Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe - Wilhelm  Raabe


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heißen Heumonds. Die Luft zitterte draußen ordentlich; aber Feuer vertreibt ja Feuer, und so war’s in der dunkeln Schmiede, neben dem sprühenden Herde, viel kühler, als man sich vorstellen sollte. Lustig klangen die Hämmer des Meisters und des Braunschweigers im Takt und ruhten nur einen kurzen Augenblick bei meinem Eintritt.

      Der Leutnant saß an seinem gewohnten Platze auf der Bank an der Thür, von wo aus er die Straße mit dem Auge beherrschte. Freundlich lächelnd rückte er zu und machte mir Platz neben sich, nachdem ich mir für meine Pfeife eine Kohle von dem Schmiedefeuer geholt hatte.

      »Heiß, heiß!« sagte der Leutnant. »Heißes Wetter; aber man ist’s ja gewohnt.«

      Damit strich er über die trockene, verbrannte, verschrumpfelte Haut seines Gesichtes.

      Er trug seine Festtagsuniform und seine Medaillen, und als er merkte, das ich ihn darauf ansah, sagte er:

      »‘s ist heute ein Feiertag für mich. Wir schreiben heute den 28. Juli, heut’ vor sieben Jahren stand ich mit der Legion im Sonnenfeuer des spanischen Himmels und im Erdenfeuer der Franzosen bei Talavera de la Reyna.«

      Ich grüßte militärisch als alter Soldat, indem ich zwei Finger an die Stirn hob.

      »Ja, Kamerad,« fuhr der Leutnant fort, »nach der Hitze, die ich an jenem Tage ausgestanden habe, kommt mir alles, was ich nachher an Glut erlebe, nur als Kühlung vor. Das war ein Vorgeschmack der Hölle. Vom Morgen bis zum Abend Gewehrfeuer und Geschützfeuer fort und fort, – Getreidefelder, Bäume, Büsche in hellem Brande; im hellen Brande die Sonne, daß Säbelklingen und Scheiden, daß Flinten-und Pistolen-Läufe und -Schlösser, bei der Berührung, Brandblasen an Euren Fingern hervorbringen! Und durch die brennenden Felder, Wälder und Büsche Kavallerie-und Infanterieangriffe, – Franzosen, Spanier, Engländer, Deutsche ineinander verbissen – – wo ist die Annie, Hans?«

      »Sie sitzt hinten im Garten, in der Sonne,« sagte der Lehrbube.

      »Armes Kind!« murmelte der alte Soldat. »Sie fürchtet auch die deutsche Sonne nicht.«– – – – – – – – – – – –

      Welch Gesindel dringt heut Abend mit dem Mondenschein in meine Stube und sucht mich zu stören beim Schreiben! Da sind täppische, tölpische, dickleibige, summende, brummende Gesellen, da sind zierliche singende Jungfräulein, in durchsichtigen leichtsinnigen Gewändern, welche sie sich mit aller Gewalt an der Flamme meiner Lampe verbrennen wollen. Welch’ eine holde, kühle, duftige Nacht!

      Und nun hab’ Dir, mein Sever, in dieser Mondscheinnacht zu erzählen, wie der Leutnant Bart das Ännchen aus soviel Blut und Feuer, Tod und Verwüstung errettete. Wie er es forttrug in seinem Soldatenmantel, vom Schlachtfelde Talavera de la Reyna.

      Und in dieser kühlen, ruhigen, klaren Mondscheinnacht entgeht meiner Seele nichts, was jenes glühende, versengte, zerstampfte und zertretene Spanien charakterisiert. Ich sehe vor mir die steinigen, baum-und wasserlosen Hochebenen sich breiten. Die Hütten liegen verbrannt, als schwarze rauchende Trümmerhaufen da. Die Brunnen sind durch hineingestürzte Leichen geschändet und vergiftet; – ein Trunk aus ihnen ist sicherer Tod. Nirgends ein erquickender Ruhepunkt für das schmerzende, brennende Auge. Fort und fort singen die Cikaden, sinnverwirrend zur Seite des Weges, welchen das Heer, in Staubwolken gehüllt, zieht. Fast unmöglich ist das Atemholen. O welch’ ein Marsch für die nordischen Männer, die Kämpfer aus England und den schottischen Hochlanden, die Männer der deutschen Legion. Welch’ ein Zug! Reiterei, Fußvolk und Geschütz; – kreischende portugiesische Ochsenkarren mit Verwundeten, Maroden, Weibern, Kindern und Bagage! Gefangene Franzosen, liederlich dem Heer folgende Nonnen aus den zerstörten verwüsteten Klöstern, halbnackte Bauern, Guerillas – Leichen über Leichen in den Gräbern der Landstraße.

