Erzähler die Gänsefeder der Romantik nieder für einen Augenblick und greift verstohlen nach der Schwanenfeder der Historie. Ein beängstigendes Gefühl überfällt ihn, wie er die Spitze der letztern auf dem Daumennagel prüft; aber da er schon mancherlei in seinem Leben gewagt hat, so faßt er sich auch jetzt und – wirft einen kritischen Blick auf die allgemeine Weltlage des Jahres eintausendfünfhundertsiebenundfünfzig!
Auf dem päpstlichen Stuhl rückte als Paul der Vierte Signor Giovanni Pietro Caraffa, ein sehr hitzköpfiger Herr, immerfort unzufrieden mit sich und der Welt, hin und her. Es war ihm nicht gegeben, einen Augenblick still zu sitzen und die andern still sitzen zu lassen, sein galliges Temperament erlaubte es durchaus nicht. Die lutherischen Ketzer haßte und verfolgte er bis in den Tod, ja bis über den Tod hinaus; aber noch viel mehr haßte er das Haus Habsburg, welches auf dem deutschen Kaiserthron und dem spanischen Königsthron saß, würdig vertreten durch Ferdinand den Ersten und den guten Philipp den Zweiten. Manche schlaflose Nacht verursachte der alte, jähzornige heilige Vater diesen beiden mächtigen Herrschern, diesen beiden eifrigsten Katholiken. Den Kaiser und den König zu demütigen, würde Paul der Vierte mit dem Sultan Soliman einen Freundschaftsbund geschlossen haben; ihnen neues giftiges Unkraut unter den Weizen zu säen, hatte er seinen Nepoten, den Kardinal Caraffa, nach Paris geschickt, um den König Heinrich zu einem neuen Kriege gegen die Spanier und den Kaiser aufzustacheln. Mit Hilfe der Guisen und der schönen Diana, der Herzogin von Valentinois, gelang dieses dem diplomatischen Kardinal aufs trefflichste. Der Waffenstillstand von Vauxelles wurde gebrochen, die Heeresscharen des französischen Königs rückten gegen die flandrischen Grenzen und verwüsteten nach dem alten Sprichwort: ein guter Anfang macht halbe Arbeit – mit Feuer und Schwert unter der Führung des Admirals Kaspar von Coligny das Artois. Um auf der andern Seite nichts zu versäumen, ging der Herzog von Guise selbst über die Alpen nach Italien, wo er aber einen Mann fand, der wohl fähig war, ihm standzuhalten, wo ihm nämlich Ferdinand von Toledo, Herzog von Alba, entgegentrat.
Krieg, Aufruhr, Blutvergießen viel
Dir ein Komet besagen will –
Krieg! Krieg! Krieg! –
In der guten Stadt Paris auf dem Greve-Platz schaute vom hohen Balkon Heinrich von Valois samt seinem Hofstaat mit großem Vergnügen zu, wie man die Hugenotten über einem lustigen Feuer aufhing und sie an Rollen und Ketten künstlich aufzog und niederließ, bis sie kunstgerecht gebraten waren: den armen Ketzern in Deutschland aber tat er auf jede Weise Vorschub, gab dem Verräter Moritz von Sachsen Waffen und Geld zum Kampf gegen Karl den Fünften und floß über von Liebe, Freundschaft und Hochachtung gegen die Männer der Reformation. Daß er dadurch Metz, Toul und Verdun gewann, war der reine Zufall und durchaus nicht Absicht und Berechnung. Ein altes, ewig neues Spiel mit der Dummheit und dem Egoismus der Menschen, ein altes, altes Spiel, damals wie heute Politik genannt! O du »tapfere, kluge, wohlmeinende« deutsche Nation, wie hart strafst du dich selbst seit Jahrtausenden!
Und wieder sollte das alte Spiel beginnen, und die Karten waren gemischt und wurden eben verteilt.
Schon war das Reich überschwemmt von den werbenden, aufstachelnden, katzenpfötigen Emissären der Franzosen, welche dem einen in ihrem König den Beschützer und Freund des lutherischen Glaubens, dem andern die lockende Aussicht auf die reiche, kommende Beute vor die Augen stellten. Schon hatten die listigen Werber Tausende und aber Tausende deutscher Männer, darunter Freiherren, Grafen, Barone und Fürsten erkauft für Frankreichs Dienst – eintausend reisige Knechte hatte allein der Rheingraf aufgebracht!
Und noch immer durchzogen die Schleicher in jeglicher Gestalt das Land.
Es warb für den französischen König Don Cesare Campolani.
Es warb für den französischen König Christof von Wrisberg! Widerliche Gesellen beide, sowohl der Romane wie der Germane!
Der letztere war so recht einer jener wunderlichen Söldnerführer des totschlagmutigen sechzehnten Jahrhunderts. Abgehärtet gegen jeden Wechsel des Glücks wie gegen jeden Wechsel der Witterung, gewissenlos im höchsten Grade, hatte er im Jahre 1557 bereits ein wildes, wüstes, ereignisreiches Leben hinter sich.
