Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe - Wilhelm  Raabe


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und die Jagdhunde haben unruhig, ängstlich geheult; aber das Gewitter ist doch erst am Abend losgebrochen. Nun sitzt die unglückselige Luise in ihrer Kutsche und betet und zittert, und ihre Augen sind rot vom Weinen. Sie denkt, zu Hause will sie ihr Kind nehmen und mit ihm entfliehen und sich verbergen, wo niemand sie finden wird. Ihre Kammerfrauen wollen sie trösten, aber sie schüttelt nur den Kopf, und der Wagen fährt weiter durch das Gebirge, die Pferde schnauben, und die Bedienten steigen ab; – es geht eben den steilen Hunneberg hinauf, auf dessen Gipfel die Grenzpfähle von dreier Herren Ländern stehen. Es ist gegen sechs Uhr abends und schon ganz dämmerig. Es wetterleuchtet über der Ebene, die im Süden zwischen den Bergen herüberblickt. Die kurfürstliche Residenzstadt liegt da im grauen, schwülen Gewitterdunst versunken. Als der Wagen die Höhe erreicht, hebt sich ein Lüftchen auf und raschelt zwischen den Blättern und treibt einen Staubwirbel gegen die Kutsche heran. Und der Kutscher zieht die Zügel an, – da hält ein Reiter auf einem Schimmel auf der Höhe des Weges und man sieht ihn schwarz auf dem dunkeln Himmel. »Fahr zu, Kerl!« sagte der Bediente, »was geht’s Dich an, was einer passiert?« und der Kutscher peitscht auf die Gäule, daß sie wieder anziehen. Der Reiter hält unbeweglich, bis der Wagen bei ihm ist, und die Frau von Wachenstein seiner ansichtig wird, und einen schrillen Angstschrei ausstößt. Da hebt der Reiter den dreieckigen Hut mit der Goldborde vom Kopfe, verbeugt sich und sagt: »Guten Abend, Madame; ich habe Euch erwartet hier und bitte Euch, auszusteigen.« Er steigt selbst vom Pferd und bietet der halb ohnmächtigen armen Frau den Arm, und sie sinkt fast nieder auf dem Waldwege in den Staub. Jetzt hört man von der Ebene her den ersten Donner heranrollen, und der Wachensteiner – denn er ist es gewesen – schreit plötzlich wild dem Kutscher zu: »Fahr zu, Hund! was hast Du zu warten! fort mit Euch; Madame reitet mit mir!« … Was sollen die Leute thun? Die Frauen kreischen und halten die Hände vor die Augen, der Kutscher schlägt wie toll auf die Pferde, bergunter jagt die Karosse, und im Umsehen sieht der Bediente noch, wie der Herr von Wachenstein sein Weib auf den Sattel hebt und selbst sich nachschwingt; dann verbirgt der Tannenwald die Höhe des Hunneberges. Was geht sie’s auch an, wohin der Wachensteiner mit seiner Frau reitet; sie haben nur drunten in der Ebene Bericht davon abzustatten, auf welche Weise ihnen auf dem Hunneberg die gnädige Frau verloren gegangen ist. – Der Wachensteiner aber drückt seinem Schimmel die Sporen in die Seiten und jagt über den Grenzgraben, aus dem kurfürstlichen Gebiet in das herzogliche. Bergunter jagt er im wildesten Lauf; sein Weib hält er vor sich auf dem Sattel und fühlt ihr schuldiges Herz angstvoll gegen das seine klopfen. Bergauf und -ab spornt er sein Roß, und kein Wort sagt er auf der Frauen Weinen und Flehen. Ihr muß es schrecklich auf dieser wilden Jagd in Herz und Hirn ausgesehen haben, und dazu bricht das Gewitter mit aller Macht los. Der wahnsinnige Reiter kümmert sich darum so wenig, wie um seines Weibes Jammer. Er reitet durch Donner, Blitz und Regen, er reitet durch den Mondenschein, der nach dem Gewitter kommt. Er kennt das Gebirge wie das Innere seiner Hand; in seinem wahnwitzigen Grimm hat er sich den wüsten Ort zur Stelle seiner Rache ausgesucht, da wird er aber verscheucht durch den Aufschrei der kühnen Marie vom Trautenstein; er reißt die elende Luise weiter fort; und gedenkt an den Seigergrund. So hat man hier an dieser Stelle das gefunden, was im Jahre 1708 noch übrig war vom sündigen Leibe der Wachensteinerin.«

      Der Köhler schwieg; ich stand in tiefem Grauen auf der unheimlichen Stelle. Es mußte plötzlich eine Wolke vor die Sonne gezogen sein, denn der Strahl, der bis jetzt die feuchte, kalte Höhle erleuchtet hatte, schwand, und wir standen in trübster Dämmerung und blickten nach allen Seiten in die schwärzeste Nacht.

      »Licht! Licht! Um Gotteswillen Licht!« bat plötzlich mit den Tönen der flehendlichsten Angst Ännchen. Ich hielt zum Tode erschrocken das arme Kind in den Armen; der ganze zarte Körper erzitterte.