      »Was für ein Gebäude dort zur Seite?«

      »San Juste, Sennor!« antwortet der Ochsentreiber, und das ausgetrocknete entzündete Auge des Reiters schließt sich wieder. Wer hat noch die Geistesklarheit, der welthistorischen Stelle, des Kaisers Karl des Fünften zu gedenken? Fort und fort, fort und fort wie im Fiebertraum schwankt der Zug. Das ziehende Heer verliert in der höllischen Glut fast vollständig jedes Bewußtsein von sich selbst. Unter den Tausenden ist nicht einer, der nicht mechanisch einen Fuß vor den andern setzt; ist nicht einer, der nicht gleich einer toten Last auf dem keuchenden Gaul hängt.

      Die Abspannung ist so groß geworden, daß der Mensch zu einer Maschine ward, die einem ihr gleichgültigen Gesetze zufolge in Bewegung ist.

      Tagelang, wochenlang immer weiter, immer weiter!

      Manchmal kracht und knattert es beim Vortrab – was kümmert das das Heer? Es trifft einige Leichen mehr auf seinem Wege und schleppt sich darüber weg – o diese Sonne! diese schreckliche Sonne!

      Endlich am 16. Juli 1809 sieht man zum erstenmal wieder Bäume, deren Laub nicht verdorrt ist, hohe Eichen und Buchen folgen einem Wasserlaufe.

      Ein Fluß kriecht durch die Gegend, und wie das Heer Alexanders gegen den Kydnus, so stürzt das Heer des General Wellesley gegen den Xerte – wahnsinnig – wie rasend! Man schöpft das lauwarme Wasser, zu trinken, die Augen, die Hände, das Gesicht zu kühlen! man stürzt sich ganz hinein – wie toll heben sich die Rosse; wie toll brüllen die Ochsen. – Wasser! Wasser! Wasser!

      Was naht da für ein Kavalkade im wilden Galopp? der General ist’s, Wellesley ist’s!

      Boten sind gekommen an den Oberfeldherrn. Joseph Bonaparte mit der Garnison von Madrid, den Garden und dem Corps des General Sebastiani, fünfundzwanzigtausend Mann stark, droht sich mit dem Marschall Victor zu vereinigen, welcher mit fünfunddreißigtausend Mann bei Talavera steht.

      Vorwärts, vorwärts!

      Wo bleibt Cuesta? Cuesta mit seinen fünfunddreißigtausend Spaniern?

      Vorwärts, vorwärts!

      Berge steigen empor: – Schneeberge über den Wolken. Das ist die Sierra Estrella. O welche Wonne ist der Marsch im Schatten der Wälder, der Felsen! Wie atmet das Heer auf unter dem kühlenden Winde, der ihm das Gesicht fächelt.

      Vorwärts, vorwärts!

      Wieder hinaus in die Ebene, die schreckliche glühende Ebene.

      »Welcher Ort dort?«

      »Oropesa, Sennor?«

      »Was für eine Straße dort?«

      »Nach Madrid, Sennor?«

      »Was dort? Jene Türme?!«

      »Talavera de la Reyna!«

      Wiederum Gewehrfeuer an der Spitze des Heeres. Die Vorhut ist auf den Nachtrab Victors gestoßen. Unabsehbar, erfüllt von Staubwolken dehnt sich die Ebene. Wenn sich von Zeit zu Zeit der Schleier lichtet, sieht man im englischen Heere, seitwärts dunkle Massen sich bewegen.

      Adjutanten des Oberfeldherrn sprengen im wildesten Galopp vorüber.

      »Was giebt es dort zur Seite, Sir?« fragte der Leutnant Bart von der Legion.

      »Cuesta! Die Spanier!« ruft’s zurück, und schon ist der Reiter verschwunden.

      »Die Spanier, die Spanier! Cuesta! Cuesta!« geht’s durch das englische Heer.

      » Huzza! Hussa!«

      » Viva Ynglaterra! viva Ynglaterra!« hallt’s fünfunddreißigtausend-stimmig aus der Ferne, und aus noch weiterer Ferne.

      Vive l’empereur! Vive l’empereur!

      O diese Sonne! dieser Durst! Durst nach Wasser – nach Blut!

      Huzza, Hussa! Old England forever! Viva Ynglaterra! Viva l’empereur!

      Nun Gewehr-und Kanonenfeuer vom 22. bis zum Abend des 27. Juli. Wie schwankt und wogt es hin und her über die Ebene; – und doch hat die Schlacht noch nicht begonnen. Am 23. Juli, einem Sonntag, geht eine günstige Gelegenheit zur Schlacht ungenutzt vorüber, weil der General Cuesta seine Mitwirkung für diesen heiligen Tag ablehnt, und Sir Arthur zu schwach ist, allein das Treffen zu wagen.


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