Schon 1546 hatte er für Karl den Fünften in Westfalen Reiter und Fußknechte geworben, und Nikolaus Mamertanus führt ihn unter den Generalen des Kaisers auf. Im Jahre 1547 stand er im Schmalkaldischen Kriege an der Spitze von einundzwanzigtausend Mann zu Fuß und zwölftausend Mann zu Roß und verlor im Verein mit Erich von Braunschweig im Mai bei Drakenburg an der Weser eine große Schlacht gegen die protestierenden Grafen von Oldenburg und von Mansfeld und die Hansestädte. Trotzdem machte er jedoch kein übles Geschäft dabei, indem er im entscheidenden Momente der Schlacht in der Hamburger »Losament und Lager« fiel, den wehrlosen Troß niederhieb oder verjagte und sich sämtlicher Habe der Knechte und ihres Führers Kurd Pfenning bemächtigte. Wütend sang das siegreiche Kriegsvolk:
»Wir han das Feld,
Wrisberg das Geld;
Wir han das Land,
Er hat die Schand!«
Solches kümmerte aber »Fritzbergern den Helden« wenig, und er würde sich trotz seinem verminderten Kriegsruhm ins Fäustchen gelacht haben, wenn nicht die Geschichte nachher unangenehmere Folgen nach sich gezogen hätte.
Auf dem Tage zu Halle nämlich legte ihm sein Waffengenoß Herzog Erich der Jüngere von Braunschweig vor dem Kaiser alle Schuld der verlorenen Schlacht auf, und trotz der gewandten Verteidigung Christofs ließ ihn der erzürnte Karl gefangensetzen. Mamertanus teilt die Schuld an dem Verlust der Schlacht in zwei gleiche Teile, stellt sich sogar ein wenig mehr auf die Seite des Wrisbergers.
Seit dem Tage von Halle verschwindet Christof von Wrisberg aus den Berichten, Briefen, Chroniken der Zeitgenossen und tritt erst wieder hervor im Jahre 1557, wo er, wie gesagt, für den König von Frankreich, Heinrich von Valois, warb; – der Erzähler aber wirft die schwere Schwanenfeder fort und greift wieder nach der leichtern Gänsefeder, um seinen Lesern weitern Bericht von den Vorgängen auf dem Schloß Pyrmont zu geben.
Nach dem schweren Tagemarsch durch den Schnee und Wind, nach dem guten Nachtmahl schlief der Ritter Christoffel, wenn auch nicht den Schlaf der Gerechten, so doch einen gesundern Schlaf als Don Cesare Campolani. Die Gespenster, welche der alte Kondottiere in seinem Leben aufgestört hatte, waren anderer Art als die, welche den romanischen Ritter belästigten, und wurden durch einen tüchtigen Trunk vielleicht allzu schnell verjagt. Und da der Wrisberger auf andere Weise eingeschlafen war wie der Sizilianer, so erwachte er auch auf eine andere Art, als kaum der Wintermorgen trübe, warm und windstill dämmerte.
Dreimal nieste Christof, dreimal gähnte er und zeigte dabei ein ungeheueres Gebiß, welches sich im besten Zustande befand, dreimal reckte und dehnte er sich, daß das Bettgestell gar bedenklich in allen seinen Fugen erkrachte. Dann sprang er mit beiden Füßen zugleich vom Lager, öffnete das Fenster und sog begierig die feuchte Morgenluft ein, um seinen innern Leichnam dadurch abzukühlen. Pfeifend begann er darauf seine äußerst einfache Toilette und kam sehr bald damit zu einem Ende. Dann stieg er die Wendeltreppe hinab – er wußte sehr gut Bescheid auf dem Schloß Pyrmont – und trat in den Hof, wo sich bereits einiges Leben in den Ställen und um den Brunnen regte.
Der alte Haudegen war durchaus nicht wählerisch in seinem Umgang. Das Lagerleben hatte ihn daran gewöhnt, in Ermangelung des Bessern mit dem vorlieb zu nehmen, was ihm zuerst in den Weg lief, und wenn es das Allerschlechteste war. Ja, das Allerschlechteste war ihm im Grunde der Seele eigentlich das Liebste!
Nachdem er seine eigenen Knechte von der Streu aufgewettert hatte, stellte er eine genaue Inspektion der Ställe an, fuhr hie und da mit einem gräßlichen Fluch zwischen die Spiegelbergschen Mannen und ließ sich zuletzt, an der Stalltür lehnend, in ein langes Gespräch über Pferde, Hunde, Jagd und dem, was daranhangt, mit unserem Freunde Klaus Eckenbrecher ein. In dieses Gespräch suchte der alte Taugenichts aber auch jede Magd, welche mit ihrem Eimer am Brunnen erschien, durch gar feine, zierliche Scherzreden, die jedesmal ein großes Erröten und Gekicher, oft sogar ein eilfertiges Davonlaufen bewirkten, hineinzuziehen.
Die