      »Licht! Licht!« rief auch ich. »O bitte, bitte, zündet Euere Fackel an – schnell, schnell.«

      »Soll sogleich geschehen sein!« rief der Köhler. »Mut, Jungferchen – gleich haben wir Licht – da!«

      Er schlug Feuer an; – schon die vom Stahl und Stein springenden Funken waren ein tröstlicher Anblick. Ein Schwefelfaden wurde angezündet und damit die Fackel in Brand gesetzt.

      »Wir wollen sogleich wieder an das Tageslicht, liebes Ännchen. Wir wollen nicht weiter hinein in diese schrecklichen Grüfte – gleich werden wir wieder die Sonne sehen!«

      Ich wandte mich, um das zitternde Mädchen zurückzuführen: die bittersten Vorwürfe machte ich mir, daß ich ihre kranke Seele solchen Schrecknissen ausgesetzt habe; aber zu meiner Verwunderung hielt sie krampfhaft meine Hand:

      »Nein, nein, um Jesu willen, nicht da, nicht da zurück! Da hinein hat er sie geschleppt; – daher schleppte er ihren armen Leib sich nach! Wehe, wehe, und wie er sie fortschleifte in diese Grabeshöhle, da hat sie uns verflucht – verflucht hat sie das Haus Rhoda, als ob der Fluch der eigenen Ahnen nicht schon schwer genug darauf lastete, seit dem unglückseligen Weib, der Anna von Rhoda, der Trautenstein gebaut wurde!«

      »Anna, Anna?!« rief ich entsetzt, erstarrt. »Was ist das? was sprichst Du, – Anna, liebes Ännchen?«

      »Ja, Anna heiß ich, wie jene Verblendete. Hat der Vater nicht ihre Geschichte erzählt zu Paris im Salon der Frau Herzogin von Abrantes? Die Herzogin hielt mich auf dem Schoß und spielte mit meinen Locken und gab mir Bonbons; aber ich hörte doch nur dem Vater zu.«

      Es drehte sich alles um mich her; – war das Traum! war das Wahrheit? Der Köhler stand in eben solcher starren Verwunderung, solchem Schrecken wie ich; das Licht seiner Fackel spielte rotglühend an den Steinwänden der Höhle, in welcher der Leib Luisens von Wachenstein vermodert war.

      Und dieses so lange gesuchte Rätsel, welches sich jetzt so plötzlich, auf so seltsame Weise löste! Ich war dem Wahnsinn nahe.

      »O die Geschichte von der Frau von Wachenstein und von dem Chevalier Melander von Rhoda kenn’ ich auch,« fuhr der Findling vom Schlachtfelde von Talavera fort. »Das hat der Vater zu Madrid erzählt; – da war auch eine Dame, welche mich oft auf den Schoß nahm; aber ich habe ihren Namen vergessen. Fort, fort, – die Engländer rücken an, – horch, das sind die Pfeifen der Hochländer; – fort, fort, – o mademoiselle Adelaide, l’ennemi! la mort! sauvez-vous, mademoiselle Adelaide!«

      Von neuem faßte ich die Annie, – die Anna von Rhoda in die Arme, um sie nötigenfalls aus dem Dunkel hervor an das Licht des Tages zu tragen. Aber sie sträubte sich noch heftiger als zuerst.

      »Nein, nein, – nicht da hinaus – da hinaus ist es dunkel, da hinaus ist es solche schreckliche Nacht. Vorwärts – weiter – geht weiter, – laßt uns weiter – jenseits des Berges scheint die Sonne, – o bitte nicht in die Finsternis – in das Licht, in das Licht!«

      »Laßt uns thun, wie sie will, Herr,« flüsterte der Köhler mir zu. »Es ist vielleicht besser so – das Herz zittert mir im Leibe, – Gottes Hand ist über uns – laßt ihr ihren Willen, – folgt mir und fürchtet Euch nicht, wir finden das Licht drüben wieder!«

      Mit welchen Gefühlen, Sever, Sever, folgte ich, Anna von Rhoda führend, der voran leuchtenden Fackel. Sever, die Schauder der allertiefsten Einsamkeit und Verlassenheit, in welcher wir schritten, waren machtlos gegen mich. Was kümmerte es mich, ob der Weg hinauf oder hinab führte, ob er schmal und niedrig, oder hoch und breit war? Was kümmerte mich das geheimnisvolle Wasser, das einmal unter uns dumpf rauschte? Ich fühlte die Hand Ännchens in der meinigen, der Berg konnte kein größeres Geheimnis in seinem Schoße bergen, als das, welches mir eben offenbart worden war. Licht! Licht! Licht!

      Ja Licht! Der Begriff Zeit war für mich verschwunden, ich weiß nicht zu sagen, wie lange wir in der Finsternis umher wanderten. Plötzlich stieß unser Führer die Fackel auf den Boden, daß sie erlosch; über uns, wie es schien in unendlicher Ferne, strahlte ein heller Stern.

      »Das ist der Tag!« rief der alte Köhler. »Gradaus – empor geht der Weg!«

      »Das ist der Tag, Anna von Rhoda!« rief auch ich. »Gesegnet seiner Tag; Ännchen, lieb Ännchen!«

      Das Gesicht barg Anna an meiner Brust, und so standen wir atmend eine ganze Weile stumm und blickten zu dem holden Lichte empor, bis sich unsere Augen gewöhnt hatten; dann stiegen


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