Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe - Wilhelm  Raabe


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sich selbst und mit den Schatten, die er siehet. Da murmelt er Stunden lang wilde Worte und dann schreit er hell auf und glaubt, das Haus sei überfallen von Mördern und Dieben. Nun gehet er überall um und rüttelt an allen Schlössern und Thüren, und ein geladen Feuerrohr trägt er in der Hand. Dann – spricht er von Deinem Vater – Deiner armen Mutter und meiner armen Mutter. O, es ist zu schrecklich! Ich hör’ ihn schleichen und schlurfen auf dem Gang, und ist mir, als ging ein Gespenst um im Haus, und ist doch mein eigener Vater, den ich lieben soll nach Gottes Gebot. Vortreten aus meiner Kammer darf ich nicht; denn als ich das einmal that, weil’s mich drinnen der grausamen Angst halber nicht länger duldete, da hat er laut aufgeschrieen und ist niedergestürzt zur Erde und hat sich darauf den halben Tag lang nicht besinnen können. So über alle Maßen grausig liegt Gottes Hand auf ihm, daß er oft sein eigenes Kind nicht mehr kennt.«

      »Aber das ist ja heller Wahnsinn,« rief der Jüngling. »Laurentia, das gehet so nicht länger an. Du kannst nicht bleiben bei ihm; die Stadt, der Rath soll und muß da einschreiten und sein Wort sprechen. Wer weiß, was Dir geschehen mag in Deiner armen Hülflosigkeit. Morgen früh geh’ ich zum Rathhaus –«

      »Nein, nein, um Gotteswillen, nein!« rief Laurentia Heyligerin. »Nicht das! Thu’ um Gotteswillen nicht das, Georg! Er ist mein Vater, wie er auch ist. Sollen sie ihn aus seinem Hause schleppen, hinaus in das Licht, unter das erbarmungslose Volk, das keine Gnade für ihn hat; unter die Menschen, die er so sehr fürchtet, daß er nicht wagt, aus dem Fenster zu schauen? Ich weiß, was gewißlich die Folge davon sein würde. Soll ich die Schuld tragen an dem alleräußersten Verderben meines Vaters? Georg, Alles will ich thun, was Du verlangst; aber Solches vermag ich nicht.«

      »Dann sei uns Gott gnädig; ich sehe keinen Ausweg aus diesen Schrecken. So müssen wir tragen, was uns auferlegt ist; so müssen wir in Grauen abwarten, was kommt, und dürfen die Hände nicht regen. Hör’, Laurentia, von jetzt an schlaf’ ich nicht mehr auf der Römerhöhe im Thurm; auf Deiner Schwelle will ich sitzen und Wacht halten zu Deinem Schutz; nimm mein Wort, ich will bei Dir stehen im Augenblick der Gefahr!«

      »O, Georg, thu’ auch das nicht!« bat die Jungfrau, flehentlich die Hände faltend »Glaub’ mir fest, mir wird nichts Arges geschehen. Dahin gehet meine Angst nicht. Wenn er in seinem armen wirren Geist nur nicht einmal die Hand an –«

      »Die Hand an sich selber legt,« schloß Georg den Satz, welchen Laurentia schaudernd nicht zu Ende brachte.

      Und heftiger sprach der Jüngling: »Deshalb auch gestatte mir, daß ich des Rathes Hülfe aufrufe; – für Euch Beide will ich sie! Sieh’, allen Haß und Zorn habe ich ja niedergelegt zu Deinen Füßen.«

      Die Jungfrau antwortete nicht, sie schüttelte nur das Haupt, und so stand rathlos und wortlos das junge Paar eine geraume Weile. Endlich sagte die Jungfrau:

      »Wie gut doch Gott ist, daß er Dich so früh schon, daß er Dich als Knaben schon zu mir geführet hat. O, Georg, da Solches zugelassen wurde, mein’ ich, hat’s der Höchste gut mit uns im Sinne. Laß uns still sein und abwarten, was über uns beschlossen ist, wir vermögen nicht, einzugreifen. Als wir noch klein und Kinder waren, haben wir uns bescheiden müssen; nun sind wir zwar recht alt und klug worden, aber vermögen doch nicht mehr. O, Du lieber Georg, versprich mir, daß wir warten wollen!«

      Georg Kindler seufzte tief und schüttelte das Haupt; aber er versprach der Geliebten doch, was sie verlangte. Eine Wolke ging über den Mond, und dunkel wurde es im Garten der Silberburg. Der Mond kam in dieser Nacht nicht wieder hervor; Wolke auf Wolke wälzte sich herauf über den Herrenberg, über des Scharfrichters Haus; wie ein gieriges Ungeheuer verschlang die Finsterniß das weiße Licht, welches das Sonnenroth besiegt hatte.

      Nach einem letzten heißen Kuß nahmen die Liebenden Abschied voneinander, und mit schwerem Herzen ließ Georg sein Mädchen aus den Armen. Als die Thür der Silberburg knarrte, die vorfallenden Riegel kreischten, und die holde Gestalt verschwunden war, überfiel den Jüngling eine so heftige Angst, daß er nur durch die allergrößte Kraft des Willens sich enthalten konnte, der Jungfrau gegen das Haus nachzueilen, gegen die Thür zu schlagen, Einlaß zu begehren und um Hülfe zu rufen für die arme Laurentia Heyligerin.

