Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe - Wilhelm  Raabe


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– so geht die Welt mit einem; der großmächtigste Kaiser und Herr der Welt wird ein armer Mönch, wenn er vom Roß steigen muß; und Kaspar Wicht, das arme Reiterlein, zieht als ein Bettelmann im Land um, wann er hat absatteln müssen.«

      »Es war wohl ein schrecklich Ding, als Ihr zum allerersten Male in solch eine greuliche Mordschlacht ‘nein mußtet, Kaspar?«

      Der fahrende Mann lachte gutmütig. »Ei, Kind, das ist so lang her, als ich zum ersten Male darbei war, wo man mit eisernen Besen stäupt, daß ich fast vergessen habe, wie mir damalen zumute gewesen ist. War ich ein blutjunger Bursch und beim Troß, als der gute Kaiser Maximilianus, dessen Seele Gott haben möge, bei Regensburg die Böhmen und den Pfalzgraf Ruprecht windelweich klopfte, als man zählete fünfzehnhundertundvier … Gott grüß Euch, ehrwürdiger Herr – nehmt’s nicht für ungut, daß ich allhier in Eurer Küchen meine alten Knochen raste.«

      Der Pastor Fichtner nickte dem sich erhebenden Fiedelmann zu. »Bleibet sitzen, wo Ihr sitzet, und fahret fort in Eurer Red; ich hab wohl ein Viertelstündlein über, Euch zuzuhören.«

      »Dank Euch, Ehrn; ich verzähl eben der Jungfrau, wie ich gezogen bin im Troß mit dem guten Kaiser Maximilian und dem Herzog Erich – ich meine den Alten – gegen die Böhmen, Anno fünfzehnhundertundvier.«

      Der Pastor lüftete ein wenig das schwarze Käppchen, welches sein Haupt schützte:

      »Das waren beide ein paar hochgewaltige, wackere und gottesfürchtige, fromme Herren, sowohl der Kaiser als der Herzog.«

      »Das waren sie, bei Gott!« rief der Spielmann, den Bierkrug zur Bekräftigung seines Wortes fest vor sich niedersetzend. »Und es war damals auch noch eine andere Zeit – heiliger Tod von Basel, wenn ich daran gedenk, wird’s mir jedesmal ganz warm ums alte Herz. Damals trug man noch Eisen auf dem Leib und nicht so einen Firlefanz, so man heut anschnallt und eine Rüstung nennt. Wie machten es die Böhmen bei Regensburg? Ihre hohen Schilde, die unten in eiserne Spitzen ausliefen, hatten sie vor sich in den Boden gestoßen und also eine echte, wahre Schildburg um sich her gemacht, eine Mauer, welche zu zerbrechen ein echt, wahr Kunststück war. Hei, wie hat Kaiserliche Majestät ihre Kraft und Kunst an dieser Schildburg erprobet! Ja, drauf und dran und abermalen und wieder und nicht nachgelassen! Wie rasaunten die Kesselpauken und Drommeten, wie war alles lustig, wild und guter Dinge! Ich hab es nachher abgekonterfeiet auf dem Calenberg an einer Wand in des Herzogs Gemach gesehen. War’s von einem künstlichen Meister gemachet, aber gegen die Wirklichkeit kam’s doch nicht an. In dieser gewaltigen Schlacht hat der Erich den güldenen Stern der Ehren und der Treue in den Helmbusch sich gewonnen, als er dem tapfern Kaiser Maximiliano mit großer Gefahr das Leben errettete.«

      »Wahrlich«, sprach Ehrn Valentin Fichtner, »Ihr habet recht, es waren wackere Herren und stolze Herzen. O, wie ist ihre Art doch ausgestorben in der Welt! Der jetzige Erich, der sich den Jüngern nennen läßt und der nun mit gen Flandern fährt, ist auch von einem andern Schlage. Im Grabe würde sich sein Herr Vater umdrehen, wenn er wüßt, was für ein Regiment nach ihme im Lande kommen ist! Wahrlich in seiner Todesstund noch wird diesem Erich dem Jüngern, diesem Abtrünnigen, diesem Julian Apostata und landfahrenden Meister Liederlich das Bild und Angedenken des Mannes Gottes Anton Corvinus, des gottseligen evangelischen Märtyrers, welchen dieser Herzog im dunklen Kerker hat verschmachten lassen, erscheinen – Mene mene tekel upharsin!«

      Stumm nickte der Geiger den zornigen, bewegten Worten des alten lutherischen Pastors seinen Beifall; dann sprach er:

      »Jaja, so ist’s! Gott befreie uns von der Fürsten verfluchtem Wandern und Fahren in alle Welt, so nun eingerissen ist. Das Ihrige verachten sie, um fremden Abfall buhlen sie; wie ist’s ein Wunder, daß bei solchem Ärgernis auch das Volk endlich fremdgierig wird und der Franschen und der Welschen Dreck für Bisam nimmt?«

      »Ihr redet wie ein kluger Mann, Meister; hatt’s Euch, aufrichtig gesagt, nicht zugetraut!« rief der Pastor ganz verwundert, und der Fiedelmann, angefeuert durch solches Lob, fuhr im Eifer fort:

      »Ja, wodurch geschieht’s, daß alles sich zum Schlechten kehret? Gott schütz unsern evangelischen Glauben; aber seit dem Jahr Siebenzehn ist’s aus mit der Macht und Herrlichkeit der deutschen Nation für lange, lange Zeit, und ich glaub –«

      »Halt da!« schrie der Pastor zornig. »Was schwatzet Ihr nun für Unsinn – ein Narr seid Ihr doch, und wenn Ihr ein gut Wort sagt, ist’s, als wenn die blinde Henn ein Korn findet. Ich frage Euch, was kümmert Euch des deutschen Reiches Macht und Herrlichkeit, wenn das Reich Gottes durch ihren Untergang gewonnen wird? Ich sage Euch, mag des Reiches Macht und Herrlichkeit aufgegriffen werden wie ein Vogelnest, darin, wie geschrieben stehet, ›niemand eine Feder reget oder den Schnabel aufsperret oder zischet‹ – wenn nur das Evangelium Jesu Christi, das reine Wort Gottes hell leuchtet in alle Ewigkeit! Solches ist das Wahre und das Einzige!«

      »Und ich sage Euch«, schrie der Spielmann, »ich sage Euch, das Wahre mag solches wohl sein, aber das Einzige ist’s doch nicht. Geboren bin ich als ein katholisch Kind, dem reinen Glauben bin ich zugefallen als ein Mann, dem Kaiser Karl hab ich treu gedient gegen die Franzosen und die Mohren; aber des schmalkaldischen Handels wegen bin ich ein Spielmann, wie Ihr saget, ein Tagdieb und Landstreicher geworden, ob ich wohl Schwert und Hellebarde noch hätt führen können.«

      »Trinkt aus und packt Euch«, sagte der Pastor Fichtner. »Wir passen nicht zusammen, das ist klar wie die liebe Sonne. Habet Ihr Euere Botschaft an die Monika ausgerichtet?«

      »Alles in Ordnung, Ehrwürden«, lachte der Wichtelkaspar. »Nicht wahr, Jungfräulein?«

      Die Monika, welche beim Ausbruch der Kontroverse ängstlich gehorcht hatte, zupfte errötend und lächelnd am Schürzenzipfel und nickte.

      »Reicht mir Euere Hand, Ehrwürden«, sagte der Geiger. »So viel Köpfe im Reich, so viel Sinne; der liebe Gott hat’s einmal so eingerichtet, und es wird wohl seinen Nutzen haben. Reicht mir Euere Hand, ich mein sonst, Ihr zürnt mir in Wahrheit, und das würd mir den langen Weg, so ich heut abend zu gehen hab, recht sauer machen.«

      »Da, Patron«, sagte der Pastor halb unwillig, halb lachend. »Nun laufet und bittet Gott, daß er Euch erleuchten möge.«

      »Behüt Euch Gott, Herr Pastore«, sprach der fahrende Mann. »Und, Jungferlein, Ihr könnet Euch darauf verlassen, daß, wenn auch eine Schlachtung kein Plumpsackspiel ist, doch manch einer heil und munter, mit ganzen Beinen und ganzen Armen draus hervorgehet. Und glaubt’s, einen Bräutigam verschonen die Kugeln vor allen andern, – das ist eine Merkwürdigkeit, aber eine Wahrheit.«

      »So hab ich mein Tröpflein Trost!« sprach die Monika, und der Fiedelkaspar pfiff seinem Hunde und ging. – –

      Am fünfzehnten des Heumonds, an einem Freitage, stand die Sonne ganz dunkelrot am Himmel, und ein blauer Zirkel – nach Pastor Fichtners Tagebuch »so blaw als ein’ Kornblume« – zog sich um sie her.

      Am siebenzehnten desselbigen Monats, als die Leute eben aus der Kirche kamen, »hat es Blut geregnet, daß der Frawen weiße Tücher ganz beflecket damit wurden.«

      Im Anfang Augusti ist im Pipping von zwei Stadtleuten wieder einmal der Haselwurm gesehen – »achtzehn Schuh lang, dick wie ein Mann um die Hüfft. Am Kopfe ist er wie eine Katze gestalt, der Leib grün und gelb gewesen, die Füße hat er am Bauch gehabt. Diese Würme lassen sich selten sehen, sind aber so gar unbekandt nicht. Haselwurm wird dieser Wurm darum genannt, weil er sich gemeinlich unter den Haselstauden finden lasset.« –

      In diesen Tagen, während der Monika armes Herz in Zittern und Zagen jedem Gerücht lauschte, welches aus dem Westen herüberdrang, fing der Pastor Valentin Fichtner eine neue Schrift an: »Wider des Babsts Abgötterey«. Mit dem allergrößesten Eifer vertiefte er sich in dieses Werk und half sich so viel leichter als sein Kind über die schwere Zeit fort.

      Am fünfundzwanzigsten August, als Ehrn Valentin grade schrieb an dem Kapitel: »Über die Verderbnis der christlichen Kirchen durch das Babstthumb« – gelangte die erste unbestimmte Nachricht von einer gewesenen großen Schlacht in Flandern nach Holzminden, und Wunderdinge wurden erzählt von dem, was in der Ferne geschehen sein sollte. Mit entsetzten


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