      Mit klopfendem Herzen lauschte er noch lange Zeit; aber drinnen blieb Alles still. Nichts regte sich, was Anlaß zu dieser Angst hätte geben können; nur eine schwarze Katze stieg aus einem zerbrochenen Fenster, sprang auf einen Holzhaufen und schlich von dort an dem invaliden Weibel des Regiments Montecuculi vorüber, um einen schlafenden Vogel im Nest zu überfallen.

      Widerstrebend, immerfort rückwärts blickend, stieg Georg zur Römerhöhe, zum Lug in’s Land empor. Im tiefen und sanften Schlaf fand er den alten Vater. Das böse ökonomische Buch lag immer noch aufgeschlagen auf dem Tisch; aber im Schlaf hatten die ärgerlichen Zahlenreihen, die guten Lehren und Rathschläge nicht mehr ihre verwirrende, betäubende Macht über den Greis. Des Buches magische Kraft war mit dem Tageslicht zu Ende, und der Schlaf des armen Mannes auf der Römerhöhe war ein ganz anderer, als der des reichen Mannes in der Silberburg. Georg aber brachte die Nacht eben so unruhig zu wie Christian Heyliger. Seltsamerweise führte ihm der Traum immerfort die Geliebte in Verbindung mit dem Henker Wolf Scheffer vor die Seele; immerfort sah er, geduckt wie einen Tiger, den Scharfrichter von Rothenburg um die Silberburg schleichen, und Wahrheit war in diesen wirren Bildern: Wolf Scheffer umschlich die Silberburg, nachdem die Liebenden sich getrennt hatten. Still lachte er in sich hinein, rieb die Hände. Sein gesundes Auge leuchtete in der Dunkelheit wie das jener schwarzen Katze, die nun ihren Raub und Mord vollführt hatte und gegen das Haus zurückschlich.

      V.

       Inhaltsverzeichnis

      Somit haben wir eine der vielen nächtlichen Zusammenkünfte der beiden jungen Leute, zwischen denen das Schicksal eine so feste eiserne Wand aufgerichtet zu haben schien, geschildert. Viel hülfsbedürftiger und ärmer als der Sohn des armen Mannes, war die Tochter des reichen Mannes geworden; aber auch jener war unglücklich und verlassen, und darum ward wieder einmal wahr, daß zwei Unglückliche sich viel leichter zusammenfinden, und viel fester sich binden, als zwei Glückliche. Wie Georg und Laurentia sich zuerst zusammengefunden hatten, darüber hätten sie kaum Rechenschaft geben können. Es waren zwei arme Kinder, und jedes saß für sich allein auf dem kalten Stein; da kam das Schicksal, diesmal gütig und lächelnd gleich einer guten, klugen und vorschauenden Mutter und führte die beiden jungen Herzen zusammen, Trost und Lust zum Leben gegenseitig zu geben und zu empfangen. Einst, als der Weißdorn in der Gartenhecke der Silberburg in der Blüthe stand, hatten sich die beiden Kinder die Hände unter dem Busch durchgereicht, da sie zu klein waren, um darüber wegzublicken. Nun hatte seit dem glücklichen Frühlingstage der Weißdorn wohl zwölf Mal in seinem luftigen Kleide den abziehenden Winterschnee verspottet; aus den Kindern waren »Leute« geworden, die sich recht gut die Hände über die Hecke reichen konnten. Das Reichskammergericht war von Regensburg nach Wetzlar verlegt, der Friede zu Ryswick geschlossen, der Kurfürst von Brandenburg war König in Preußen geworden; der spanische Erbfolgekrieg hatte seinen Anfang genommen, die Stadt Sanct Petersburg war gegründet; der Blitz hatte den Brunnenritter auf dem Markt zu Rothenburg zertrümmert, der alte Scharfrichter war gehängt worden von dem neuen, Georg Kindler war mit einer Brustwunde und mit einer Wunde im Arm heimgekehrt aus dem Feldzuge des Prinzen Eugenius am Rhein.

      Nun ging auch dieser Sommer des Jahres 1704 seinem Ende entgegen, und das enge Leben der kleinen Reichsstadt nahm seinen gewohnten Verlauf. Es wurde mit Pomp das Freischießen gehalten, und der Arm Georgs war um diese Zeit so weit hergestellt, daß der Weibel des Regiments Montecuculi die Pürschbüchse halten konnte. Den Vogel schoß er ab und gewann den besten Preis, durch dessen gute Verwendung das Innere des alten Thurmes auf der Römerhöhe ein behaglicheres Ansehen bekam. An diesem Freischießen durfte der einstige Profoß des Regiments Deutschmeister als Ehrloser natürlich nicht theilnehmen; dafür aber durfte er einem Diebe das rechte Ohr abschneiden, ein Pasquill auf den Herrn Bürgermeister und dessen lebenslustige Gemahlin unter dem Galgen verbrennen und eine Hexe im Gnadenwege mit dem Schwert vom Leben zum Tode bringen.

      Immer


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